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Kommentar zur Berlin-Wahl Berlin-Wahl: SPD und CDU verlieren - Stadt könnte Modellfall für Deutschland werden

Von Thomas Kröter 18.09.2016, 17:53
Die Menschen zwischen Wannsee und Müggelspree treiben dieselben Sorgen um wie im Rest der Republik. 
Die Menschen zwischen Wannsee und Müggelspree treiben dieselben Sorgen um wie im Rest der Republik.  dpa

Berlin - In Berlin ging lange Zeit die Mär um, Frauke Petry und ihre Freunde hätten keine Chance. Metropole und Weltoffenheit, das schienen zwei Seiten derselben Medaille. Auf gut Berlinerisch: Denkste, Puppe! Denn die Menschen zwischen Wannsee und Müggelspree treiben dieselben Sorgen um wie im Rest der Republik.

Deutschland einig Vaterland des Missvergnügens an der herrschenden Politik. Denn selbst Angela Merkels treueste Anhänger können nicht leugnen: Vor allem ihre Politik der offenen Arme für Flüchtlinge ist es, die der AfD die Wähler in Scharen zutreibt. In Berlin noch weniger als andernorts, aber immer noch genug, um das hergebrachte Parteiengefüge durcheinanderzubringen.

Die Bundeskanzlerin wiederum scheint in der Nähe jenes Punktes angelangt, den sie vor einem Jahr in einer ihrer raren öffentlichen Gefühlsäußerungen so beschrieben hat: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

Längst lächelt Merkel den Flüchtenden nicht mehr so einladend entgegen wie damals. Unter dem Druck Horst Seehofers und seiner CSU interpretiert sie neuerdings sogar ziemlich verdruckst an ihrem „Wir schaffen das!“ herum. Gleichwohl ist sie nicht mehr die Kanzlerin, bei der sich die überwiegende Mehrheit der Menschen aufgehoben fühlt. Sicher, ehe sie zu jener „Mutti“ mutierte, bei der die Deutschen Sicherheit – vor allem vor Veränderungen – zu finden schienen, hätte die CDU-Chefin das Amt der Regierungschefin beinahe durch allzu emsigen Reformeifer verspielt. Doch die Zumutung ihrer Flüchtlingspolitik von heute stellt die Drohung mit seltsamen Steuer- und Krankenversicherungsreformen von damals weit in den Schatten.

Berlin - das Gespött des ganzen Landes

Keine Landtagswahl steht für bundespolitischen Protest in Reinkultur. Das war auch in Mecklenburg-Vorpommern und den anderen Ländern so, wo die neue Partei die alten das Fürchten lehrt. Aber einiges spricht dafür, dass die hausgemachten Effekte in Berlin von größerer Bedeutung sind als anderswo. Wer wohnt schon gern in einer Stadt, die mit ihrem „Pannenflughafen“ zum Gespött des ganzen Landes wird. Der Berliner Senat schneidet im Umfragen schlechter ab als alle anderen Landesregierungen. Der sozialdemokratische Wahlsieger hat 2016 etwa so viel Prozent erhalten wie die Christdemokraten, als sie 2001 wegen eines Bankenskandals abgewählt wurden, die CDU noch weniger.

Und dennoch könnte es sein, dass diese Stadt der Rekordverlierer zum Modellfall wird für Deutschlands politische Zukunft. Hier ist die große Koalition so weit geschrumpft, dass sie zu klein ist für eine Regierung. Nach Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt springen die beiden alten Volksparteien erneut zu kurz. Nicht „irgendwo im Osten“, sondern in der einzigen Weltstadt des Landes läuft nun alles auf eine rot-rot-grüne Regierung hinaus.

Berlin hat bereits Erfahrung mit einer Regierung aus SPD und Linkspartei. Keine schlechteren übrigens als mit dem Bündnis von SPD und CDU. Nun kann die Hauptstadt dem Rest der Republik zeigen, dass die „rote Ampel“ kein Bündnis zum Fürchten ist. Noch schreckt die SPD vor dieser Lösung auf Bundesebene zurück. Aber je weiter die Popularität der Kanzlerin schrumpft, umso größer die Versuchung für Sigmar Gabriel zu wagen, was bisher noch als Tabu zwischen ihm und dem Kanzleramt steht. Der Druck aus der SPD dürfte um ein Vielfaches steigen. Klaus Wowereit hat es vor Jahren vorgemacht. In Berlin.

Für das Land zeichnet sich eine spannende Versuchsanordnung ab. Kann die Perspektive einer Linksregierung es einen? Oder wird die Spaltung noch tiefer, als sie es jetzt schon ist? Wahrlich, wir leben in aufregenden Zeiten.