1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. 70 Jahre Unabhängigkeit in Indien: 70 Jahre Unabhängigkeit in Indien: Wie aus einem Pulverfass zwei geworden sind

70 Jahre Unabhängigkeit in Indien 70 Jahre Unabhängigkeit in Indien: Wie aus einem Pulverfass zwei geworden sind

Von Arno Widmann 15.08.2017, 06:13
Am 15. August 1947 erklärt der Brite Lord Mountbatten – bis dato Vizekönig von Indien – die Unabhängigkeit Pakistans und Indiens.
Am 15. August 1947 erklärt der Brite Lord Mountbatten – bis dato Vizekönig von Indien – die Unabhängigkeit Pakistans und Indiens. imago stock&people

Am 15. August 1947 wurde Indien unabhängig. Großbritannien gab seine Kolonie frei. Gestückelt: Britisch Indien wurde aufgeteilt in ein muslimisches Pakistan und in die indische Union. Den genauen Grenzverlauf teilte Lord Mountbatten erst am Tage darauf mit – als er (übrigens der Onkel von Prinz Philip) nicht mehr Vizekönig von Indien, sondern nur noch Generalgouverneur des neuen Staates war.

Das erste Ergebnis der Teilung Indiens waren Flucht und Vertreibung von etwa 20 Millionen Menschen mit Hunderttausenden Toten. Die Idee, die Konflikte zwischen Muslimen und Hindus durch die Schaffung zweier getrennter Staaten beizulegen, war gescheitert. Aus einem Pulverfass waren zwei geworden.

Dabei waren die neuen Herren weder in Pakistan noch in Indien sonderlich religiös. Angesichts der unterschiedlichen Religionen in Indien war das wohl ein Glücksfall. Man könnte die Geschichte der beiden Staaten als einen Prozess beschreiben, in dem die „Mitternachtskinder“, so der Titel von Salman Rushdies großartigem Roman über das geteilte Indien, statt in ihren Häusern zur Ruhe zu kommen, sich immer weiter radikalisieren. Bis sie als Atommächte einander gegenüberstehen.

Befreiung Indiens bedeutete das Ende des Kolonialismus

Die Befreiung Indiens war der Anfang vom Ende des Kolonialismus. Dass Großbritannien, Siegermacht des II. Weltkrieges, Indien hatte aufgeben müssen, war ein Signal gewesen – für die Befreiungsbewegungen und für die Kolonialmächte. Beide rüsteten auf. Beide waren fest entschlossen, nicht aufzugeben. 1954 verlor Frankreich den Indochinakrieg, und in den sechziger Jahren gelang fast jährlich mindestens einem Staat die Befreiung von seinem europäischen Herrn. Der 15. August 1947 ist eines der wichtigsten Daten der Weltgeschichte.

Jahrhundertelang kamen die Invasoren Indiens aus dem Nordwesten. Es kamen irakische Araber, Mamluken und Tughluqs, Paschtunen aus Afghanistan. Bis 1835 war Persisch Amtssprache in Indien. Jahrhundertelang unterstanden die Gebiete des heutigen Nordindiens, Pakistans und Afghanistans einem Herrscher. Das Grab des Begründers des Mogulreiches zum Beispiel steht nicht in Delhi, sondern in Kabul.

Das heißt nicht, dass Indien Expansionsgelüste in diese Richtung hat, es erklärt aber, warum Neu Delhis Eliten sich sehr dafür interessieren, was dort passiert. Mit Narendra Damodardas Modi wurde im Jahre 2014 ein radikaler Hindu-Politiker Premierminister des Vielvölkerstaates. Er war Chief Minister des Bundesstaates Gujarat, als es im Februar 2002 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus kam. Die USA verweigerten ihm 2005 wegen seiner „Verantwortlichkeit für schwere Verletzungen der Religionsfreiheit“ die Einreise. Sein massives Eintreten für einen Hindustaat trug wohl ebenso sehr zu seiner absoluten Mehrheit bei wie der wirtschaftliche Erfolg Gujarats.

„Indien an erster Stelle“

„Indien an erster Stelle“ ist Modis Parole. Verblüfft waren die Beobachter der indischen Politik davon, dass der frisch gewählte Premierminister auf mehr als 40 Auslandsreisen ging und dabei sehr um die Unterstützung der USA warb. Tatsächlich sieht es so aus, als gäben sie Indien inzwischen den Vorzug gegenüber ihrem alten Alliierten, dem tief im Terrorismus versunkenen Pakistan.

Natürlich blickt Indien nach wie vor auf Pakistan, seinen gefährlichsten Nachbarn. Aber ökonomisch wird Indien vor allem von China bedroht. Es sind nicht nur die Millionen Billigprodukte aus China, die den Markt überschwemmen. Chinas Expansionswille wirkt sich viel massiver aus. China baut Häfen aus vor Myanmar, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan. Das sind die Nachbarn, die Indien als sein Einzugsgebiet betrachtet. China hat eine sehr effektive, große Flotte. Indien ist erst dabei, eine zu bauen. China braucht eine funktionierende Verbindung zu den Golfstaaten. Indien wehrt sich.

Als Reaktion auf den von den Chinesen betriebenen Ausbau des pakistanischen Hafens von Gwadar im Persischen Golf vergrößert Indien seinen Hafen in Karwar am Arabischen Meer. Gegen den massiven Ausbau von Kyaukpyu (Myanmar), wo China auch Pipelines installiert, baut Indien im nur 60 Kilometer entfernten Sittwe seinen eigenen Hafen- und Energiekomplex auf. Noch ist es ein sehr ungleicher Kampf. Nur ein Beispiel: China baut jedes Jahr so viele Straßenkilometer wie Indien insgesamt hat.

Das freie Indien wird täglich unfreier

Wem das alles schon kompliziert, ja gefährlich genug erscheint, den muss man daran erinnern, dass Millionen Bangladeschis nach Indien fliehen, dass Indien mit Pakistan und China um Gebiete von Kaschmir streitet. Seit Jahrzehnten. Wir haben noch kein Wort verloren über die zwanzig bis fünfzigtausend maoistischen Naxaliten, die im Südosten Indiens aktiv sind.

Indien mag zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt zählen, und im Vergleich zu Pakistan geradezu ein Stabilitätsfaktor sein, die Wahrheit aber ist, dass Indien weder für seine 154 Millionen Muslime ein sicherer Hafen ist, noch für seine Frauen, von denen im Jahre 2011 jede Stunde eine vergewaltigt wurde.

Das freie Indien wird täglich unfreier. Der indische Subkontinent, den man nicht ohne Afghanistan und Pakistan, nicht ohne Bangladesch und Kaschmir, Tibet und Nepal betrachten kann, gehört geopolitisch sicher zu den weniger stabilen Weltgegenden.