Nationalpark Hainich Nationalpark Hainich: So beeindruckend ist Thüringens einziger Baumkronenpfad

Zimmern - „Über allen Gipfeln ist Ruh’, in allen Wipfeln spürest du, kaum einen Hauch; die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch.“
Die Zeilen soll Johann Wolfgang von Goethe im September 1780 an der Jagdaufseherhütte auf dem Kickelhahn bei Ilmenau geschrieben haben. Der Dichter war offensichtlich in melancholischer Verfassung.
Und damals gab es auch noch keine Baumkronenpfade, die Goethe hätte besteigen können. Von Ruhe kann in den Wipfeln jedenfalls keine Rede sein. Dort herrscht eher das pralle Leben.
Baumkronenpfad im Thüringer Nationalpark Hainich
Eine achtjährige Grundschülerin aus Gotha sagt nur knapp: „So hoch, so geil.“ Sie und ihre Mitschüler stehen in 20 bis 30 Metern Höhe auf dem Baumkronenpfad im Thüringer Nationalpark Hainich.
Links und rechts ragen die Kronen von Eiche, Buche, Linde oder Kastanie in die Höhe. Die Blätter sind zum Greifen nah und hörbar. Das Wort „Blätterrauschen“ wird hier erlebbar.
Die Lehrerin formuliert sehr treffend: „Wir haben hier die Eichhörnchenperspektive.“ Sie zeigt auf einen im Baum sitzenden Vogel. Leider wissen weder die Schüler noch die Lehrerin, welche Art das nun ist.
Baumkronenpfad Hainich 2005 eröffnet
Der erste Baumkronenpfad Deutschlands wurde 2003 im Pfälzerwald (Rheinland-Pfalz) eröffnet, der Hainich kam 2005 als Nummer zwei hinzu. Inzwischen sind es mehr als ein Dutzend, einige davon gehören sogar einem börsennotierten Unternehmen.
Die Pfade in ungewohnter Höhe sind zu touristischen Attraktionen geworden. Die Vorbilder stammen aus Südamerika. In den 70er Jahren bauten Wissenschaftler Seilstege durch den Dschungel des Amazonas, um Baumspitzen und Tierwelt zu untersuchen.
Nationalpark Hainich bei Bad Langensalza
Nun wachsen im Hainich weder Lianen noch leben Schlangen auf den Bäumen, einen Urwald gibt es allerdings schon. In der DDR waren große Teile des Höhenzuges zwischen Bad Langensalza und Eisenach militärisches Übungsgelände.
Der Wald konnte sich ohne Eingriffe von außen entwickeln. Es ist das größte zusammenhängende Buchenwaldgebiet Deutschlands. 2011 wurde der 7.500 Hektar große Nationalpark sogar zum Unesco Weltnaturerbe ernannt.
„Es findet keine Nutzung des Waldes statt“, sagt Rüdiger Biehl, stellvertretender Leiter des Nationalparks. Bäume würden weder geschlagen, noch Totholz entsorgt.
Idee für Baumkronenpfad bei Eisenach hatte ein Student
Die Nationalparkverwaltung machte sich Anfang der 2000er Jahre Gedanken, wie ein sanfter Tourismus möglich ist. Ein Student, so erzählt Biehl, hatte die Idee des Baumkronenpfades. Nach seinen Worten ist es nicht Ziel, einen Erlebnispark zu schaffen, sondern Natur erlebbar zu machen.
Der 550 Meter lange Hochweg ist gespickt mit interaktiven Tafeln, die etwa über Baum- und Vogelarten informieren. Dabei muss anhand der Blätter die Baumart bestimmt werden, der Besucher erfährt auch, dass ein Laubbaum mehr als 200 Liter Wasser am Tag verbraucht. Auf zwei Hängebrücken können Kinder nachvollziehen, wie die Äste im Wald schwanken. Kurz: Es wird aktiv und spielerisch Umweltbildung betrieben.
