60 Jahre Marshallplan 60 Jahre Marshallplan: Symbol für erfolgreiche Entwicklungshilfe

Berlin/dpa. - Das Kapitel Marshallplan in derGeschichtsschreibung der Bundesrepublik liest sich wie ein Märchen. 60 Jahre nachdem die USA ihr milliardenschweres Wiederaufbauprogramm für Europa starteten, ist der Marshallplan längst zum Symbol für erfolgreiche Entwicklungshilfe geworden. Doch er hat nicht nur einideologisches Vermächtnis hinterlassen: Auch heute noch werden mitdem inzwischen auf 13 Milliarden Euro angewachsenen Vermögenmittelständische Unternehmer unterstützt.
Schon in den Nachkriegsjahren war die moralische Wirkung derFörderhilfe aus dem European Recovery Program (ERP) so bedeutend wieihr materieller Wert. Tatsächlich wurde den drei westlichenBesatzungszonen nur ein Zehntel der rund 13,5 Milliarden US-Dollar - nach heutigem Wert etwa 64 Milliarden Euro - zugeteilt, die EuropasWirtschaft wiederbeleben sollten. Großbritannien, Frankreich undItalien erhielten teilweise deutlich mehr. Der US-Kongressverabschiedete das Programm am 3. April 1948. Die Idee stammte vom damaligen Außenminister George C. Marshall.
Anders als in den Nachbarstaaten signalisierte der Marshallplan inWestdeutschland zugleich eine drastische Kehrtwende in der Politikder USA, die sich tief in die nationale Psyche eingrub. «DieAmerikaner kamen nicht als Befreier, sondern als Besatzer», erklärtHistoriker Jost Dülffer von der Universität Köln. Durch denMarshallplan fühlten sich die Westdeutschen wieder ernst genommen undbegannen, die Sieger als Helfer zu betrachten.
Die Aufbauhilfe ermöglichte Westdeutschland auch eine Rückkehraufs politische Parkett. Die Kredite waren gekoppelt an die Auflage,dass die Europäer an einem Strang zogen und sich regelmäßig zuSitzungen der neu gegründeten Organization for European EconomicCooperation (OEEC) in Paris trafen. So konnte selbst Frankreich aneinen Tisch mit den damals noch verhassten deutschen Nachbarn gelocktwerden - ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur europäischenIntegration.
Die USA überließen die ideologische Wirkung des Förderprogrammsfreilich nicht dem Zufall. Eine Propagandakampagne trug dazu bei,dass das Konzept von amerikanischer Selbstlosigkeit und deutscherDankbarkeit auf lange Zeit in der Gesellschaft verankert wurde.Hunderte Plakate, Filme und Veranstaltungen sowie ein zur rollendenAusstellung umgebauter Güterzug warben in ganz Europa für denMarshallplan. Außerdem waren Baustellen und Firmen, die von Geld ausdem ERP finanziert wurden, auch als solche gekennzeichnet.
Je mehr Westdeutschland wirtschaftlich mit seinen europäischenNachbarn zusammenwuchs, desto größer wurde die Kluft zu denLandsleuten in der sowjetischen Besatzungszone. Die UdSSR hatte denStaaten in ihrem Einflussgebiet verboten, Hilfe des Westensanzunehmen. Slogans wie «Wir pfeifen auf den Marshallplan. Wirkurbeln unsere Wirtschaft selber an» sollten in der DDR die Stimmungheben. Das Wirtschaftswunder blieb dort aber aus.
Die Amerikaner pumpten kein Bargeld in die kriegsgeschädigtenStaaten Westeuropas, sondern gewährten Kredite für dringend benötigteRohstoffe, Waren und Maschinen. Die Unternehmen mussten diese dannauf sogenannte Gegenwertkonten abbezahlen, über deren Verwendung dieUSA gemeinsam mit der jeweiligen Regierung entschieden.
Während andere Staaten mit dem Vermögen aus den ERP-Konten Firmenbezuschussten oder Schulden abbauten, wurde in der Bundesrepublikdas Geld Unternehmern wieder zu günstigen Konditionen geliehen.«Insbesondere langfristige Kredite waren damals ein extrem knappesGut», sagt Werner Möller von der KfW Bankengruppe.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wurde 1948 gegründet, umdie ERP-Darlehen auszugeben. Sie war damals das einzige Institut, dasüberhaupt langfristige Mittel zur Verfügung stellen konnte. Zu denNutznießern zählten zum Beispiel das Ludwigshafener ChemieunternehmenBASF und die Auto Union in Ingolstadt, der heutige Audi-Konzern.
Inzwischen sind diese Mittel nach 60 Jahren Zins und Zinseszinsauf rund 13 Milliarden Euro angewachsen und werden als sogenanntesERP-Sondervermögen weiter zur Förderung des Mittelstands eingesetzt.Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden daraus Kredite im Wertvon rund 125 Milliarden Euro an die mittelständische Wirtschaft inDeutschland ausbezahlt. Nach dem Mauerfall floss rund ein Dritteldavon an Unternehmen im Osten. So konnte auch die ehemalige DDR - mitvier Jahrzehnten Verspätung - vom Marshallplan profitieren.
