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Bundesweite Razzien Bundesweite Razzien: Radikalisierung rechtsextremer "Reichsbürger" birgt Gefahren

Von Markus Decker 25.01.2017, 16:13
Eine preussische Flagge hängt in einem während der Razzien durchsuchten Häuser.
Eine preussische Flagge hängt in einem während der Razzien durchsuchten Häuser. dpa

Nach bundesweiten Razzien gegen Rechtsextremisten hat die Bundesanwaltschaft zwei Verdächtige vorläufig festnehmen lassen. Darunter ist nach dpa-Informationen ein 62 Jahre alter Hauptverdächtiger aus Schwetzingen nahe Heidelberg.

Verdächtiger soll Bewegung der „Reichsbürger“ nahestehen

Er soll der Bewegung der „Reichsbürger“ nahestehen. Mit einem weiteren Mann ist er dringend verdächtig, eine rechtsextreme Terrorvereinigung gegründet zu haben. Ob es sich bei diesem um einen während einer Durchsuchung in Berlin-Moabit Festgenommenen handelt, sagte die Bundesanwaltschaft nicht. Bei den Razzien wurden Waffen, Munition und Sprengmittel gefunden. Sie hatten am Mittwochmorgen in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt begonnen.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt insgesamt gegen sechs Verdächtige wegen Bildung einer rechten Terrorvereinigung. Die Männer im Alter zwischen 35 und 66 Jahren sollen Anschläge auf Juden, Asylbewerber und Polizisten in Deutschland geplant haben. Erkenntnisse zu konkreten Anschlagsplänen gebe es jedoch nicht. Ein weiterer Mann soll die Gruppe unterstützt haben.

Sicherheitskreise bestätigten Medienberichte, wonach der Hauptverdächtige sich als „keltischen Druiden“ bezeichnet. Unklar war zunächst, ob noch weitere „Reichsbürger“ unter den Verdächtigen sind. Sie erkennen die Bundesrepublik nicht an und behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort.

Bundesweit 10.000 Reichsbürger

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, bezifferte die Zahl der Reichsbürger gestern bundesweit mit 10000. Bei 500 bis 600 Personen davon handele es sich um Rechtsextremisten. Sorge bereite dem Verfassungsschutz „die erhebliche Gewaltbereitschaft und gestiegene Aggressivität dieser Szene“, sagte er.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, warf der Bundesregierung unterdessen vor, sie habe die Aktivitäten zu lange ignoriert. „Die Rolle der Reichsbürger im Zusammenhang mit rechtem Terror war viel zu lange unterbelichtet, auch weil ihre Gefährlichkeit seitens des Verfassungsschutzes lange bestritten wurde“, beklagte sie.

Dies habe zu einer echten Gefahr geführt. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, erklärte dieser Zeitung: „Ich halte die bundesweite Beobachtung der Reichsbürger-Szene durch den Verfassungsschutz für essentiell. Bislang handelt es sich um eine sehr heterogene Szene, deren Mitglieder zum Teil in Konkurrenz zueinander stehen. Der Staat muss verhindern, dass sich ein Netzwerk daraus entwickeln kann.“

Radikalisierung innerhalb der Szene ist besorgniserregend

Der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner, Gründer der Aussteigerinitiative Exit Deutschland, sagte dieser Zeitung: „Die Szene ist komplex. Aber es gibt Leute, die sich zunehmend radikalisieren und die Zugriff auf Waffen und Sprengstoff haben. Die sind sicherheitsmäßig relevant.“ Er fügte hinzu: Mit Anschlägen muss man rechnen.“ Für die rechtsextremistische Szene insgesamt sei durch die hohe Zahl von Flüchtlingen „eine neue historische Lage entstanden. Sie bietet ihnen Anlass, mehr Energie zu investieren, um die vermeintliche Apokalypse aufzuhalten. Und es gibt Gruppen, die versuchen, sich terroristische Fähigkeiten zu erwerben.“

Sicherheitsbehörden und Justiz waren zuletzt gegen zwei rechtsextremistische Gruppen vorgegangen: die „Oldschool Society“ sowie die „Gruppe Freital“. Der „Gruppe Freital" wird versuchter Mord und die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.

2016 verzeichnete der Verfassungsschutzbericht insgesamt 42,2 Prozent mehr Gewalttaten mit rechtextremistischem Hintergrund. Die Mehrzahl der Täter gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte war zuvor nicht rechtsextremistisch in Erscheinung getreten. Oft kamen sie aus der Nachbarschaft. Allerdings wirkt die Flüchtlingsfrage auf die Szene enorm mobilisierend. Seit langem herrscht die Sorge, dass sich daraus vergleichbare terroristische Strukturen ergeben, wie es sie im vorigen Jahrzehnt mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gegeben hat.