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"Das war unglücklich" "Das war unglücklich": Lieken-Vorstand spricht über den "Umzug" nach Wittenberg

Von Steffen Höhne 20.11.2015, 19:02
Lieken-Vorstand Markus Biermann
Lieken-Vorstand Markus Biermann Lieken Lizenz

Halle (Saale) - Der Großbäcker Lieken will bis 2017 für 200 Millionen Euro eine neue Produktionsstätte in Wittenberg errichten. 300 Arbeitsplätze sollen in der Lutherstadt entstehen. Gleichzeitig wird das Werk in Weißenfels mit 250 Mitarbeitern geschlossen. Dieser „Umzug“, der vom Land mit Steuermitteln gefördert wird, sorgte vor allem in Weißenfels für Unmut. Lieken unternahm daraufhin eine ungewöhnliche PR-Aktion: In einer Anzeige rechtfertigt das Unternehmen die Schließung. Doch war diese unvermeidbar und hat das Unternehmen Fördermittel nötig? Steffen Höhne sprach mit Lieken-Vorstand Markus Biermann.

Der Aufsichtsrat von Lieken hat am Donnerstag, dem 5. November, über den Neubau in Wittenberg und die Schließung von Weißenfels entschieden. Die Mitarbeiter erfuhren dies aus der Mitteldeutschen Zeitung. War das so geplant?

Biermann: Das war anders geplant und wir haben uns bei den Mitarbeitern bereits dafür entschuldigt. Wir hatten schon im Vorfeld für Freitag eine Betriebsversammlung in Weißenfels einberufen. Das war in der Tat unglücklich.

Anfang 2015 hieß es aus Ihrem Haus zum Standort Weißenfels wörtlich: „Der Betrieb läuft sehr erfolgreich und so wird es auch in den kommenden Jahren weitergehen.“ Was hat sich in so kurzer Zeit verändert?

Die Großbäckerei Lieken wird von den beiden Vorständen Markus Biermann (Foto) und Alexander Bott geführt. Das Unternehmen gehört mit 4.100 Mitarbeitern und einem Umsatz von 772 Millionen Euro zu den größten deutschen Backwaren-Herstellern.

Die tschechische Unternehmensgruppe Agrofert hatte Lieken Mitte 2013 übernommen. Eigner ist der Milliardär und tschechische Finanzminister Andrej Babis. Dieser veranlasste, die Großbäckerei kräftig umzustrukturieren. Bereits angekündigt war, dass vier von aktuell elf Werken geschlossen werden.

Betroffen sind Essen (Nordrhein-Westfalen), Garrel (Niedersachsen) sowie zwei hessische Werke in Stockstadt und Pfungstadt. Mehrere andere Standorte werden modernisiert.

Biermann: Wir haben Mängel in der Bausubstanz festgestellt, die auch mit Auflagen einhergehen. Vor allem das Verwaltungsgebäude entspricht nicht mehr den Anforderungen. Wir hätten einen zweistelligen Millionenbetrag in die Modernisierung stecken müssen. Das hätte sich am Ende aber nicht gerechnet. Deswegen haben wir uns zur Schließung entschlossen.

Sie haben den Weißenfelser Mitarbeitern angeboten, künftig in Wittenberg zu arbeiten. Wie realistisch ist dies bei einem Anfahrweg von 120 Kilometern und Schichtarbeit?

Biermann: Ich gebe zu, das ist sicher kein Katzensprung. Doch es ist zumindest eine Option. Wir müssen ja auch bedenken: Nicht alle Mitarbeiter wohnen in Weißenfels. Sicher ist, dass wir ein großes Interesse haben, eingespielte Teams mitzunehmen. Das erleichtert den Start in Wittenberg.

Wenn Sie auf die eingespielten Teams setzen, warum bauen Sie dann nicht in Weißenfels neu? Dort wurde Lieken ein Grundstück in verkehrsgünstiger Lage angeboten.

Biermann: Es stimmt, es gab auch ein Angebot aus Weißenfels. Das Grundstück ist - nach meinem Wissen - aber noch kein Industriegebiet. Wittenberg bringt gleich mehrere Vorteile mit sich.

Ob der Standort Brehna sicher ist und wie es zur Entscheidung pro Wittenberg kam, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Was spricht für die Lutherstadt?

