Forschung Neue FLI-Chefin: Tierhaltung der Zukunft kein „Bullerbü“
Erstmals in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Friedrich-Loeffler-Instituts leitet eine Frau das Institut. Für ihre Arbeit, etwa zum Tierwohl, bringt sie eine persönliche Geschichte mit.
Greifswald - Christa Kühn sitzt im Büro mit dem schönsten Blick in ganz Deutschland. Das jedenfalls habe ihr Vorgänger gesagt. „Ich würde ihm da bestimmt nicht widersprechen“, sagt die frisch gebackene Präsidentin des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) der Deutschen Presse-Agentur. Die Fenster geben den Blick auf den Greifswalder Bodden und den weiten vorpommerschen Himmel frei. Viel Deko hat die neue Chefin bislang nicht in das holzvertäfelte Büro gebracht. Erst Anfang Juli übernahm die 60-Jährige die Leitung des weltweit renommierten Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit und seiner mehr als 800 Mitarbeiter.
Ein Bild mit Kühen hängt schon - kein Zufall. „Ohne Kühe geht es nicht“, sagt die studierte Tierärztin und Genetik-Expertin. Das Rind sei eine „unglaublich faszinierende Tierart“. Es könne mit seinem Stoffwechsel aus fast nichts viel machen, und nicht nur das: „Das Temperament und das Gemüt der Rinder ist einfach toll.“
Kühns Vorfahren hielten seit Jahrhunderten Rinder. „Bei uns zu Hause saßen die Kühe so ungefähr mit auf der Couch.“ Für sie strahlten die Tiere eine beruhigende Wirkung aus. Wenn man mit den Tieren vertraut sei, könne man sich bei Stress zwischen sie auf die Wiese legen. „Dann ist garantiert kein Stress mehr da.“
Fokus auf das Tierwohl
Neben dem Schutz vor Infektionskrankheiten und Tierseuchen, die durch Zoonosen auch dem Menschen gefährlich werden können, ist das Tierwohl landwirtschaftlicher Nutztiere ein Fokus des FLI. Kühn hatte vor ihrem Dienstantritt angekündigt, wissenschaftlich die Umgestaltung der Tierhaltung begleiten zu wollen.
Problematisch ist aus ihrer Sicht etwa, wenn Tiere sich wegen ihrer Züchtung nicht mehr fortpflanzen können oder etwa zu Haltungszwecken Schnäbel gekürzt werden müssten. Sie spricht von Zielkonflikten. Will man Tiere besser vor Seuchen schützen oder ihnen Auslauf ermöglichen?
Klar ist für Kühn, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nur mit Tieren möglich ist. „Im Allgemeinen können wir ungefähr nur 25 Prozent von dem, was auf dem Acker wächst, selber konsumieren“, sagt Kühn unter Berufung auf eine entsprechende Studie. Der Rest sei verschwendete Biomasse, sofern man diese nicht an Tiere verfüttere. Das könne man sich auch mit Blick auf die Ernährungssicherheit nicht leisten. Ziel müsse ein Stoffkreislauf sein. Gleichzeitig müsse man Tiere so ernähren, dass sie nicht das auffressen, was der Mensch auch gut konsumieren könne.
Nicht unbedingt Idylle
Bei der Tierhaltung der Zukunft geht es nach Kühns Worten nicht unbedingt um kleinbäuerliche Idylle à la „Bullerbü“. Bestimmte Technologien seien in größeren Betrieben sogar besser umzusetzen. Gleichzeitig spricht Kühn von einer Rückbesinnung, etwa wenn es darum geht, wieder verstärkt auf unterschiedliche, regional angepasste Rassen zu setzen. Sie plädiert für die Kombination ursprünglicherer Konzepte mit der Technik und dem Wissen von heute.
Kühn ist die erste Frau an der Spitze des FLI in der 111-jährigen Geschichte des Instituts. Sie stammt aus dem niedersächsischen Melle hat aber nach eigener Aussage vorpommersche Vorfahren. Bisher leitete sie das Institut für Genombiologie am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf bei Rostock. Kühn ist zudem Professorin für Genetik der Krankheitsresistenz an der Uni Rostock. Ihr Vorgänger, Thomas Mettenleiter, war nach 27 Jahren als FLI-Präsident in den Ruhestand gegangen.
Steffen Maak, Leiter des Instituts für Muskelbiologie und Wachstum am FBN, kennt Kühn seit mehr als zwanzig Jahren und lobt sie als hervorragende Wissenschaftlerin. Er hebt ihre „Zielstrebigkeit und Zuverlässigkeit, Diskussionsfreudigkeit, ein sehr gutes Organisations- und Koordinierungstalent sowie Kompromisslosigkeit in Bezug auf die Einhaltung der Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis“ hervor.
Zur eigenen Motivation, sich künftig auch deutlich mehr politischer Arbeit und Verwaltung auszusetzen, sagt Kühn: „Jetzt ist es irgendwie auch mal dran.“ Sie wolle weitergeben, was sie wissenschaftlich gelernt habe, und zwar auch außerhalb der Wissenschaft zum Nutzen der Allgemeinheit.