"Bündnis Sahra Wagenknecht" Offiziell: Wagenknecht verlässt die Linke und gründet eigene Partei - erster Funktionär in Sachsen-Anhalt
Jahrzehntelang war sie in der Linken, jetzt geht Sahra Wagenknecht ihren eigenen Weg. Ein neuer Verein bereitet die Gründung einer eigenen Partei vor und nimmt Wagenknecht-Unterstützer aus der Linken mit.
Berlin/DUR/dpa - Die Politikerin Sahra Wagenknecht verlässt die Linke und gründet ihre eigene Partei. "Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden", sagte Wagenknecht am Montag in Berlin. Sie sei überzeugt, so wie es im Land laufe, dürfe es nicht weitergehen.
Die Entscheidung für die Partei sei gefallen, sagte auch die bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali. Es sei der Zeitpunkt gekommen, die Linke zu verlassen, fügte sie hinzu.
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Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht will neue Partei gründen
Der Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" wurde gegründet, um eine neue Partei vorzubereiten, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. In Deutschland werde seit Jahren "an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert".
Statt Leistung zu belohnen, werde von den Fleißigen zu den oberen Zehntausend umverteilt. Lobbywünsche würden bedient und öffentliche Kassen geleert. Beklagt wird ein "autoritärer Politikstil". Industrie und Mittelstand stünden auf dem Spiel.
"Viele Menschen haben das Vertrauen in den Staat verloren und fühlen sich durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten", heißt es in der Erklärung weiter.
Was bedeutet Wagenknechts neue Partei für Sachsen-Anhalt?
Die Vorsitzende der sachsen-anhaltischen Linken-Landtagsfraktion, Eva von Angern, erwartet keine Wechsel in die angekündigte neue Partei von Sahra Wagenknecht. „Kein Mitglied meiner Fraktion wird zur Wagenknechtpartei gehen“, erklärte von Angern am Montag auf Anfrage.
Erster Funktionär für die Wagenknecht-Partei in Sachsen-Anhalt ist der Magdeburger John Lucas Dittrich, der am Montag seinen Austritt aus der Linkspartei und den Wechsel in das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ verkündete. Dittrich zählt zur Parteiströmung „Sozialistische Linke“ und ist Mitglied in deren Bundesspitze, dem „BundessprecherInnenrat“.
Umfragen räumen Wagenknecht-Partei gute Chancen ein
Einer Insa-Umfrage für "Bild am Sonntag" zufolge könnten sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit Unsicherheiten behaftet.
Wagenknecht-Austritt: Linken-Fraktion im Bundestags vor Auflösung
Mit der Partei-Neugründung durch Wagenknecht steht die Bundestagsfraktion der Linken vor dem Aus. Schon drei Austritte reichen und die Linke verliert den Fraktionsstatus und kann nur noch als Gruppe im Bundestag agieren. Das würde deutlich weniger parlamentarische Mitbestimmung und weniger Geld bedeuten. Über 100 Mitarbeiter wären betroffen.
Die bisherige Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali, Teil der Wagenknecht-Gruppe, kündigte an, Wagenknecht und ihre Unterstützer seien "bereit, in der Linksfraktion zu verbleiben". Es gilt jedoch als wenig wahrscheinlich, dass die Partei sich darauf einlässt. Die Linke-Parteispitze will gegen die Wagenknecht-Mitstreiter vorgehen. Gegen die Beteiligten des Vereins BSW sollen Parteiausschlussverfahren eingeleitet werden.
Aus Sachsen-Anhalt gehören Petra Sitte und Jan Korte zur Linken-Fraktion im Bundestag. Beide wollen nach bisherigem Stand in der Linken bleiben - wie auch alle anderen Ostdeutschen Linke-Abgeordneten.
Wer geht mit Wagenknecht?
Zur Präsentation saßen neben Wagenknecht unter anderem die bisherige Co-Vorsitzende der Linksfraktion Amira Mohamed Ali, Wagenknechts Vertrauter und Fraktionskollege Christian Leye und der ehemalige Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, Lukas Schön auf dem Podium.
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Ali zufolge hätten sich neun Bundestagsabgeordete Wagenknecht angeschlossen. In der Fraktion der Linken zählen die Abgeordneten Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Sevim Dagdelen und Jessica Tatti zu ihrem Umfeld. Eine Mehrheit in der Partei trägt ihre Positionen nicht mit.
Was haben Wähler von einer Wagenknecht-Partei zu erwarten?
Anders als die Linke fordert Wagenknecht eine Begrenzung der Zahl von Geflüchteten und den Import billiger fossiler Energie wie Erdgas aus Russland. Die Russland-Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs lehnt sie ab ebenso wie Waffenlieferungen an die Ukraine.
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Während die Linke den Kampf gegen den Klimawandel beschleunigen will, kritisiert Wagenknecht, Wärmepumpe und E-Auto seien nur etwas für Besserverdienende. Der Linken-Politiker Gregor Gysi beschreibt ihre Positionen so: „Sie will mischen: Sozialpolitik wie die Linke, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Flüchtlingspolitik wie die AfD.“
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Sie selbst sagt: „Viele fühlen sich von keiner Partei mehr vertreten und wählen aus Verzweiflung AfD. Ich fände es gut, wenn diese Menschen wieder eine seriöse Adresse hätten.“ Ein konkretes Programm hat sie noch nicht vorgelegt.
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Wie gründet man überhaupt eine Partei?
Das Bundesinnenministerium schreibt dazu: „Eine Partei kann grundsätzlich auf zweierlei Weise entstehen, nämlich durch Gründung oder durch Umwandlung einer bereits bestehenden Vereinigung in eine Partei.“ Bei einer Gründung müsse sie neben einer Satzung auch ein Programm beschließen.
Parteien sind mehr als ein Verein oder eine Bürgerinitiative, das Grundgesetz schreibt ihnen eine besondere Rolle „bei der politischen Willensbildung des Volkes“ zu. Weil die Verfassung sie wichtig findet, erhalten sie staatliche Unterstützung - wenn sie bei Wahlen ein Mindestmaß an Erfolg haben. Dann erhalten sie für jede Stimme jährlich 83 Cent, dazu 45 Cent für jeden Euro aus Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträgen oder Spenden.
Was bedeutet die neue Wagenknecht-Partei für die Linke?
Die Linke erzielte bei der Bundestagswahl 2021 nur 4,9 Prozent der Stimmen und zog nur dank drei Direktmandaten wieder in den Bundestag ein.
Auch die jüngsten Landtagswahlergebnisse fielen mit 2 bis 3 Prozent sehr schwach aus. Wahrscheinlich ist, dass Wagenknecht der Linken künftig weitere Stimmen abnimmt.
Die Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler hoffen hingegen auf ein „Comeback“, wenn der Richtungsstreit mit Wagenknecht endlich vorbei ist.
Und was bedeutet das für die übrigen Parteien?
Einer neuen Umfrage des Instituts Insa für die „Bild am Sonntag“ zufolge könnten sich 27 Prozent der Menschen in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Ob sie das Potenzial wirklich ausschöpft, hängt wohl vom tatsächlichen Programm ab und davon, ob sich die Partei wirklich bundesweit etablieren und organisieren kann.
Klar ist die auch von Wagenknecht formulierte Konkurrenz zur AfD. Diese vertritt ähnliche Positionen bei Migration oder bei der Kritik an Russland-Sanktionen. In der Sozial-, Steuer- und Europapolitik unterscheiden sich die Ziele.