Gesundheitsminister Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Ehrgeizig kontrovers und Experte - Spahn will sein Amt aufwerten

Berlin - Die Stimmung ist angespannt. Kein Wunder: Wenn der Chef wechselt, wissen die Mitarbeiter nicht, was auf sie zukommt. Insbesondere dann, wenn der Neue erst 37 Jahre alt ist und nicht wie sein Vorgänger ein abwägender, eher zurückhaltend auftretender Politiker ist, sondern jemand, der gern im Rampenlicht steht und provoziert. Gerade erst hat er die halbe Republik mit seinen Aussagen über ein auskömmliches Leben mit Hartz-IV empört. Nun steht Jens Spahn im Atrium des Bundesgesundheitsministeriums in der Berliner Friedrichstraße und versucht es mit einem lockeren Spruch: „Was ich ab und zu brauche, ist eine kontroverse Debatte“, sagt der neue Hausherr mit einem unschuldigen Lächeln, was für Heiterkeit sorgt und die Spannung etwas löst: „Nichts ist doch langweiliger, als wenn alle derselben Meinung sind.“
Aber auch der sich sonst so cool gebende Spahn ist sichtlich nervös; so eine Amtsübergabe ist schließlich auch menschlich eine heikle Angelegenheit: Spahn verdrängt Hermann Gröhe, ebenfalls CDU, für den kein Platz mehr im Kabinett war. Es ist schon das zweite Mal, dass Gröhe dem forschen jungen Mann unterliegt: 2014 hatte Spahn dem Ex-Minister in einer Kampfabstimmung den Platz im CDU-Präsidium abgenommen. Nun dankt er Gröhe schnörkellos: „Lieber Hermann, heute ist kein leichter Tage für Dich“, sagt er und lobt seinen Vorgänger. „Ich übernehme ein wohl bestelltes Haus.“
Spahn ein profunder Kenner des Gesundheitssystems
Gröhe stellt Spahn in seiner Abschiedsrede als jemanden vor, der über Jahre „die Gesundheitspolitik in Deutschland erfolgreich mitgeprägt hat.“ Das ist tatsächlich selten bei einer Amtsübergabe: Oftmals haben neuen Minister zunächst nur wenig Ahnung von ihrem Ressort. So war es zum Beispiel bei den Amtsvorgängern Philipp Rösler (FDP) und Ulla Schmidt (SPD), auch viele Ressortkollegen Spahns im Kabinett Merkel IV sind neu in ihren Fachgebieten.
Spahn ist dagegen ein profunder Kenner des Gesundheitssystems, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist: Kaum ein Bereich ist so durchreguliert und vermachtet wie das Gesundheitswesen. Nirgendwo ist die Zahl der Lobbyisten, die an den Türen des Ministeriums kratzen und Abgeordnete bearbeiten, so groß wie hier. Spahn, der schon zwölf Jahre Gesundheitspolitik im Bundestag betrieben hat, hat es bisher geschafft, eine gewisse Äquidistanz zu allen Interessenvertretern zu halten. Auch eine ihm nachgesagte besondere Nähe zur Pharmaindustrie ist in seinem bisherigen politischen Agieren nicht erkennbar: Er hat maßgeblich mitgeholfen, dass die Pharmaindustrie die Preise neuer Medikamente nicht mehr völlig frei bestimmen darf.
Sprungbrett ins Kanzleramt
Dass der ehrgeizige Spahn vorhat, seinen neuen Posten als Sprungbrett ins Kanzleramt zu nutzen, hat er schon in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Interviews, in denen er sich zur gesamten Bandbreite politischer Themen geäußert hat, klar gemacht. Und bei der Amtsübergabe lässt er keinen Zweifel daran, dass er aus seinem Amt mehr machen will als seine Vorgänger: „Der übliche Spruch: ´Mit Gesundheit kann man keine Wahlen gewinnen, aber Wahlen verlieren´ ist mir viel zu defensiv“, sagt er. Schließlich seien Pflege und Gesundheit die großen gesellschaftlichen Themen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Außerdem seien es die Bereiche, die wie keine anderen mit dem Alltag der Menschen verbunden seien.
Seine wichtigsten Ziele für die „dreieinhalb Jahre, denn ein halbes Jahr fehlt uns ja leider schon“: Die Wartezeiten auf einen Arzttermin verkürzen, die Arbeitsbedingungen für die Pflegenden zu verbessern und die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben, wobei er hier den Beamten eine gewisse Scheu unterstellt. „Ich stelle mir vor, dass wir einmal im Quartal Start-ups ins Ministerium einladen, die hier ihre Apps vorstellen“, bietet Spahn an und wirbt darum, dass die Mitarbeiter mitziehen: „Ich brauche Sie.“
„Nicht das Paradies versprechen“
Dann ist er weg, der erste offizielle Termin führt ihn zu einer Fachveranstaltung der Krankenhäuser, bei der es um so komplizierte Themen wie die sogenannten Fallpauschalen geht. Schon kurz darauf der nächste Auftritt auf dem Deutschen Pflegetag, wo sich trifft, wer in der Pflegeszene Rang und Namen hat. Kein leichter Termin, denn die Pflegekräfte, die unter stressigen Arbeitsbedingungen und einer niedrigen Bezahlung leiden, wurden schon oft von der Politik mit Versprechen hingehalten.
Spahn versucht das gar nicht erst: „Ich weiß genau, welche Rede ich hier halten müsste, damit alle auf die Sessel springen und der Saal tobt.“ Doch er wolle realistisch bleiben und „nicht das Paradies versprechen“. Sein Ziel sei, flächendeckend Tariflöhne und angemessene Personaluntergrenzen in den Pflegeeinrichtungen durchzusetzen. Das sei aber alles andere als einfach, versucht er zu bremsen.
Und dann verkündet Spahn eine Personalentscheidung, die das Publikum jubeln lässt: Zum Pflegebeauftragten der Bundesregierung will er keinen Politiker mehr ernennen, sondern einen Experten aus der Pflege: Andreas Westerfellhaus, der lange den Pflegepersonal-Dachverband Deutschen Pflegerat geführt hat und in der Branche einen sehr guten Ruf genießt. Kritiker einzubinden, hat sich schon oft als strategisch sinnvoll erwiesen. Spahn, so sieht es schon am ersten Tag im Amt aus, hat tatsächlich noch viel vor.