Bamf-Außenstelle in Berlin Bamf-Außenstelle in Berlin: Anhörung unter Anspannung - Im Herzstück des Asylverfahrens

Berlin - Die junge Frau lächelt schüchtern, als sie den Raum betritt. Samira Najim* setzt sich auf einen Stuhl vor einem nüchternen Schreibtisch, sie nestelt mit ihren Händen. Draußen an der Tür hängt ein Zettel mit einem ernst blickenden Emoji, darunter steht „Anhörung. Bitte nicht stören!“ Es geht um viel an diesem Tag für Samira Najim. Die junge Frau aus Gaza ist zur Anhörung für ihren Asylantrag in Deutschland gekommen, und sie weiß, dass von dem Gespräch ihr weiteres Leben abhängt.
Ihr gegenüber sitzt Andrea Müller* hinter einem Computer mit einem Doppelbildschirm. Die Juristin ist die Entscheiderin, also die Sachbearbeiterin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die für den Fall zuständig ist. Es ist warm in dem karg eingerichteten Büro, durch die Fenster fällt helles Sonnenlicht.
Früher residierte in dem 60er-Jahre-Hochhaus im Berliner Bezirk Wilmersdorf die Landesbank Berlin, jetzt sind ein Teil der Außenstelle Berlin des Bamf und das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten hier untergebracht. Sie gehören mit der Erstaufnahmestelle im Flughafen Tempelhof zum Berliner Ankunftszentrum – nicht zu verwechseln mit den sogenannten Ankerzentren, die Innenminister Horst Seehofer überall in Deutschland einführen möchte.
Freundliche Atmosphäre und Anspannung
An diesem Tag sitzen in Müllers Büro nur Frauen, auch übersetzt wird von einer Frau. Das ist eher ungewöhnlich. Es herrscht trotz der Anspannung eine freundliche Atmosphäre. Normalerweise sind solche Anhörungen nicht öffentlich, diese Zeitung durfte aber an diesem Tag teilnehmen. Im Schmelztiegel Berlin fällt Samira Najim nicht weiter auf, sie trägt enge modische Jeans, eine geblümte Bluse und Sneakers, ein dunkelblaues Kopftuch, ist geschminkt. Die junge Frau mit dem schmalen Gesicht antwortet klar und deutlich auf die Fragen, die ihr Andrea Müller stellt. Die Juristin, in Jeans und T-Shirt, strahlt Empathie und Kompetenz aus und entspricht vermutlich so gar nicht dem Bild, das sich viele Deutsche von Mitarbeitern der Behörde machen.
Seit Jahren wird das Bamf für die Versäumnisse beim Thema Asyl und Zuwanderung verantwortlich gemacht, auch in diesen Wochen sorgt es wieder für Schlagzeilen. Die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle steht unter Verdacht, rund 1200 Menschen unrechtmäßig zu Asyl verholfen zu haben. Der Skandal hat längst die Politik in Berlin erreicht, auch die Präsidentin Jutta Cordt gerät immer mehr unter Druck.
Gerecht ist die Kritik am Bamf nicht immer. In den Jahren 2015 und 2016, als Hunderttausende von Menschen nach Deutschland kamen, mussten viel zu wenige Mitarbeiter eben auch Hunderttausende von Asylanträgen bearbeiten. Dass in diesem Ausnahmezustand Fehler passieren mussten, kann eigentlich niemanden verwundern, es kam allerdings zu Fehlern, die unentschuldbar sind. Nun steht die Behörde erneut unter Druck, man ist nervös.
Najims Familie lebt in Flüchtlingslager im Gazastreifen
Im Büro von Andrea Müller ist davon nichts zu spüren, die Juristin ist hochkonzentriert und versucht, die Ängste der jungen Frau abzumildern. Alles, was sie in der kommenden Stunde zu hören bekommt, tippt Müller sofort in den Computer, hinterher wird der Antragstellerin das Protokoll vorgelegt. Es gilt, Samira Najims Geschichte zu ergründen. Müller fragt nach Dokumenten und nach der Heiratsurkunde. Najim hat sich ausgewiesen, sie ist Palästinenserin, ihre Familie lebt in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen.
Ihre Geschichte ist eine von Armut und Perspektivlosigkeit, vom schweren Alltag in den Palästinensergebieten. Sie zeigt auch sehr anschaulich, dass die Krisen der Welt längst nicht mehr an den deutschen Grenzen und vor deutschen Amtsstuben halt machen. In dem kleinen Bamf-Büro in Berlin-Wilmersdorf geht es um den gesamten Nahostkonflikt, bis hin zum Krieg in Syrien. Najim hat den Gazastreifen im Oktober 2017 verlassen, über Ägypten floh sie in die Türkei, dann ging sie zu Fuß nach Griechenland weiter, dort blieb sie mehrere Monate, ehe sie nach Deutschland weiterflog. Ihr Mann, ein syrischer Flüchtling, lebt in Berlin.