Nationalpark Hainich auch für Rollstuhlfahrer
Das Konzept kommt an, im Eröffnungsjahr wurden 50.000 bis 100.000 Besucher erwartet. Tatsächlich kamen 285 000. Dank Fahrstuhl ist der Pfad auch für Rollstuhlfahrer problemlos befahrbar. In den vergangenen Jahren wurden im Schnitt 200.000 Gäste verzeichnet. Zum Vergleich: Der Zoo Halle, der eine Tier-Armada bietet, zählte 2015 etwa 320.000 Besucher.
Der Erfolg des Baumkronenpfades im Hainich sprach sich in Deutschland schnell herum. In vielen Urlaubsregionen wie im Harz, auf Rügen oder im Bayerischen Wald entstanden ähnliche Projekte.
Die Erlebnis Akademie AG aus Bad Kötzting (Bayern) betreibt inzwischen vier solcher Anlagen in Deutschland. Den Erfolg erklärt Vorstand Bernd Bayerköhler so: „Menschen sind generell fasziniert von Aussichten. Ein Baumkronenpfad eröffnet ganz neue Perspektiven.“
Vor einem Jahr ging das Unternehmen sogar an die Börse. Da sich Banken bei der Finanzierung der Projekte mitunter schwertun - ein Baumkronenpfad gilt nicht unbedingt als werthaltige Sicherheit - besorgte sich das Unternehmen Mittel am Kapitalmarkt, um zu expandieren.
Nicht jede Planung trifft dabei auf Zustimmung. In Bodetal bei Thale (Harz) wollte ein Investor einen Wipfelpfad bauen. Naturschützer kritisierten das Vorhaben massiv, da sie einen zu starken Eingriff in die Landschaft befürchteten. Auch die Nähe zum Pfad in Bad Harzburg könnte die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Aktuell ist es um das Projekt ruhig geworden.
Nach Einschätzung von Bayerköhler benötigt ein Wipfelpfad je nach Größe zwischen 200.000 bis 250.000 Besucher im Jahr, damit er profitabel arbeiten und weiter investieren kann.
Einzigartige Flora und Fauna im Nationalpark Hainich
Auch in der Höhe wirken die Gesetze des Tourismusgeschäfts. „Alle drei bis vier Jahre muss eine Attraktion hinzukommen oder Altes durch Neues ersetzt werden, damit die Gäste auch ein zweites, drittes und viertes Mal kommen“, so Bayerköhler.
Im Hainich hat man diese Regeln berücksichtigt. Bereits im Jahr 2009 wurde der Baumkronenpfad erweitert, es entstand eine Gaststätte und ein Informationszentrum. Dieses erhielt in diesem Jahr einen interessanten Anbau: die Wurzelhöhle.
Die Schau mit einer Gesamtfläche von 200 Quadratmetern präsentiert Touristen das Leben von Tieren und Pflanzen im Waldboden. Auf Bildern und in Videos wird anschaulich gezeigt, wie Bäume miteinander „reden“.
Nach Worten von Biehl, der die Schau mitgestaltete, sei kaum bekannt, dass Bäume sich gegenseitig mit Nährstoffen versorgen und über Botenstoffe beispielsweise Würmer alarmieren, die Baum-Schädlinge bekämpfen. Für kleinere Kinder gibt es zahlreiche Gänge, durch die nur sie passen, für größere eine App.
Wer analog und die freie Natur vorzieht, der begegnet auf dem Weg zum Baumkronenpfad einer 800-jährigen Eiche. Mit 5,45 Meter Stammumfang ist sie der dickste Baum im Gebiet. Dass dem Hainich die Attraktionen einmal ausgehen, kann sich Biehl nicht vorstellen: „Allein das tote Holz bildet die Basis für viele Nahrungsketten und die enorme Biovielfalt.“
Es gebe hier etwa 1.600 Pilz-, 26 Orchideen- und 30 Baumarten. Zudem seien 600 Schmetterlings- und mehr als 100 Vogelarten gezählt worden. Der Oberforstrat kommt aus den Aufzählungen kaum noch raus. Bechstein-Fledermaus, Specht & Co. kann dabei vom Wipfelpfad ins Nest geschaut werden. Das reicht als Spannung, um Hunderttausende zu begeistern.
Mehr Informationen: www.nationalpark-hainich.de (mz)