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Interview  Cem Özdemir spricht über den Wahlkampf des Türkischen Premiers Yildirim in Oberhausen

Von Markus Decker 16.02.2017, 15:19
Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir spricht im Interview über den bevorstehenden Besuch vom türkischen Ministerpräsidenten Yildirim.
Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir spricht im Interview über den bevorstehenden Besuch vom türkischen Ministerpräsidenten Yildirim. dpa

Berlin - Herr Özdemir, der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim kommt am Samstag nach Oberhausen, um für die türkische Verfassungsreform zu werben. Was halten Sie davon?

Die Vokabel „Verfassungsreform“ ist ziemlich beschönigend. In Wahrheit geht es darum, dass die wohl letzte halbwegs demokratische Abstimmung in der Türkei stattfinden soll – mit dem Ziel, die Demokratie abzuschaffen. Ich finde jedenfalls geradezu skurril, dass der türkische Ministerpräsident keinerlei Skrupel hat, von unserer Demokratie zu profitieren, während er und seine Schergen im eigenen Land Oppositionelle hinter Gittern verschwinden lassen. Wenn er hier in Deutschland auftritt, dann erwarten wir, dass auch der Opposition in der Türkei die Möglichkeit gegeben wird, aufzutreten und Wahlkampf zu machen. Ich würde mir wünschen, dass ihm das auch Frau Merkel und Herr Gabriel sagen.

Kann man den Auftritt verhindern?

Das würde der türkischen Propaganda wohl erst recht in die Hände spielen. Ich würde aber auf jeden Fall verlangen, dass dem türkischen Oppositionsführer Selahattin Demirtas, der im Gefängnis sitzt, bitte schön die Möglichkeit gewährt wird, in diesen Wahlkampf noch einzugreifen. Die Wahl selbst ist de facto eine Farce, weil sich die Opposition nicht artikulieren kann. Die harschen Maßnahmen der AKP-Regierung sprechen für ein hohes Maß an Nervosität: Sie sind sich ihrer Sache keineswegs sicher und manche sprechen offen vom Bürgerkrieg im Falle eines „Nein“ zum Referendum.

Konservative fragen an dieser Stelle durchaus mit einem gewissem Recht, ob es überhaupt sein kann und darf, dass in Deutschland türkische Innenpolitik gemacht wird.

Dass man sich für die Türkei interessiert, ist nichts Unanständiges. Das darf man schon – im Rahmen der Gesetze. Und wenn man diese Frage schon stellt, dann auch richtig. Da wäre ebenso zu fragen, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow im Januar 2016 behaupten konnte, hier sei ein deutsches Mädchen entführt und geschändet worden – und obwohl sich das als Falschmeldung herausstellte, dennoch Tausende Menschen auf die Straße gingen.

Sie meinen den Fall der 13-jährigen Russlanddeutschen Lisa aus Berlin.

Ja. Da muss man sich fragen, wie es sein kann, dass eine ausländische Regierung einen Teil der deutschen Gesellschaft für eigene Zwecke zu instrumentalisieren versucht. Und zwar massiv: Im Fall Lisa hat sich die volle Wucht von „fake news“ gezeigt. Auch haben wir mit der AfD, mit Pegida und Legida Leute, deren Loyalität gegenüber Herrn Putin vermutlich größer ist als die Loyalität gegenüber unserer großartigen Verfassung. Wir werden das im Wahlkampf zum Thema machen – ob über das, was in Deutschland passiert, hier entschieden wird, oder ob es da welche gibt, die ihre Antennen in Richtung Ankara und Moskau ausrichten.

Fürchten Sie, dass es in Oberhausen Auseinandersetzungen geben wird?

Ich fordere alle Seiten auf, sich an unsere Gesetze zu halten und sich von jeder Art von Provokation oder gar Gewalt unmissverständlich zu distanzieren. Gegen friedliche Proteste ist natürlich nichts einzuwenden - im Gegenteil. Doch die Erdogan-Anhänger müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum sie die Rechte, die sie hier in Anspruch nehmen, in der Türkei Andersdenkenden verwehren.

Wenn Erdogan gewönne, wäre die türkische Demokratie am Ende?

De facto ist sie es jetzt schon. Aber das wäre die formale Finalisierung dieses Prozesses. Selbst wenn mit dem wirtschaftlichen Abschwung, den wir gerade in der Türkei beobachten, die Unterstützung für Erdogan zurückgehen sollte, würde man ihn mit der neuen Verfassung so schnell nicht mehr loswerden. Letztendlich wäre alles auf ihn zugeschnitten. Soviel Macht wie er hatten nicht mal die Militärs nach dem Militärputsch. Und das heißt schon was.

Das Gespräch führte Markus Decker