Bundestags-Kandidaten Bundestag: Interessante Neulinge aus allen Parteien

Berlin - Wie der nächste Bundestag im Detail zusammengesetzt sein wird, weiß man erst nach der Wahl. Aber die Parteien folgen bei der Verteilung der Sitze ihren jeweiligen Landeslisten – so dass einiges über den kommenden Bundestag schon jetzt bekannt ist. Zum Beispiel wird er, bestätigen sich die aktuellen Meinungsumfragen, je nach der Zahl der Direktmandate zwischen 639 und 670 Abgeordnete umfassen.
Die mit Abstand größte Fraktion wird erneut die Union stellen – allerdings wird sie sich bei einem Einzug von FDP und AfD deutlich von derzeit 309 auf dann rund 270 Köpfe verkleinern. Der SPD kämen etwa 150 Sitze zu (derzeit 193), den Grünen und Linken je etwa 54 statt bisher 63 und 64. Mit ebenso vielen Sitzen könnten FDP und AfD bei einem Einzug rechnen, den die Umfragen derzeit ankündigen. Ein knappes Drittel der künftigen Abgeordneten wird neu einziehen, wobei viele davon bereits über Parlamentserfahrung besitzen: aus Landtagen, Europaparlament oder aus früheren Legislaturperioden im Bundestag – was besonders für die FDP zutrifft
Die meisten Neulinge werden aus NRW kommen (rund 40) , was daran liegt, dass das bevölkerungsreichste Bundesland die größte Landesgruppe im Bundestag stellt.
Absehbar ist zudem, dass im nächsten Bundestag so wenige Frauen sitzen werden wie zuletzt vor 15 Jahren: weniger als ein Drittel. Nach einem Rekordfrauenanteil von 37,1 Prozent im scheidenden Bundestag wird künftig mit 31 Prozent gerechnet. Grund ist der geringe Anteil bei Union und FDP von je rund 20 Prozent und bei AfD von rund 10 Prozent Frauen.
Elvan Korkmaz (SPD) – Die Senkrechtstarterin
In ihrer nordrhein-westfälischen Heimat gilt die 32 Jahre alte Elvan Korkmaz als politisches Talent, das gerade steil nach oben klettert. Ihren Einzug in den Bundestag im Herbst sieht man in der NRW-SPD nun als nächsten folgerichtigen Zwischenschritt.
In der Landespartei ist Kormaz immerhin schon seit drei Jahren eine von vier Vize-Parteichefs – wozu sie 2014 mit 90 Prozent der Stimmen gewählt wurde: als gerade 29-Jährige nach nur drei Jahren SPD-Mitgliedschaft, und das nicht etwa als Landtags-, sondern als Kreistagsabgeordnete. Kormaz, in Gütersloh geboren und aufgewachsen, ist studierte Verwaltungswirtin – seit 2014 lehrt sie im Nebenjob inzwischen selbst an der Fachhochschule Bielefeld – und arbeitete nach dem Studium zunächst im Jobcenter Bielefeld, später für die Stadtverwaltung.
Ihre ersten Schritte in die Politik machte sie in der Jugendarbeit: mit 25 war sie bereits ehrenamtliche Generalsekretärin des Bundes der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland mit 150 Vereinen und mehr als 20 000 Mitgliedern. Als Bundestagskandidatin mit nahezu sicherem Listenplatz will sie künftig nicht nur ihrem Wahlkreis in Gütersloh „eine starke Stimme im Bund geben“, sagt sie, sondern sich zudem für sozialdemokratische Klassiker einsetzen: kostenlose Kitas, bessere Jugendbildung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit – aber auch für mehr Prävention und Polizei, um die innere Sicherheit zu erhöhen. So könnte sie ihr Weg im Bundestag sowohl in die Familien- wie die Innenpolitik führen.
Paul Ziemiak (CDU) – Der Merkel-Kritiker
Für ihn wird es knapp: Mit Platz 11 der NRW-Landesliste seiner Partei hängt der Einzug von Paul Ziemiak in den Bundestag davon ab, wie stark die frisch zur Landesregierungspartei aufgestiegene CDU in NRW wird, wie viele andere Fraktionen es geben wird und wie groß diese ausfallen – und wie viele Sitze die NRW-CDU allein durch Direktmandate holt.