Najim hat ihn in Griechenland geheiratet, die Familien kennen sich schon lange, sagt sie, ihre Mutter stammt selbst aus Syrien. Die Flucht wurde von Schleppern organisiert, 3000 US-Dollar wollten sie für ihre verbrecherischen Dienste haben. Im April ist Najim aus Griechenland aus- und nach Deutschland eingereist, mit einem gefälschten Pass, den ihr die Schlepper gaben. Sie trug kein Kopftuch, das haben sie ihr geraten, sie ging als Griechin durch. „Gott möge uns verzeihen“, sagt sie.
Sympathie darf keinen Einfluss nehmen
Die Ehe mit dem Syrer ist ein wichtiger Ansatzpunkt. Ist es womöglich nur eine Scheinehe? Anerkannte syrische Flüchtlinge mit vollem Schutz dürfen ihre Ehepartner nachholen, aber nur, wenn die Ehe bereits im Herkunftsland geschlossen wurde. Najim und ihr Mann haben drei Wochen in Griechenland zusammengelebt, er hatte in dieser Zeit Urlaub, dann musste er zurück nach Berlin, sagt sie. Sie kann Dokumente vorlegen, die ihre Eheschließung nach islamischem und weltlichen Recht belegen. Aber reicht das? Von Sympathie darf sich Andrea Müller ohnehin nicht leiten lassen. Sie versucht auch zu ergründen, ob Najim in Gaza politische Verfolgung droht.
Müller arbeitet seit zwei Jahren beim Bamf, ein bis drei solche Anhörungen führt sie am Tag durch, es sind oft schreckliche Schicksale, die vor ihr ausgebreitet werden. Sie hat mit Verzweifelten und Traumatisierten zu tun, mit Menschen, die nicht lesen und schreiben können, mit Armuts- und Wirtschaftsmigranten. Müller entscheidet auch über die jeweiligen Fälle, in Berlin gibt es die oft kritisierte Trennung zwischen Anhörern und Entscheidern nicht.
Darauf und auf vieles andere sind sie stolz in Berlin. Es ist hier viel, sehr viel passiert, das wird auch ein paar Tage später deutlich, als, vermittelt vom Mediendienst Integration, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und das Bamf die Pforten für Journalisten öffnen. Berlin ist nun eines von fünf Pilotprojekten für integriertes Flüchtlingsmanagement in Deutschland, die Zusammenarbeit, das versichern alle, funktioniere sehr gut.
Lageso stand sinnbildlich für das Berliner Behördenversagen
Vor zwei Jahren hieß das LAF noch Lageso, es stand sinnbildlich für die spezifische Berliner Variante des Behördenversagens. Die Bilder vom Lageso in Berlin-Moabit, wo Flüchtlinge tagelang anstehen und bei eisiger Kälte im Freien schlafen mussten, gingen um die Welt. Aber es wurden Lehren gezogen. Heute sitzen in den langen Fluren des einstigen Bankgebäudes ein paar Kilometer weiter südlich Behörden des Bundes und des Landes, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Agentur für Arbeit und ein Sozialdienst, alles unter einem Dach, um schnelle, gründliche und faire Verfahren zu garantieren. „Freundlich, aber nicht naiv“, lautet die Philosophie in Berlin.
Durchschnittlich dauert ein Asylverfahren derzeit noch drei Monate, sagt Bernhard Chiari, seit 2016 Leiter des zuständigen Referats im Berliner Bamf. In der Regel erhalten alle Antragsteller drei Wochen nach ihrer Ankunft den ersten Anhörungstermin. „Das ist ein Quantensprung“, sagt Chiari. 34 Entscheider arbeiten hier, bald sollen es 40 sein. Für bestimmte Herkunftsländer gibt es mittlerweile auch noch schnellere Direktverfahren. „Wir haben ein junges, engagiertes Team“, lobt Chiari. Dass trotzdem Fehler gemacht werden, bestreitet der Historiker und Osteuropaexperte nicht. Er bringt viel Erfahrung mit, war als Offizier der Bundeswehr in Auslandseinsätzen und hat auch als Unternehmensberater gearbeitet. Das Bamf habe sich seit 2015 grundlegend verändert. „Aber hier arbeiten Menschen“, sagt Chiari auch, da seien Fehler nie ganz zu vermeiden.
