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Angriffe auf Gegner Angriffe auf Gegner: Rechtsextremisten wollten 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellen

Von Markus Decker 28.06.2019, 05:09
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang dpa

Berlin - Es sind Waffen, wie sie die meisten Menschen wohl nur aus Gangsterfilmen der härteren Gangart kennen dürften. Eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom Typ Uzi. Diese beiden Modelle und weitere Schusswaffen haben die Ermittler im Fall Lübcke in einem Erdloch gefunden. Und zwar auf dem Gelände des Arbeitgebers von Stephan E., dem Tatverdächtigen, der den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gestanden hat.

Bereits 2014 soll Stephan E. angefangen haben, sich Waffen zu beschaffen. Die Tatwaffe vom Kaliber 9 Millimeter war ebenfalls in dem Lager. Sie kaufte er 2016, drei Jahre, bevor er den tödlichen Schuss auf Walter Lübcke abfeuerte.

Die Ermittler nahmen nach den Aussagen von Stephan E. zwei Männer wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord fest, wie der Generalbundesanwalt gestern mitteilte: den mutmaßlichen Vermittler und den Verkäufer der Tatwaffe. Der 64-jährige Elmar J. aus dem Landkreis Höxter hat offenbar die Pistole verkauft – über ihn weiß man nicht viel. Er gilt als Einzelgänger, lebt im Anbau einer leeren Gaststätte mitten im Örtchen Natzungen, 50 Kilometer von Kassel entfernt.

Über den Vermittler weiß man mehr. So viel, dass sich hinter dem Mord an Walter Lübcke ein Abgrund auftut. Die neuesten Erkenntnisse der Ermittler legen nahe, dass sich der mutmaßliche Täter Stephan E. in einem Unterstützerumfeld bewegt hat, das in Kassel seit der Zeit der rechten Terrorbande Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) besteht. Der 43-jährige Markus H. soll den Kontakt zwischen dem kaufwilligen E. und dem Verkäufer hergestellt haben.

Die Spur führt zum NSU-Netz

Hermann Schaus kennt den Namen Markus H. nur allzu gut. In den Akten des NSU-Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags hat der Linken-Obmann ihn oft gelesen. Nachdem der NSU am 6. April 2006 in Kassel Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen hatte, wurde auch H. vom BKA befragt. Er soll das Mordopfer Yozgat gekannt haben. Nach seinem rechtsextremen Hintergrund fragten die Ermittler damals nicht.

Dabei war H. nach Schaus’ Informationen bereits seit Anfang der 1990er-Jahre aktiv, als Anhänger der später verbotenen FAP und der Kameradschaft „Freier Widerstand Kassel“. 2009 war er zusammen mit Stephan E. beim Überfall auf die 1.-Mai-Gewerkschaftskundgebung in Dortmund dabei.

Markus H. stammt aus Thüringen, dem Kernland der NSU

Markus H. soll aus der Nähe von Rudolstadt in Thüringen stammen – und auch dort in rechtsextremen Kreisen verkehrt haben. Hier war das Kernland des NSU. „Es wird immer wahrscheinlicher, dass der NSU in Kassel dauerhaft eine Unterstützerzelle hatte, die womöglich weiterexistierte“, sagt Schaus. Eine Zelle, die Stephan E. beim Anlegen eines Waffenarsenals half. „Es scheint so, dass den Behörden heute gelingt, was im NSU-Kontext nie gelingen wollte, nämlich auch Helfer und ein mögliches Umfeld zu ermitteln.“

Auch bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts am Donnerstag war zu sehen, wie sich die Zeiten geändert haben. Im vorigen Jahr hatte neben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, gesessen, der wegen verharmlosender Äußerungen über Rechtsextremismus Monate später seinen Hut nehmen musste. In seiner Zeit begannen die Verfassungsschutzberichte meist mit Informationen über den islamistischen Terrorismus.

Seehofer hält Rechtsextremismus für „brandgefährlich“

Nun saß statt Maaßen sein Nachfolger Thomas Haldenwang da – und der Rechtsterrorismus ist das erste Thema. Seehofer verwies auf eine „hohe Gefährdungslage“ und bezeichnete den Rechtsextremismus als „brandgefährlich“.

So wuchs die Zahl der Rechtsex¬tremisten um weitere 100 auf jetzt 24 100, „so dass“, wie der Minister ausführte, „ein neuer Höchststand erreicht ist“. Knapp die Hälfte, nämlich 12 700, gelten als gewaltbereit. Seehofer nannte das „ausgesprochen besorgniserregend“ – und die Identitäre Bewegung, die den ideologischen Grundstoff liefert, „geistige Brandstifter“. Deren „Ethnopluralismus“ sei „nichts anderes als Rassismus“. Der CSU-Politiker erinnerte ferner daran, dass die Sicherheitsbehörden zuletzt sechs bundesweite Vereinsverbote gegen Rechtsextremisten ausgesprochen hätten – und sagte, dass die Sicherheitsbehörden die Probleme „nicht allein bewältigen“ könnten. So trügen auch die digitalen Netzwerke eine große Verantwortung.