Fallen die Würfel für Ziemiak günstig, wird künftig wieder ein Vorsitzender der CDU-Jugendorganisation Junge Union im Bundestag sitzen. Der in Polen geborene Ziemiak wird nach der Wahl 32 Jahre alt sein, zog 1988 mit seinen Eltern nach Iserlohn und trat elf Jahre später in die Junge Union ein – CDU-Chef war da gerade der Kurzzeit-Vorsitzende Wolfgang Schäuble. Als JU-Chef – eine Rolle, die fürs konservative Profil der Union steht – hielt er verbal oft Distanz zur Kanzlerin: kritisierte die Rentenbeschlüsse ihrer Koalition als Benachteiligung der jungen Generation; war im Streit um ihre Flüchtlingspolitik auf Seehofer-Linie; forderte, die Union dürfe im Wahlkampf „keine One-Woman-Show“ sein. Im Ernstfall zählt freilich auch die JU zum Kanzlerwahlverein, sodass es bei verbaler Distanzierung blieb.
Für ein paar markige Sprüche war Ziemiak aber immer gut, etwa für hartes Durchgreifen gegen Islamisten: „Wer die Scharia mehr achtet als das Grundgesetz – da hilft kein Integrationskurs, da hilft nur Gefängnis.“ In der neuen Fraktion würde er sich für die Bereiche Bildung, Energie oder Digitalisierung interessieren.
Joachim Herrmann (CSU) – Seehofers neuer Statthalter
In Bayern wird die Union so viele Direktmandate holen, dass kaum noch ein Kandidat über die Landesliste in den Bundestag kommt – einem aber dürfte es, auch dank Listenplatz 1, nicht nur gelingen, er will dann auch nach einem Ministeramt greifen: Joachim Herrmann, CSU, Noch-Innen- und Verkehrsminister Bayerns und Wunschkandidat von Parteichef Horst Seehofer. Das ist auch ein Signal an die Merkel-CDU und alle potenziellen Koalitionspartner: Wenn es um die innere Sicherheit geht, stellt die CSU sogar einen ihrer in Bayern prominentesten Köpfe ab.
Joachim Hermann, 60, gilt dabei als Hardliner. Dass er Bundesinnenminister werden will, richte sich aber, behauptet Seehofer, nicht gegen den Amtsinhaber von der Schwesterpartei, Thomas de Maizière . Herrmann sagt, er erfahre für den innenpolitischen Kurs der CSU viel Unterstützung. Bayern sei ein Musterbeispiel für die innere Sicherheit. „Ich kenne die Situation in anderen Bundesländern und im Bund und weiß: Es kann mehr Sicherheit geben.“ Dazu brauche es enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Zwar wird es wohl keine Obergrenze für Asylanträge geben, auch wenn die CSU dafür wirbt.
Doch Herrmann nennt die CSU als Garant dafür, dass es in der Flüchtlingspolitik eine Situation wie 2015 nicht noch einmal gebe. Damals kamen Hunderttausende Asylsuchende nach Deutschland, bis wieder Grenzkontrollen eingeführt wurden. „Ich bin das klare personelle Angebot, dass sich auch auf Bundesebene so etwas nicht wiederholt“, wirbt der künftige CSU-Spitzenmann in Berlin.
Wolfgang Kubicki (FDP) – Das Enfant terrible
Wenn die Liberalen es zurück in den Bundestag schaffen, werden unter den rund 60 Abgeordneten einige Neulinge sein sowie einige, die nur vier Jahre vom Bundestag pausiert haben; aber auch Neulinge mit viel Erfahrung in anderen Parlamenten – etwa der langjährige Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff oder eben Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein.
Der beliebte Talkshowgast ist neben seinem Landtagsmandat in Kiel und seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nun seit fast vier Jahren auch Bundesvize der FDP, inzwischen 65 Jahre alt und damit offenbar auch moralisch gefestigt genug für den Wechsel nach Berlin. „Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock“, hatte er der Zeit noch 2010 gesagt. „Ich bin inzwischen zum dritten Mal verheiratet, und ich will auf keinen Fall auch diese Ehe ruinieren.“ Bei Abendterminen und nach Feierabend drohe zudem erhöhter Alkoholkonsum, er aber wolle seine politische Karriere auch überleben.