Viele sind erschöpft, Kinder quengeln
Das Verfahren folgt einem geregelten Ablauf. Per Bus werden die Neuangekommenen jeden Morgen vom Hangar auf dem Flughafen Tempelhof hierher gebracht. Unten, in der früheren Empfangshalle, werden erste Personalien aufgenommen, dann durchlaufen die Asylbewerber in der Regel in zwei bis drei Tagen den Registrierungsprozess. Heute sitzen hier nur etwas mehr als ein Dutzend Menschen, die meisten sind Frauen und Kinder. Viele sind erschöpft, Kinder quengeln.
Im ersten Stock werden die Asylbewerber polizeilich überprüft und biometrische Fingerabdrücke genommen, sofern sie keine Dokumente haben, auch durchsucht. Datenbanken werden befragt, es wird geprüft, ob Vorstrafen oder andere Sicherheitsrisiken bestehen und andernorts schon ein Asylverfahren läuft. Neuerdings wird auch eine Spracherkennungssoftware eingesetzt, die beispielsweise arabische Dialekte erkennen kann, und es ist auch erlaubt, Handydaten auszulesen.
Einigen wird hier mitgeteilt, dass sie weiterreisen müssen, weil ein anderes Bundesland zuständig ist. Nach dem Königsteiner Schlüssel muss Berlin rund 5 Prozent der Neuankommenden aufnehmen, derzeit kommen zwischen 650 bis 750 im Monat. Wenn die Registrierung abgeschlossen ist, beginnt das eigentliche Asylverfahren beim Bamf.
„Wir müssen trotzdem darüber reden“
„Die Anhörung ist das Herzstück eines jeden Asylverfahrens“, sagt Andrea Müller. „Das ist eine Verantwortung, der sich jeder Entscheider bewusst ist.“ In Berlin gilt das Prinzip sechs Augen, das heißt, jeder Antrag wird von drei Personen geprüft. Um die einzelnen Fälle einzuschätzen, ist oft auch weitere Recherche notwendig. Häufig haben es die Entscheider mit sogenannten Dublin-Flüchtlingen zu tun, also Menschen, die über ein anderes EU-Land eingereist sind und eigentlich dort Asyl beantragen müssten. Auch Samira Najim hat Europa über Griechenland betreten, dort aber keinen Asylantrag gestellt.
Die junge Frau ist meist gefasst, geht es aber um ihre Familie und die elenden Lebensumstände, zittert ihre Stimme. Ihre sechs Geschwister, die Eltern, die Großeltern, alle hat sie in Gaza zurückgelassen. „Ich spreche nicht gern über Gaza“, sagt sie leise und wischt sich die Tränen weg. Vor ihr steht eine Schachtel mit Papiertaschentüchern. Müller kann ihr das Thema nicht ersparen. „Wir müssen trotzdem darüber reden.“
Najim hat sich wieder gesammelt. Neben ihr sitzt eine weitere Frau mit Kopftuch, sie gehört zu den Dolmetschern, die das Bamf beschäftigt, auch ihre Familie stammt aus dem Nahen Osten. Ohne die Dolmetscher könnte kein Asylverfahren stattfinden, sie haben viel Verantwortung. Es kommt auf schließlich auf jedes Wort, auf jede Nuance an.
„Ich würde meinen Mann verlieren und wieder im Krieg leben“
„Es gibt keine Arbeit und keine Perspektive in Gaza“, sagt Najim. Sie hat Abitur gemacht und danach eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen, sie dann aber abbrechen müssen, weil das Geld nicht gereicht hat. Gearbeitet hat sie noch nie, die Familie ist auf Unterstützung angewiesen. „Die Lage in Gaza ist furchtbar, man kann sich keine Zukunft aufbauen“, sagt Najim. Sie beschreibt auch ein Klima der Repression und Gewalt, ist selbst schon zweimal von den Sicherheitsbehörden vorgeladen und verhört worden.
Andrea Müller fragt jetzt sehr genau nach, sie will wissen, was passiert, wenn man vernommen wird oder sich weigert zu erscheinen. Es habe Fälle gegeben, da sei auf die Beine von Vorgeladenen geschossen worden, sagt Najim, vor allem gegen Männer würde oft auch Gewalt ausgeübt. „Sie haben die Macht über das Land“, und es ist nicht ganz klar, wen sie mit diesem „sie“ meint.
„Was würde passieren, wenn Sie zurückgehen?“, fragt Andrea Müller am Schluss der Anhörung. Samira Najim lacht bitter. „Ich würde meinen Mann verlieren“, sagt sie leise, „und wieder im Krieg leben.“
*Namen von der Redaktion geändert