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Pharma Pharma: «Die Tradition verblasst»

Von Julia Ranniko 05.11.2004, 09:35
Eine Mitarbeiterin der Behringwerke im hessischen Marburg steht in Schutzkleidung an einer Anlage zur Produktion von Impfstoffen (Undatiertes Archivfoto). 1904, in der Anfangszeit der Behringwerke, waren nur zehn Angestellte mit von der Partie. Damals war der Wissenschaftler Behring bereits berühmt: Mit der Veröffentlichung «Über das Zustandekommen der Diphtherieimmunität und der Tetanusimmunität bei Thieren» schrieb er 1890 Medizingeschichte, 1901 erhielt er den Nobelpreis. (Foto: dpa)
Eine Mitarbeiterin der Behringwerke im hessischen Marburg steht in Schutzkleidung an einer Anlage zur Produktion von Impfstoffen (Undatiertes Archivfoto). 1904, in der Anfangszeit der Behringwerke, waren nur zehn Angestellte mit von der Partie. Damals war der Wissenschaftler Behring bereits berühmt: Mit der Veröffentlichung «Über das Zustandekommen der Diphtherieimmunität und der Tetanusimmunität bei Thieren» schrieb er 1890 Medizingeschichte, 1901 erhielt er den Nobelpreis. (Foto: dpa) dpa

Marburg/dpa. - Kinder, Frauen und Männer warten mit Kannen in derHand in einer Apotheke. Hinter dem Tresen steht ein Pferd, aus demmit einer Art Zapfhahn Serum abgepumpt wird. Die Karikatur, dieAnfang des 20. Jahrhunderts entstand, zeigt plakativ diebahnbrechende Entdeckung des Impfstoff-Pioniers Emil von Behring: Dererste Nobelpreisträger für Medizin infizierte Tiere mit deransteckenden Diphtherie, damit sie Abwehrstoffe bilden. Das Serumimmuner Pferde kann Menschen vor einer Ansteckung schützen. Vor 100Jahren gründete der Forscher, der weltweit als «Retter der Kinder»gefeiert wurde, die nach ihm benannten Behringwerke in Marburg.

Eine Pferdeskulptur auf dem Werksgelände erinnert bis heute an denbedeutenden Mediziner, der vor 150 Jahren geboren wurde. SeinUnternehmen allerdings ist längst zerschlagen: Vier Nachfolgefirmen -Chiron Vaccines, Dade Behring, ZLB Behring und Pharmaserv - feiern andiesem Montag (8. November) das Gründungsjubiläum mit einem Festakt.Trotz des Umbruchs sind die aus den Behringwerken hervorgegangenenUnternehmen mit mehr als 4000 Beschäftigten nach wie vor der größteindustrielle Arbeitgeber in Marburg.

1904, in der Anfangszeit der Behringwerke, waren nur zehnAngestellte mit von der Partie. Damals war der Wissenschaftlerbereits berühmt: Mit der Veröffentlichung «Über das Zustandekommender Diphtherieimmunität und der Tetanusimmunität bei Thieren» schriebBehring 1890 Medizingeschichte, 1901 erhielt er den Nobelpreis. SeineFirma expandierte kräftig, Impfstoffe etwa gegen Cholera und Typhuskamen hinzu. Im Ersten Weltkrieg setzte er massenhaft Heilseren gegenTetanus und den tödlichen Wundstarrkrampf an das Heer ab. Noch vorKriegsende starb der Forscher und Geschäftsmann, der als rastlos undherrisch galt, 1917 im Alter von 63 Jahren an einer Lungenentzündung.

Nach Behrings Tod übernahm die I.G. Farben, damals eines derweltweit größten Unternehmen der chemischen Industrie, 1929 dieBehringwerke AG. Während der NS-Zeit wurden am Standort Marburgzahlreiche Zwangsarbeiter eingesetzt. In Testreihen ließen dieBehringwerke an Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald neuePräparate unter anderem gegen Fleckfieber erproben. Bei den grausamenVersuchen kamen viele Menschen ums Leben.

Nach der Zerschlagung der I.G. Farben durch die Alliierten wurdendie Behringwerke von 1952 an eine 100-prozentige Tochtergesellschaftder Farbwerke Hoechst. In den 90er Jahren schließlich wurden dieWerke in mehreren Schritten aufgegliedert: Das Impfgeschäft führtChiron Vaccines - als Tochter des kalifornischen Biotechnologie-Unternehmens Chiron Corporation - fort. Aus dem Firmennamen ist dasWort Behring verschwunden, nur auf den Verpackungen der Impfstoffehat es überlebt. Dade Behring - aus dem Zusammenschluss mit der US-Firma Dade International entstanden - bietet Diagnostikprodukte an,zum Beispiel Tests zum Nachweis von HIV-Antikörpern.

Für das Plasmageschäft ist das zum australischen Pharmakonzern CSLgehörende Unternehmen ZLB Behring zuständig, das bis April 2004 alsAventis Behring firmierte. ZLB hat im Juni angekündigt, mindestens280 seiner rund 1900 Mitarbeiter zu entlassen. Mit den vielfältigenNamensänderungen ist nach Ansicht des Betriebsratsvorsitzenden vonZLB Behring, Walter Kreuer, viel Tradition und Zusammenhalt verlorengegangen: «Den Begriff der "Behring-Familie" benutzt heute kaum nochjemand.» Das Jubiläum sei für die Mitarbeiter daher nur vonnachrangiger Bedeutung.