Antisemitismus-Vorwurf Antisemitismus-Vorwurf: Der verfolgte Gysi

Berlin - Gregor Gysi, das zeigen die Bilder, hat offenbar Angst. Immer schneller werden die Schritte des Vorsitzenden der Linksfraktion, als er am Montag den Flur im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags entlangläuft, während der Israel-Kritiker David Sheen ihn verfolgt und dabei filmt. Schließlich flüchtet der 61-jährige Gysi vor Sheen auf die Toilette. Der Verfolger ruft, er könne nicht nach Israel zurück, weil Gysi ihn als Antisemiten bezeichnet habe. Der Verfolgte will die Tür schließen und ruft zurück: „Raus! Raus mit dir!“ Die Szene, bei Youtube gut zu sehen, ist unglaublich und sorgt in der Linken für Zoff.
Der Publizist Sheen und sein im Bundestag ebenfalls anwesender Mitstreiter Max Blumenthal gelten als scharfe Kritiker Israels. Sheen, der die Kamera auf Gysi richtete und ihn anschrie, stammt aus Kanada und lebt in Israel. Er wirft der dortigen Gesellschaft Rassismus gegen eingewanderte Afrikaner vor. Der US-Publizist Blumenthal hat Israel mit Nazi-Deutschland und der Terrortruppe Islamischer Staat verglichen. Sie sollten ausgerechnet am 9. November in der linken Berliner Volksbühne auftreten - dem Jahrestag der nationalsozialistischen Pogromnacht.
Die linke Abgeordnete Inge Höger hatte dies arrangiert. Gysi stoppte den Termin ebenso wie einen Auftritt im linken Fraktionssaal. Daraufhin luden Höger und ihre Kollegin Annette Groth Sheen und Blumenthal in ein anderes Abgeordneten-Gebäude. Und Sheen folgte Gysi auf die Toilette, um ihn dort zur Rede zu stellen. Vergeblich, wie man auf dem Video sieht, das er selbst im Netz platzierte.
Der Streit entzündet sich nun weniger an jenen, die dem Fraktionschef nachstellten. Ihnen erteilte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) jetzt Hausverbot. Im Zentrum stehen die Gastgeber. Zwar haben sich Höger und Groth mittlerweile entschuldigt. Die Frauen waren aber schon mit auf dem Schiff Marvi Marmara, das 2010 versuchte, eine im Mittelmeer verhängte Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Ihre auch sonst durchweg einseitige Positionierung brachte der Linken eine von vielen Antisemitismus-Debatten ein. Am Mittwoch forderte der sächsische Linke Michael Leutert den Mandatsverzicht - wohl wissend, dass dies den Status der Linken als stärkste Oppositionsfraktion gefährdet. Doch egal: Ihm reicht’s.
Vizefraktionschefin Sahra Wagenknecht wies die Forderung zurück. „Die Hetzjagd hier haben ja nicht die Abgeordneten gemacht“, sagte sie. Die Angelegenheit sei keine Staatsaffäre. Im Übrigen stellte Wagenknecht sich jedoch vor Gysi und unterstrich: „Das war eine ziemlich üble Geschichte.“ Ihr Kollege Jan Korte kommentierte die Toiletten-Affäre derweil so: „Das ist ein Vorgang und ein Grad von Heruntergekommenheit, den ich nicht für möglich gehalten hätte. Wir dürfen das so nicht stehen lassen und müssen das im Fraktionsvorstand noch mal zur Diskussion stellen.“ (mz)