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Nordhausen Nordhausen: Wo der Roggen zu Korn wird

Von Steffen Höhne 07.06.2007, 17:39

Nordhausen/MZ. - Karin Lindner hält das Glas Nordhäuser Korn vor eine Kerze. "Der Kerzenschein muss ungetrübt zu sehen sein", sagt die Destillationsmeisterin. Dann saugt sie mit der Nase den Geruch des Kornbrands ein und lässt eine kleine Probe auf der Zunge zirkulieren. Zwei Mal täglich trifft sich die Leiterin der Spirituosenherstellung mit zwei Kollegen zu dieser Prozedur.

"Ob ein Korn oder ein Likör das volle Aroma besitzt, darüber kann keine Maschine befinden", sagt Lindner. Nur kleine Nuancen in der Qualität der Rohstoffe führten zu ungewollten Unterschieden im Geschmack. Nicht nur die Verkostung, auch das Prinzip der Produktion hat sich in den letzten 500 Jahren kaum geändert. Im Jahr 1507 wird der Kornbrand in einem Nordhäuser Ratsbeschluss zu einer Branntwein-Steuer erstmals urkundlich erwähnt. Das weiche Harzwasser, das vorhandene Holz für die Brennereien und der Roggen von der nahen "Goldenen Aue" waren damals die "Standortvorteile", die Nordhausen bereits im 17. Jahrhundert zu einer Hochburg der deutschen Korn-Brennerei aufsteigen ließen. Trotz Kriegen, Alkoholverboten und Wirtschaftskrisen blieb sie dies bis heute.

Alte Verfahren

Noch 1907 gab es in Nordhausen 67 Brennereien. Die historische Brennerei von Joseph Seidel, die heute von seinem Ur-Ur-Enkel Jochen Einenckel geleitet wird, erinnert an diese Blüte. Einenckel erklärt den bis heute unveränderten Prozess der Herstellung: Roggenkörner werden mit Malz und Wasser zu einer Maische vermischt. Durch die Zugabe von Hefe kommt es zur Gärung und somit zur Alkoholbildung. Nach drei Tagen wird der Alkohol, dessen Siedetemperatur bei 78 Grad Celsius liegt, durch eine Destillation getrennt. Nach dem Reinheitsgebot von 1789 wird der fast reine Alkohol danach nur noch mit Wasser gemischt.

Was früher in vielen kleinen Betrieben geschah, findet heute allein in den industriellen Anlagen der Nordbrand Nordhausen GmbH statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die noch intakten Brennereien im stark zerstörten Nordhausen schrittweise zusammengefasst. "Nordbrand füllte vor der Wende jährlich 80 Millionen Flaschen ab", so der damalige Produktionsleiter und heutige Geschäftsführer Hans-Joachim Junker. Nach der Wende übernahm Eckes das Werk und investierte. Allein 40 Millionen Mark flossen in die Werbung - "So muss ein Korn schmecken." "Echter Nordhäuser" stieg zum deutschen Marktführer auf. Ohne Opfer ging die Umwandlung von der volkseigenen Destille zur kapitalistischen nicht vonstatten. Von 800 Beschäftigten sind trotz stark erweiterter Produktpalette weniger als ein Viertel geblieben.

Eckes verlagerte bis 2003 die komplette Produktion von Weinbränden wie Chantré und Mariacron oder dem Likör Eckes-Edelkirsch nach Nordhausen. "Wir füllen jährlich rund 50 Millionen Flaschen mit 60 Sorten ab", so Junker.

Doch das Geschäft ist rückläufig. Der Verbrauch von hochprozentigen Alkoholika geht in Deutschland von Jahr zu Jahr zurück. Seit 1990 halbierte er sich in Ostdeutschland fast. Die Eckes-Gruppe, die sich vor allem auf das Fruchtsaftgeschäft konzentrierte, verlor das Interesse. Die Werbung für die Spirituosen wurde komplett eingestellt und ein Käufer gesucht. Im vergangenen Jahr dann kaufte das Freyburger Sekthaus Rotkäppchen-Mumm, dessen Hauptgesellschafter ebenfalls aus der Eckes-Familie stammt, die Spirituosen-Sparte mit einem Umsatz von immerhin 260 Millionen Euro. "Wir wollen Nordhausen voranbringen", sagt Rotkäppchen-Chef Gunter Heise. Es soll wieder in die Werbung investiert werden, anstatt die Marken nur zu melken.

Neue Perspektiven

Das größte deutsche Sekthaus will sich ein starkes Standbein im Spirituosen- und Weingeschäft aufbauen. Auch Junker freut sich über das neue Mutterhaus: "Hätte uns ein direkter Konkurrent übernommen, wäre es schwierig geworden. Rotkäppchen ist klar auf Wachstum ausgerichtet." Die Chemie zwischen Freyburg und Nordhausen scheint zu stimmen. Heise und Junker kennen und schätzen sich seit langem. Beide waren in der DDR die technischen Leiter in ihren Betrieben, die zum Kombinat "Spirituosen, Wein und Sekt" in Berlin gehörten.