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15-Jährige aus Sachsen-Anhalt schließt sich IS an 15-Jährige aus Sachsen-Anhalt schließt sich IS an: Erst Karneval, dann Dschihad?

Von Frank Schedwill 17.03.2015, 08:10

Sangerhausen - Es ist kein gewöhnliches Punktspiel an diesem Sonntagnachmittag. Und das liegt nicht daran, dass die Gastgeber ihre Gäste mit 6:1 vom Platz fegen.

Nein, am Rande der Partie stellen sich die Hausherren in einer Reihe nebeneinander auf, so, dass ihre weißen T-Shirts einen Schriftzug formen: Ein Name ist auf den Trikots zu lesen, und ein Appell, ein stummer Hilfeschrei: „Komm heim!“ Und so wird der Sport an diesem Nachmittag beinahe zur Nebensache. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht die Frage: Wo ist das Mädchen, das plötzlich verschwand?

Flug in die Türkei

Das Mädchen, dessen kickender Stiefvater die Aktion organisiert hat, ist 15 Jahre alt. Sie besucht die 9. Klasse einer Sekundarschule in Sangerhausen, ein hübsches, schlankes dunkelhaariges Mädchen. Seit dem Freitag vorvergangener Woche aber ist sie verschwunden. Nach MZ-Informationen deuten derzeit alle Hinweise darauf hin, dass sie sich - gemeinsam mit einer volljährigen Freundin - nach Syrien abgesetzt hat, um sich dort der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) anzuschließen. Nach Erkenntnissen des Landeskriminalamtes sind die beiden zunächst in die Türkei geflogen.

Vater erstattet Vermisstenanzeige

Bekannt wurde der Fall erst, weil der Vater eine Vermisstenanzeige erstattete. Die Beamten hörten sich um, bei Freunden, bei Mitschülern. Was sie hörten, alarmierte sie: Die Schülerin soll sich - mehr als für eine 15-Jährige üblich - für den Islam interessiert haben. Die Polizei in Sangerhausen verständigte das Landeskriminalamt. Die Ermittlungsmaschinerie begann zu laufen. Der Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt wurden mit eingeschaltet.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft dem syrischen Regime einen Verstoß gegen das Völkerrecht vor und sieht Hinweise auf ein Kriegsverbrechen. Bei Luftangriffen der syrischen Armee auf die Stadt Al-Rakka seien im vergangenen November bis zu 115 Zivilisten getötet worden, erklärte Amnesty International. Unter den Opfern seien auch 14 Kinder gewesen. Al-Rakka ist eine Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Bombardiert worden seien eine Moschee, ein Markt voller Zivilisten und andere Gebäude ohne militärischen Zweck. „Die bloße Anwesenheit von Mitgliedern des IS berechtigt die syrische Regierung nicht dazu, Wohngebiete zu bombardieren und damit den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen.“

Die mit Sprengstoff und Metall gefüllten Fassbomben sind wegen ihrer streuenden Wirkung besonders zerstörerisch. Der UN-Sicherheitsrat hatte 2014 Flächenbombardements und Fassbomben geächtet, weil sie vor allem Zivilisten träfen.

In Sangerhausen fragen sich Freunde, Verwandte, Mitschüler unterdessen nicht nur, wo die 15-Jährige ist. Sie fragen auch, warum? Wen man auch anspricht, alle erzählen, das Mädchen sei beliebt. Sie gilt als gute Schülerin. Bis zu ihrem Verschwinden lebt sie bei ihrem Vater in einem Ortsteil von Sangerhausen, getrennt von der Mutter. Es ist ein kleines Dorf, kaum mehr als 200 Einwohner, jeder kennt jeden. Nachbarn erzählen, erst vor kurzem habe das Mädchen beim Karneval im Nachbarort mitgetanzt.

Ermittler und eine Psychologin

Karneval? Und nun Syrien? Ein lebenslustiger Teenager und eine islamistische Terror-Miliz? „Ich kann mir das nicht erklären“, sagt ein Mitschüler, „ich verstehe es nicht. Ihr ging es doch voll gut.“ Auch ein Mitglied der Schulleitung an ihrer Schule ist so ratlos wie fassungslos. „Sie hat Freunde, da war alles ganz normal.“ Dass sie nach Syrien gewollt habe, sei nicht erkennbar gewesen. Nach MZ-Informationen soll die 15-Jährige aufgrund monatelanger Kontakte in sozialen Netzwerken mehr und mehr Gefallen an dem brutalen Terror des IS gefunden haben. Experten sprechen in einem solchen Fall von einer Radikalisierung. Dass sie in einem Abschiedsbrief ihre Absicht erklärte, zum Islam überzutreten, mag das LKA weder bestätigen noch dementieren.

Das Landesschulamt hat eine Psychologin zu Gesprächen an die Schule geschickt. Vorher, am vergangenen Donnerstag, waren schon Ermittler des Landeskriminalamtes da. Sie befragten Mitschüler. Kinder und Lehrer muss das in helle Aufregung versetzt haben. Dem Vernehmen nach fiel erst da das Fehlen des Mädchens auf. Warum? Auch das gehört zu den vielen offenen Fragen.

Suchaufruf im Internet

Der Vater der Schülerin geht nicht ans Telefon, auch ihr Stiefvater nicht, der Lebenspartner ihrer Mutter. Am Sonntagnachmittag hatte er das erste Tor geschossen und es seiner Stieftochter gewidmet. Später haben sie ihre Aktion auf der Facebook-Seite des Vereins gepostet: „Wenn du das liest, ...komm zurück... Wir würden uns alle freuen und denken an dich...“ Mittlerweile wurde der Suchaufruf mehrere hundert Mal geteilt. (mz)