Reformationsjubiläum Bundespräsident Gauck: Staatsoberhaupt besucht Stadtkirche in der Lutherstadt Wittenberg

Wittenberg - Man weiß nicht, ob Joachim Gauck drei Kreuze gemacht hat, als es endlich raus war. Als der Bundespräsident, gut zwei Wochen ist das jetzt her, verkündete, er werde nicht antreten für eine zweite Amtszeit. Nun sind die drei Kreuze jedenfalls da, neben Gauck, im Wittenberger Luthergarten.
Eins ist in die Erde eingelassen, zwei scheinen darüber zu schweben, was sie natürlich nicht tun, sie ruhen auf Pfeilern. „Himmelskreuz“ heißt die Skulptur, eine tonnenschwere silbrig glänzende Stahlkonstruktion, die ein wenig an Flugzeug-Tragflächen auf Stelzen erinnert. Deutschlands erster Mann zieht gemeinsam mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und zwei Vertretern des Lutherischen Weltbundes (LWB) an weißen Bändern, Stoffbahnen rutschen von der Skulptur, schon ist sie eingeweiht.
Mittwochnachmittag, die Sonne lacht, die feierliche Enthüllung ist der öffentliche Höhepunkt von Gaucks Besuch in Wittenberg. Eigentlich beehrt das Staatsoberhaupt den Lutherischen Weltbund. Die internationale Vereinigung lutherischer Kirchen - 72 Millionen Gläubige aus 98 Ländern - hält hier ihre Ratstagung ab. Es geht, natürlich, um das bevorstehende Reformationsjubiläum, um Ökumene, um die ganz großen Fragen. Abseits davon ist Gaucks Visite aber auch schlicht einer seiner ersten öffentlichen Auftritte nach seiner Rückzugsankündigung.
Man kann sich also fragen, ob da jetzt ein anderer Bundespräsident nach Wittenberg kommt, ob er befreit wirkt von einer Last. Oder ob er nun zu einer „lame duck“ wird, wie die Amerikaner sagen, zu einer lahmen Ente, einem Präsidenten auf Abruf. Im Grunde ist er das ja, bloß: Man merkt nichts davon.
Zwei Stunden vor der Skulptur-Enthüllung. Marktplatz, Stadtkirche, Eröffnungsgottesdienst der Lutheraner-Tagung. Gauck, dunkelblauer Anzug, mittelblaue Krawatte, geht gemessenen Schrittes zum Rednerpult, wie immer leicht gebeugt. In seinem Grußwort läuft er zu großer Form auf.
Er spannt einen Riesenbogen von der in Wittenberg zum ersten Mal auf Deutsch gehaltenen - und damit für alle verständliche - Heiligen Messe als Initialzündung für unsere demokratische Bürgergesellschaft bis hin zur inneren Freiheit des Menschen, der von Gott angenommen ist und eigenverantwortlich handelt. Da spricht der Theologe, der Gauck ist, von seinem Lebensthema, der Freiheit.
So viele wollten Gauck sehen
Hinten im Kirchenschiff, unter der Orgelempore, sitzt Eva Schwarzbach und hört aufmerksam zu, ein großes Kreuz baumelt an einer Kette um ihren Hals. Sie ist - und das hat sich der liebe Gott oder der Weltgeist oder wer auch immer wirklich hübsch ausgedacht - aus Eisleben nach Wittenberg gekommen.
Lutherstadt trifft Lutherstadt. Sie habe sich mal Wittenberg anschauen wollen, erzählt sie, und dann im Autoradio erfahren von Gauck und dem Gottesdienst. Nun ist sie hier. „Ich dachte, das ist nur für geladene Gäste, aber ich bin ganz einfach reingekommen.“
Klar, sagt sie, sie habe Gauck mal hören wollen, gerade jetzt, wo er doch in ein paar Monaten aus dem Amt scheidet. Damit ist sie offenbar nicht allein. Das Kirchenschiff jedenfalls ist voll, wie auch der Luthergarten, ein Park am Rande der Wittenberger Altstadt.
Die Wittenberger sind neugierig, auf den Bundespräsidenten und auf das „Himmelskreuz“. Der Luthergarten ist so etwas wie ein Kind des Lutherischen Weltbundes. Neben der neuen Skulptur stehen fast 300 Bäume, gespendet von Kirchen verschiedener Konfessionen aus aller Welt. Im kommenden Jahr, rechtzeitig und passend zum Jubiläum sollen es 500 Bäume sein - quasi ein Garten der Ökumene.
Mit der ist es im Eröffnungsgottesdienst noch nicht so weit her. Das Vaterunser ist gebetet, entboten der Friedensgruß, bei dem man den Nachbarn kurz drückt oder ihm wenigstens die Hand schüttelt. Nun ist das Abendmahl dran. Während Gauck als einer der ersten gen Chorraum strebt und etliche Besucher ihm folgen, muss einer auf der Kirchenbank in der ersten Reihe sitzen bleiben: Reiner Haseloff. Der Ministerpräsident darf nicht teilnehmen, er ist Katholik. Ein gemeinsames Abendmahl von Protestanten und Katholiken aber ist noch ein Tabu in den christlichen Kirchen. (mz)