Haldenwang erklärte, man dürfe bei der Bekämpfung des Rechtsex¬tremismus „nicht nachlassen“. Und er kam wie Seehofer auf Reichsbürger und Selbstverwalter zu sprechen, die „durch die Bank staatsfeindlich“ seien und von denen fünf Prozent Waffenscheine hätten. Die Sicherheitsbehörden gingen dem „mit Hochdruck“ nach. Tatsächlich ist die Zahl der Reichsbürger und Selbstverwalter um 13 Prozent auf 19 000 angewachsen; 950 von ihnen gelten als Rechtsextremisten.

Kritik von den Grünen

Der Verfassungsschutz-Präsident wertete es als positives Zeichen, dass zuletzt keine rechtsextremistische Partei bei Wahlen nennenswerte Erfolge erzielt habe. Auf Nachfrage stellte Haldenwang klar, die AfD sei aus seiner Sicht nicht rechtsextrem – wenngleich die Junge Alternative und der „Flügel“ einer einschlägigen Prüfung unterzogen würden.

Grünen-Chef Robert Habeck stellt das nicht zufrieden. „Wie inzwischen selbst Sicherheitsbehörden sagen, gibt es bei der Analyse und folglich der Bekämpfung von rechten Netzwerken große Defizite“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sie bildeten sich zunehmend im Internet und griffen „von dort in die reale Welt über“. Der Verfassungsschutz müsse in zwei Bereiche aufgegliedert werden: ein „Institut zum Schutz der Verfassung“ und ein „Amt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr“. „Es geht darum, das Vertrauen in die Funktions- und Handlungsfähigkeit des Staates zu bewahren“, sagte der Parteichef.

Ätzkalk und Leichensäcke

Wie gefährlich die Strukturen sind, mit denen die Dienste zu kämpfen haben, ist im Norden zu sehen. Dort hat eine Gruppe von Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg für Angriffe auf politische Gegner rund 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellen wollen. Das erfuhr das RND am Donnerstag aus Kreisen des Inlandsnachrichtendienstes. Demnach legte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dem Bundestag vor wenigen Wochen eine entsprechende Materialliste der Rechtsextremisten mit Bestelladressen, Kontakten und Wohnungsbeziehungen vor. Vorausgegangen war ein Antrag der Bundesanwaltschaft auf erweiterte Überwachungsmaßnahmen gegen die rechtsextremistische Gruppe.

Nach RND-Informationen stammt die dreiseitige, handgeschriebene Aufstellung von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung „Nordkreuz“. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit August 2017 gegen Mitglieder des Netzwerkes wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen Straftat. „Nordkreuz“ gehören mehr als 30 sogenannte Prepper an, die über den Messengerdienst Telegram miteinander verbunden sind und sich auf den „Tag X“ vorbereiten – den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung durch eine Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge – und die anschließende Liquidierung politischer Gegner.

Die meisten Personen der Chatgruppe stammen aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter ehemalige Mitglieder sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern. Sie haben Zugang zu Waffen, und sind geübte Schützen. Gegen drei der Männer ermittelt parallel die Staatsanwaltschaft Schwerin. Ihnen wird vorgeworfen, illegal rund 10 000 Schuss Munition sowie eine Maschinenpistole aus Beständen des LKA abgezweigt zu haben. Die Beschuldigten bestreiten, „Todeslisten“ angelegt und Ermordungen geplant zu haben.

25.000 Namen auf einer „Todesliste“

In Sicherheitskreisen heißt es dagegen, die Vorbereitungen auf den Tag X seien mit „enormer Intensität“ betrieben worden. Die „Prepper“ hätten unter Zuhilfenahme von Dienstcomputern der Polizei knapp 25.000 Namen und Adressen zusammengetragen.

Dabei handele es sich in den meisten Fällen um Personen aus dem regionalen Umfeld der Prepper, bevorzugt Lokalpolitiker von SPD, Grünen, Linken und CDU, die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zu erkennen gegeben hatten. Jedes Mitglied der Chatgruppe „Nordkreuz“ habe Gemeinden in seiner Umgebung systematisch nach möglichen Zielpersonen abgesucht. Die gesammelten Namen stammten überwiegend aus Mecklenburg-Vorpommern mit den Schwerpunkten Wismar, Ludwigslust und Schwerin sowie aus der Region Perleberg und Pritzwalk im Norden Brandenburgs.

Die Opposition verlangt Aufklärung darüber, ob angesichts der großen Zahl von Personen, die sich auf den „Todeslisten“ befinden, nicht schon längst weitere Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen sind, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß. „Die Planungen, die sich nun offenbaren, sind in Ausmaß und Konkretisierung massiv besorgniserregend“, sagte Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz.