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Das Ende der DDR Das Ende der DDR: Fritz Streletz referiert über Gorbatschows Außenpolitik

Von Steffen Könau 27.11.2016, 11:00
Fritz Streletz ging in Sachsen-Anhalt zur Schule, wurde in Bernburg Polizist und stieg bis zum Vizechef der Armeen der Warschauer Vertragsstaaten auf.
Fritz Streletz ging in Sachsen-Anhalt zur Schule, wurde in Bernburg Polizist und stieg bis zum Vizechef der Armeen der Warschauer Vertragsstaaten auf. Steffen Könau

Halle (Saale) - Helmut Kohl, sagt Fritz Streletz, Helmut Kohl habe das doch später selbst beschrieben! Wie Gorbatschow die DDR für ein paar Lebensmittelpakete preisgab. „Der Gorbatschow sagte, Helmut, unsere Läden sind leer, und wenn sich das nicht ändert, werden meine Militärs putschen.“

Ohne Gorbatschow aber wären dann alle Hoffnungen der Deutschen auf eine Wiedervereinigung dahin gewesen, und jeder Gedanke an ein Ende der DDR hätte sich erledigt. „Das war allen klar.“ Fritz Streletz, 90 Jahre und mit schweren Lidern über stahlblauen Augen, schüttelt den Kopf. „Gorbatschow bekam die Antwort, die er hören wollte.“

Streletz, der frühere Vize-Verteidigungsminister der DDR, zuletzt Generaloberst, Sekretär im Nationalen Verteidigungsrat und nebenbei stellvertretender Kommandeur der Truppen des Warschauer Vertrages, erinnert sich, wie damals die eigentlich zur Versorgung Westberlins im Krisenfall eingelagerten Vorräte über den Hafen Mukran Richtung Osten verschifft wurden.

„Wenig später ging die DDR-Notfallreserve denselben Weg.“ Der tönerne Riese Sowjetunion, er durfte wanken, aber fallen durfte er nicht. „Immer noch wurde in Moskau bestimmt, was in Deutschland passiert.“

Fritz Strelitz: Kämpfte im Zweiten Weltkrieg, war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und im DDR-Führungsapparat

Fritz Streletz, in Schlesien geboren und in Eschenrode bei Magdeburg zur Schule gegangen, kannte es nicht anders. Mit 18 zog er als Infanterist in den Krieg, mit 19 geriet er in sowjetische Gefangenschaft. Streletz ist einer der wenigen in der späteren DDR-Führung, der in seinen drei Jahren in einem Kriegsgefangenenlager keine Antifa-Schule besuchte. „Das wäre gar nicht gegangen“, beschreibt er heute, „ich hatte viel zu viel damit zu tun, irgendwie zu überleben.“

Er schafft es, kehrt zurück und findet Arbeit als Polizist in Bernburg. Der Beginn einer Karriere, die den Sohn eines Bergmanns bis in die oberste Etage der Führung der DDR und des gesamten kommunistischen Weltsystems führte. Fritz Streletz, bis dahin ein Volksschüler mit drei Jahren Unteroffiziersschule, studiert in Moskau, er wird Offizier und besucht die Generalstabsakademie der Sowjetunion. Als er zurückkommt, wird er Chef des Militärbezirks Leipzig und später Generalstabschef der NVA.

Für den mittelgroßen Mann, der sich gerade von einer China-Reise mit Ex-Linken-Chef Hans Modrow ein Basecap mit der Aufschrift „Great Wall“ mitgebracht hat, das er augenzwinkernd trägt, ist die DDR sein Land - und sie bleibt es bis heute. Der immer noch hellwache Ex-Generaloberst hat nie aufgehört, die Stellungen zu verteidigen, an denen er sein Leben lang mitgebaut hat.

Im Kreise Gleichgesinnter wie Keßler oder Margot Honecker, mit denen er die letzten Jahre auf Kuba Urlaub gemacht hat, versucht Streletz unbeirrt, das zu verbreiten, was aus seiner Sicht die historische Wahrheit ist. „Keinen Piep konnten wir an der Grenze machen, ohne dass wir vorher die Sowjets fragten“, versichert er. Streletz illustriert es mit einem militärischen Beispiel: „Wir hatten in jeder Führungsstelle der NVA zwei Uhren“, sagt er, „eine mit Berliner, eine mit Moskauer Zeit.“

Der frühere Vize-Verteidigungsminister der DDR Fritz Streletz: „Gorbatschow hat den Bambi bekommen.“

Letztere zeigte, was die Uhr geschlagen hat. Als etwa Erich Honecker in den 80er Jahren beschloss, die Minengürtel an der Westgrenze abzubauen, sei er, Streletz, nach Moskau geschickt worden, um die Genehmigung dafür von der Führung der KPdSU einzuholen. „Die habe ich auch bekommen, aber nur, nachdem ich den Forderungen der sowjetischen Genossen nach zusätzlichen neuen Grenzschutzkompanien nachgekommen bin.“

Zudem habe Moskau damals festgelegt, dass Zehntausende Minen, die im Grenzbereich ausgegraben und vernichtet werden sollten, in direkter Grenznähe gelagert werden. „Und wir mussten zusichern, dass wir jederzeit in der Lage sind, sie binnen 48 Stunden wieder in die Erde zu bringen.“ Alle sechs Hubschrauber der Grenztruppen hätten dazu eingesetzt werden sollen. „Trainiert haben die Piloten das dann regelmäßig.“

Die Grenze der DDR nach Westen, sie war aus Streletz’ Sicht eigentlich die Westgrenze der UdSSR. Vor Gericht aber ist der Mann mit dem weißen Haarkranz mit dieser Argumentation nicht durchgekommen. Zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen Totschlags verurteilte ihn das Landgericht Berlin, weil er „an Entscheidungen des Nationalen Verteidigungsrates und des Politbüros über die Gestaltung des Grenzregimes der DDR mitgewirkt“ habe. Ein Urteil, das Fritz Streletz heute mit einem scharfen Lächeln auf schmalen Lippen kommentiert. „Gorbatschow“, sagt er, „hat den Bambi bekommen.“

Die Geschichte verkenne im Nachhinein, dass es im Kalten Krieg nie nur um Deutschland ging, glaubt Fritz Streletz. Aus der Erinnerung beschreibt der 90-Jährige, wie diese politische Großwetterlage die DDR von Anfang an in eine Verliererposition rückte. „Die sowjetischen Freunde haben viele Dinge aus ihrer Sicht gesehen, unsere Zwänge interessierten nicht wirklich.“

Mitglied des DDR-Führungsapparates Fritz Streletz: lüftet letztes DDR-Geheimnis

So sei der DDR-Führung immer klar gewesen, dass nur ein höheres Lebensniveau die Bevölkerung vom Sozialismus hätte überzeugen können. Die Sowjet-Führung aber habe höhere Militärausgaben verlangt. „Und wenn wir argumentierten, dass das auf die Attraktivität des Sozialismus durchschlägt, bekamen wir entgegnet, dass das Lebensniveau bei uns doch ohnehin schon das höchste aller sozialistischen Staaten sei.“

In der Darstellung des Mannes, der ab 1979 Stellvertreter des Oberkommandierenden aller Streitkräfte des Warschauer Paktes war, schrumpft die zu Lebzeiten nach außen so selbstbewusste DDR zu einer Art Sowjetrepublik light. Streletz müht sich, es nicht so klingen zu lassen, letztlich aber ist es wahr: Die Sowjetunion sei es gewesen, die verlangt habe, dass die DDR 15 Panzerstraßen von Ost nach West mit knapp 12.000 Kilometern Strecke baue, die im Kriegsfall dem Vormarsch der sowjetischen Truppen dienen sollten. „Wir konnten nur noch versuchen, das im Land als Bau von Umgehungsstraßen zu verkaufen.“

Dass die DDR in einem Rennen lief, das sie nicht gewinnen konnte, spürte auch Fritz Streletz irgendwann. Der große Bruder, an dem sich in seiner Republik alles ausrichtete, hatte noch größere Schwierigkeiten als die DDR selbst. „Plötzlich wurden im Sommer alle Fahrzeuge der Westgruppe nach Hause gerufen, um bei der Ernte zu helfen“, erzählt er. Die Transportleistungen für die halbe Million Sowjetsoldaten in der DDR, verfügte der Befehlshaber der Westgruppe, übernehme die DDR. „Wir hatten aber keine Waggons und Lkws, die das hätten leisten können.“

Erich Honecker schickte Fritz Streletz zu Jewgeni F. Iwanowski, damals Chef der Westgruppe. „Ich sollte ihm klarmachen, dass das alles nicht geht.“ Ein hoffnungsloses Unterfangen, wie Streletz feststellt. Iwanowski, im Zweiten Weltkrieg als Regimentskommandeur Teilnehmer der Schlacht von Stalingrad, fragte seinen deutschen Genossen, ob er wohl den Stationierungsvertrag kenne, der die Rechte der Sowjetunion in der DDR regelt. „Ich durfte ihn dann lesen“, sagt Fritz Streletz, „und da stand: Die DDR hat die Transporte sicherzustellen.“

Unverrichteter Dinge zieht der Mann, den die Sowjets wegen seines im Russischen als Schimpfwort für Deutsche geltenden Vornamens „Fritz“ immer nur „Streletz“ nennen, wieder ab. Und die DDR sucht händeringend nach einem Ausweg aus dem Dilemma, zu müssen, was man nicht kann. Fritz Streletz lüftet eins der letzten Geheimnisse seiner DDR: „Daraufhin haben wir den Fährhafen Mukran gebaut.“ (mz)