Politisch hat der joviale Kubicki nun schon lange überlebt: Mehr als 20 Jahre ist er Fraktionschef in Kiel, hatte mit seinem Freund Jürgen Möllemann 2002 das „Projekt 18“ erdacht, das den FDP-Wert bei der Bundestagswahl verdreifachen sollte, aber scheiterte. Kubicki schadete das ebenso wenig wie sein loses Mundwerk: Schafft es die FDP sogar in eine Regierung, würde er wohl Minister werden. Politisch gilt Kubicki als flexibel: Er warb schon oft für sozialliberale Koalitionen mit der SPD – klingt derzeit aber so, als würde er nach der Wahl gern eine schwarz-gelbe Regierung sehen.
Canan Bayram (Grüne) – Die neue Ströbele
Auch die Grünen werden im nächsten Bundestag schrumpfen, so dass die wenigen Listenplätze intern noch heftiger umkämpft waren und dadurch weniger als zehn neue Gesichter unter den künftigen Abgeordneten sein werden. Canan Bayram aus Berlin-Kreuzberg wird wohl die einzige Grüne mit Direktmandat sein – im Wahlkreis von Hans-Christian Ströbele, der aus Altersgründen aufhört und dessen Nachfolge sie sich erkämpfte. Bayram wurde 1966 in der Türkei geboren, ist am Niederrhein aufgewachsen und sitzt derzeit für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Wie bisher auf Landesebene will sie sich für Integration, Flüchtlinge und Anti-Diskriminierung einsetzen. Als sie 2003 nach Berlin ging, zog die Anwältin bewusst nach Friedrichshain: der Osten Berlins erschien ihr spannender. Als sie 2006 ins Landesparlament kam, war sie noch SPD-Mitglied – aus Frust über deren Frauen-, Migrations- und Verkehrspolitik wechselte sie 2009 zu den Grünen.
Inhaltlich liegt Canan Bayram auf einer Wellenlänge mit dem Ur-Grünen Ströbele, der so oft gegen Fraktionslinie stimmte wie wohl kein anderer im Bundestag. Bayram erregte sie bundesweit Aufmerksamkeit, als sie beim grünen Wahlparteitag schimpfte, die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir erinnerten sie „an Ortsvereins-Vorsitzende der CDU“.
Wilhelm von Gottberg (AfD) – Der Rechtsaußen
Wenn die AfD es im zweiten Anlauf schafft, in den Bundestag einzuziehen, findet sich dort fast jeder wieder, der in der Partei Rang und Namen hat: Bundeschefin Frauke Petry, die Landeschefs von NRW, Markus Pretzell, Berlin, Beatrix von Storch, Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm, Bundesvize und Brandenburg-Chef Alexander Gauland und und und. Es gibt aber einen AfD-Politiker, der im Bundestag schon etwas bewirkt, ehe er einzog: Wilhelm von Gottberg, einst CDU und langjähriger Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen, nun Listenplatz 4 in Niedersachsen.
Weil er mit 77 im Herbst der älteste Abgeordnete sein dürfte, wäre er nach bisheriger Regelung Alterspräsident geworden und hätte die Eröffnungsrede zu halten. Ihm werden zumindest relativierende Äußerungen über den Holocaust vorgeworfen – teilweise Schlimmeres. Schon als CDU-Mitglied pflegte er Kontakte zum rechten Rand. Gottberg hatte den Holocaust einst als „wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen“ bezeichnet und nun in seiner Bewerbungsrede beim AfD-Parteitag gefordert, den „Kult mit der Schuld zu beenden“. Um derlei nicht in einer Legislatur-Eröffnungsrede wiederzufinden, änderte der Noch-Bundestag die Kriterien für den Alterspräsidenten: Wie in Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt fällt die Rolle nun dem Dienstältesten zu, wahrscheinlich Wolfgang Schäuble.