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Bombe am Bonner Hauptbahnhof Bombe am Bonner Hauptbahnhof: Anschlag war Reaktion auf "Pro NRW"

Von Detlef Schmalenberg 16.03.2014, 19:54

Köln - Genau 29 Minuten soll es dauern, bis die Bombe hochgeht. Genug Zeit, um unerkannt zu verschwinden. Aber so kurz wie möglich, damit der Sprengsatz nicht entdeckt wird. Versteckt in einer blauen Sporttasche, hat Marco G. ihn am 10. Dezember 2012 unter einer Sitzbank auf Gleis 1 am Bonner Bahnhof deponiert.

Den Wecker für den Zeitzünder hat er mit einer 20 Zentimeter langen Rohrbombe verbunden. An der Metallröhre, gefüllt mit etwa 115 Gramm einer hochexplosiven Chemikalienmischung, sind durch Klebeband vier Gaskartuschen befestigt. Im Umkreis von drei Metern, so werden Experten später feststellen, kann die Bombe Menschen töten. Aber der Sprengsatz, entdeckt von einem Reisenden, detoniert nicht. Womöglich wurde die "eher fragil" gebaute Zündvorrichtung durch einen Tritt gegen die Tasche beschädigt. Ein Konstruktionsfehler oder der fragile Bau des Zünder habe dazu geführt, dass die explosionsfähige Bombe nicht hochgegangen sei, heißt es in der Anklage gegen Marco G. Der radikal-islamistische Salafist soll laut Bundesanwaltschaft auch die Idee für ein Mordkomplott gegen die Spitze der rechtsextremen Partei "Pro NRW" gehabt haben. Mit drei Komplizen, mit denen er laut Anklage eine terroristische Vereinigung gegründet hat, habe er geplant, den Pro-NRW-Vorsitzenden Markus Beisicht am 13. März 2013 zu ermorden.

Auch das gescheiterte Attentat am Bonner Hauptbahnhof soll nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger" eine Reaktion auf die Aktivitäten der ultrarechten Partei gewesen sein. Im NRW-Landtagswahlkampf 2012 provozierte die Partei mit dem Slogan "Freiheit statt Islam". Im Frühjahr 2012 gab es 28 Kundgebungen vor Moscheen, bei denen auch islamkritische Karikaturen gezeigt wurden. Nach Veranstaltungen in Solingen und Bonn tauchten im Internet Tötungsaufrufe gegen Pro-NRW-Funktionäre auf. Besonders die Zurschaustellung der Karikaturen habe der 2008 zum Islam konvertierte G. als tiefe Beleidigung des Propheten und seiner Religion empfunden, heißt es in Unterlagen der Ermittler. Der 26-Jährige habe Videos aufgenommen, in denen er sagte, durch die Verwendung der Bilder sei eine rote Linie überschritten worden, die "Ungläubigen" hätten "den Krieg erklärt". Diejenigen, die den Propheten beleidigen, müssten getötet werden. Weil deutsche Gerichte die Wahlkampf-Aktionen der Rechtsextremen nicht verhindern konnten, habe sich die Wut des 26-Jährigen nicht nur gegen "Pro NRW", sondern generell gegen den deutschen Staat gerichtet. Deshalb habe er seit Sommer 2012 ein "weiches" Ziel gesucht, an dem er möglichst viele Menschen töten wollte.

Das Handwerkszeug für einen Terroristen ist erschreckend einfach zu finden. Seit Herbst 2011 habe G. im Internet Anleitungen für Terroranschläge gesucht. Er habe Stichworte wie "Bombengürtel" oder "Baumarktbombe" eingegeben. Zudem habe er sich Fachliteratur wie das "Lehrbuch der Sprengmeister" bestellt, heißt es in der Anklage. Dabei sei er auf ein explosives Gemisch aus Ammoniumnitrat und Nitromethan gestoßen, dass er beim gescheiterten Attentat auch verwendet habe. Alle notwendigen Substanzen habe er sich problemlos über das Internet beschafft. Einen Tag nach dem gescheiterten Anschlag soll G. mit einem seiner drei Komplizen den Wohnort eines Pro-NRW-Funktionärs in Ennepetal ausspioniert haben. Das Terror-Quartett habe eine Liste mit 28 Rechtsextremen erstellt. Ausgespäht wurde dem Vernehmen nach auch das Wohnumfeld der Kölner Pro-Funktionäre Markus Wiener, Jörg Uckermann und Julia Wolter. Das Haus von Parteichef Markus Beisicht in Leverkusen sei auf einer Skizze als "Haus des Unglaubens" bezeichnet worden, heißt es in der Anklage. Bei dem Mitverdächtigen Enea B. fand sich laut "Focus" ein Plan mit dem Arbeitstitel "Riconicion" (Albanisch: "Überprüfung/Aufklärung/Erkundung") zur Vorbereitung und zum Ablauf des Anschlags auf Beisicht.

Dass sie längst von den Ermittlungsbehörden observiert und abgehört wurden, merkten die Gotteskrieger nicht. Am Abend vor dem geplanten Attentat auf Beisicht sollen sie nach Informationen des "Kölner Stadt-Anzeiger" im Auto vor dessen Haus diskutiert haben, ob sie ihn mit einer Handgranate, einer Bombe oder einer Pistole töten sollen. Die Behörden, die mithörten, nahmen ihn und seine Komplizen einige Stunden später fest.