17. Juni 17. Juni: Amerikas Heldin Jessica Lynch schweigt

Washington/MZ. - Als ihre Versorgungskompanie im irakischenNasarijah in den ersten Kriegstagen den falschenWeg wählte und in einen Hinterhalt geriet,habe sie - von mehreren Schüssen getroffen- neben toten Kameraden stehend bis zur letztenPatrone gekämpft. Dann kam die Gefangenschaft,gefolgt von einer spektakulären nächtlichenBefreiungsaktion aus einem irakischen Hospitaldurch US-Sondereinheiten.
Amerika durfte angesichts der gefilmten Rettungsszenenjubeln - zu einem Zeitpunkt, als es mit derMoral der Truppen angesichts des ins Stockengeratenen Vormarsches auf Bagdad nicht geradezum Besten stand und sich die Golfkriegs-Generälemassive Vorhaltungen wegen einer vermeintlichfalschen Strategie gefallen lassen mussten.Doch Jessica Lynch, längst aus dem Irak zurückund weiter in einem Krankenhaus von der Öffentlichkeitabgeschirmt, redet nicht. Anders als bei allenanderen Golfkriegs-Gefangenen, die längstvon ihren Erfahrungen berichten durften, weistdas Pentagon entsprechende Anfragen immerwieder zurück. Sie leide an Amnesie, könnesich nicht an das Geschehene erinnern, lautetdie Begründung.
Eine Argumentation, die in den USA mittlerweilevor allem eine Frage aufgeworfen hat: Kannoder darf sich die Soldatin aus dem StädtchenPalestine im Bundesstaat West-Virginia nichterinnern? Denn Widersprüche, die an der offiziellenVersion der Ereignisse und "Heldentaten" zweifelnlassen, gibt es mittlerweile zur Genüge.
Zunächst einmal weist Jessica Lynch nach Aussagender behandelnden Ärzte und ihrer Eltern keinerleiSchussverletzungen auf, sondern hat zahlreichegebrochene Knochen in Armen und Beinen. Diespasst so gar nicht zu jenem heroischen Bildvom "Kampf bis zur letzten Patrone", das vonUS-Militärs gezeichnet worden war. AndereKritiker stellen auch die Frage: Woher kenntdas Pentagon die Einzelheiten ihres Kampfesgegen die irakischen Angreifer, wenn sie dochheute unter einem kompletten Gedächtnisverlustleiden soll?
Unabhängige Mediziner weisen zudem daraufhin, dass die Knochenbrüche der Gefreiteneine typische Folge von Folterungen - seies durch Schläge oder Elektroschocks - seinkönnten. Doch Folterungen in der Gefangenschaft:Das ist keine Nachricht, die ein General derkämpfenden Truppe gerne überbringt. Verdachterregt auch der Umstand, dass das Verteidigungsministeriumden TV-Sendern nur zuvor bearbeitete Videoaufnahmender Befreiung zur Verfügung stellt - und eineEinsicht in die komplette Rohfassung verweigert.
Mitarbeiter der britischen BBC unterstellengar, auch die Rettungsaktion in Nasarijahsei in Hollywoodmanier übertrieben dargestelltworden. Denn die Befragung von Krankenhaus-Mitarbeiternhabe ergeben, dass es um das Hospital garkeine irakischen Wächter mehr gab. Ein Irakergab sogar an, dass das Pflegepersonal versuchthabe, die Gefangene auf einer Trage zu einemUS-Stützpunkt zu bringen - dort aber von waffenschwingendenSoldaten abgewiesen worden sei. Was geschahalso wirklich? Eine Antwort darauf kann nurJessica Lynch geben. Doch die Heldin schweigtweiter.