1. Mai in Berlin 1. Mai in Berlin: Hauptstadt hofft auf eine friedliche Nacht

Berlin/dpa. - Brennende Autos und vermummte Menschen, die Pflastersteine werfen, verletzte Polizisten und blutende Demonstranten - die Bilder vom 1. Mai in Berlin gleichen sich seit Jahren. Auch in diesem Jahr gibt es nur wenig Optimismus, dass die Nacht in Kreuzberg friedlich verlaufen wird. Zwar registriert der Verfassungsschutz weniger Aufrufe zum Krawall. Aber Innensenator Ehrhart Körting (SPD) räumte bereits Anfang April ein: «Bisher hat jeder Innensenator nach dem 1. Mai blass ausgesehen, und ich wage die Prognose, das wird auch 2003 nicht anders sein.»
Seit 1987 liefern sich Angehörige linker und autonomer Gruppen Straßenschlachten mit der Polizei. Die zerstörten Reste des damals vollständig geplünderten «Bolle»-Supermarktes sind an einer Straßenecke noch immer zu sehen. Nach dem Mauerfall verlagerten sich die Auseinandersetzungen für ein paar Jahre in die östlichen Stadtbezirke Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Weil Kreuzberg aber bis heute das Zentrum der alternativen und links-politischen Szene geblieben ist, parken die Anwohner inzwischen wieder pünktlich zum Tag der Arbeit ihre Autos lieber in anderen Stadtbezirken.
Der Charakter der Krawalle änderte sich in den vergangenen Jahren zusehends. Standen anfangs noch politische Inhalte und die Kritik am kapitalistischen System im Vordergrund, liefern jetzt die schwarz gekleideten Autonomen meist nur noch den Zündfunken für den Start des abendlichen Randalierens. Ein Auto oder ein Müllcontainer werden umgekippt und angezündet. Rollt der Wasserwerfer der Polizei langsam um die Ecke, fliegen die Pflastersteine. Stürmen nun die Polizisten in die Menge der Zuschauer, in die sich die Steinewerfer zurückgezogen haben, ist der Startschuss gegeben.
Viele Steine werden von Jugendlichen geworfen, unter ihnen durchaus auch modisch gekleidete Mädchen. Häufig stammen sie aus türkischen oder arabischen Familien. Gesucht wird der Kick des Abenteuers und die Bestätigung in der Jugendgang. Der Sozialwissenschaftler und Protestforscher Dieter Rucht sagt: «Die Polizei auf der Flucht zu erleben, können erhebende Momente für einen 16-jährigen Türken sein.»
Mit verschiedenen Taktiken versuchen Polizei und Politik, die Situation zu meistern. Zur Zeit wird vom SPD-PDS-Senat die so genannte Deeskalationsstrategie verfolgt. Danach begleitet die Polizei zwar Straßenfeste und Kundgebungen am Nachmittag, tritt aber vor Ort nicht in großer Stärke und eher zurückhaltend ohne Helm und Schlagstock auf. Größere Polizeieinheiten warten in Seitenstraßen, dort halten sich auch die Wasserwerfer und Räumfahrzeuge bereit.
Die Abschreckungsstrategie, die von der CDU gefordert wird, setzt dagegen auf massive Präsenz der Polizei in betroffenen Stadtteilen. Ein großes Aufgebot von Polizisten und Bundesgrenzschutz an den Straßenecken soll die Lust am Krawall von Anfang an dämpfen. Beide Methoden wurden von unterschiedlichen Innensenatoren mehrfach erprobt - ohne erkennbaren Erfolg.
Nach einer Studie von Protestforscher Rucht über den 1. Mai 2002 ist es schwierig, ein erfolgreiches Konzept zu entwickeln. Die Protestrituale hätten nämlich für die Gruppen von Demonstranten durchaus Sinn. Erstes Ziel sei allerdings nicht die Übermittlung der politischen Botschaften, sondern «ritualisierte Beschwörung von Gemeinschaften» und die Stiftung von Identitäten.
Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Für die Gesellschaft insgesamt hätten die Krawalle ihren Nutzen, analysiert Rucht. «Indem man alljährlich die Steinewerfer oder die NPD-Demonstranten verurteilt und sich der Abscheulichkeit von Gewalt versichert, wird so ein sozialer Konsens gestärkt.»