Biermann: Lieken gehört seit 2013 zur tschechischen Agrofert-Gruppe. Diese besitzt im Wittenberger Stadtteil Piesteritz Grund und Boden und eine hochmoderne Infrastruktur für ein solches Werk. Den Ausschlag gab weiterhin die Tatsache, dass dieser Standort bereits auf den verschiedensten Gebieten geprüft und entsprechend zertifiziert ist. So kann nach der Erteilung der übrigen Genehmigungen sofort mit dem Bau begonnen werden. Wir sparen deutlich Zeit bei der Ansiedlung. Das hat große Vorteile. Ursprünglich sollte das neue Werk im Rhein-Main-Gebiet entstehen. Dort haben wir aber keinen geeigneten Standort gefunden. Die Alternative Wittenberg oder Weißenfels gab es also gar nicht.

Für den Neubau hat Lieken elf Millionen Euro Fördermittel beantragt. Spielte dies bei der Standortwahl eine entscheidende Rolle?

Biermann: Sie wissen, Fördermittel gibt es in allen Bundesländern. Alles, was wir an Geld auch in Form von Zuschüssen bekommen können, ist wichtig für uns. Die Investitionsentscheidung ist allerdings nicht aufgrund der Fördermittel gefallen. Das Werk soll 30 bis 40 Jahre laufen, da sind andere Faktoren entscheidender. Und trotzdem: Als Vorstand der Lieken AG bin ich dazu verpflichtet, mögliche Förderungen in Anspruch zu nehmen. Das würde jedes andere Unternehmen auch tun. Wir bekommen das Geld ja nur dann, wenn es uns per Gesetz zusteht.

Hinter der Mutter Agrofert steht der Unternehmer und tschechische Finanzminister Andrej Babiš. Er gilt als einer der reichsten Menschen im Nachbarland. Warum hat es Lieken nötig, dann elf Millionen Staatshilfe zu beantragen?

Biermann: : Auch wenn es um Fördermittel geht, richten wir uns nach EU- und deutschem Recht. Und wie Sie wissen, sollen durch diese Richtlinien Nachteile, die eine Region – hier Ostdeutschland – aufzuweisen hat, ausgeglichen werden. Wäre der Neubau in die Rhein-Main-Region vergeben worden, wären weitere Arbeitsplätze aus Ostdeutschland abgezogen und die ohnehin benachteiligte Struktur im Osten weiter beeinträchtigt worden. Die privaten Vermögensverhältnisse der Gesellschafter von Mutterunternehmen spielen in diesen Richtlinien keine Rolle. Ich habe als Vorstand die betriebswirtschaftliche Situation von dem Unternehmen zu berücksichtigen, für das ich verantwortlich bin.

Ist mit der jetzigen Entscheidung die Restrukturierung der Standorte abgeschlossen?

Biermann: Wir haben nun Pläne aufgestellt, mit denen wir glauben, Lieken in eine gute Zukunft führen zu können. Weißenfels ist allerdings auch ein Beispiel dafür, dass Dinge nicht immer zu 100 Prozent vorhersehbar sind.

Ist der Standort Brehna bei Bitterfeld-Wolfen sicher?

Biermann: Ja, Brehna ist sicher. Wir haben schon angekündigt, das Werk zu modernisieren und planen auch einen Ausbau.

Insgesamt schließt die Lieken-Gruppe deutschlandweit vier Produktionsstätten. Warum ist das Unternehmen nach dem Umbau besser aufgestellt?

Biermann: Wir investieren insgesamt 400 Millionen Euro in den Neu- und Umbau von Werken. Unsere Kapazitäten werden sich gar nicht so stark verändern. Wir passen uns dabei vor allen den veränderten Konsumgewohnheiten an. Von Schnittbrot, Toast und Sandwich allein können wir nicht mehr leben, sondern müssen auch andere Backwaren liefern und zum Beispiel mehr Tiefkühlbackwaren produzieren. Darauf müssen wir uns in der Produktion einstellen.

Überrascht hat Lieken aber offenbar der Boom der Backstationen in Supermärkten. Haben Sie den Trend von Tiefkühlwaren verschlafen und müssen deswegen harte Einschnitte vornehmen?

Biermann: Das wurde uns nachgesagt. Doch wir sind in diesem Tiefkühl-Segment bereits ein wichtiger Marktteilnehmer und werden das Feld weiter ausbauen. Unsere Fabriken sind aber für mindestens 20 Jahre konzipiert. Ergeben sich Änderungen im Verbraucherverhalten, können wir nicht immer kurzfristig reagieren, weil ganze Produktionsprozesse umgestellt werden müssen. Es reicht nicht, nur einen Schalter umzulegen. Produktveränderungen machen auch Investitionen in der Lagerung und dem Transport nötig. Da sind wir jetzt auf einem guten Weg. (mz)