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Nähmaschinen Nähmaschinen: Flinke Nadeln sind Geschichte

03.03.2003, 08:32
Eine der ersten DDR-Nähmaschinen "Veritas" ist im Nähmaschinenmuseum in Wittenberge (Prignitz-Kreis) ausgestellt, fotografiert am 27.02.2003 in einer Ausstellungsvitrine. Obwohl 1991 die Produktion von Nähmaschinen in der Elbestadt eingestellt wurde, feiert der Ort in diesem Sommer "100 Jahre Nähmaschine". Zu DDR-Zeiten arbeiteten in Wittenberge über 3.000 Menschen im Nähmaschinenwerk "Veritas" und lieferten zwischen 1951 und 1991 über 7,6 Millionen Maschinen aus. (Foto: dpa)
Eine der ersten DDR-Nähmaschinen "Veritas" ist im Nähmaschinenmuseum in Wittenberge (Prignitz-Kreis) ausgestellt, fotografiert am 27.02.2003 in einer Ausstellungsvitrine. Obwohl 1991 die Produktion von Nähmaschinen in der Elbestadt eingestellt wurde, feiert der Ort in diesem Sommer "100 Jahre Nähmaschine". Zu DDR-Zeiten arbeiteten in Wittenberge über 3.000 Menschen im Nähmaschinenwerk "Veritas" und lieferten zwischen 1951 und 1991 über 7,6 Millionen Maschinen aus. (Foto: dpa) ZB

Wittenberge/dpa. - Das laute Rattern von Nähmaschinen ertönt in Wittenberge heute nur noch im Museum. Genau 100 Jahren ist es her, dass der amerikanische Singer-Konzern in der Prignitz-Stadt eine Produktionsstätte eröffnete. Aus Singer wurde in der DDR «Veritas» - einst mit 3000 Beschäftigten größter Betrieb und Lebensnerv einer ganzen Region. Nach 40 Produktionsjahren und mehr als 7,6 Millionen gebauten Haushaltsmaschinen ging Silvester 1991 in dem Werk endgültig das Licht aus.

Seither ist es in der 20 000-Einwohner-Stadt an der Elbe ruhig geworden. Ihre Arbeitslosenquote liegt weit über 20 Prozent, und seit 1990 haben ihr fast ein Drittel der Einwohner den Rücken gekehrt. «Die Stadt wird sich vom Verlust des Werkes nie wieder erholen, denn die paar neuen Betriebe und der Tourismus bringen doch nur eine Hand voll neue Jobs», meint die 58-jährige Mechanikerin Elke Höher, die 32 Jahre lang bei Veritas arbeitete und nun - gefördert vom Arbeitsamt - eine Schauwerkstatt im Museum «Alte Burg» leitet.

200 historische Maschinen von Singer und Veritas, aber auch von Opel und Victoria trugen die Museumsleute zusammen; davon ist die älteste 150 und die jüngste gerade 13 Jahre alt. 42 Maschinen sind repariert und voll funktionstüchtig; ganze Schulklassen, frühere Veritas-Arbeiterinnen, Rentner und Historiker lassen heute die flinken Nadeln übers Tuch sausen. «Manche bringen sogar ihre eigene Maschine mit - zum Reparieren.» Elke Höher hilft dann gern, wendet sich notfalls ans verbliebene Veritas-Ersatzteillager.

Den riesigen Vorrat zig Tausender Einzelteilen hatten die früheren Nähmaschinen-Werker Peter und Ingrid Biefel aufgekauft und darauf eine neue Firma gegründet. Sie betreiben heute weltweit einen schwungvollen Ersatzteilhandel, denn Veritas-Maschinen waren einst beliebtes Exportgut der DDR. Die Biefels sind nun die einzigen, die abgebrochene Nadeln ersetzen, Keilriemen liefern oder gar einen osteuropäischen Veritas-Motor vermitteln können.

Kunden sind zumeist Werkstätten, aber auch ein Moskauer Kloster bestellte schon Teile für seine Nähstube. Ein Händler aus Litauen reiste eigens mit dem Motorrad an die Elbe, um Schrauben, Stichplatten und Anlasser nachzukaufen.

Seinen Sitz hat der Ersatzteil-Versand-Service in einer der alten Fabrikhallen, die inzwischen arg verfallen sind, größtenteils leer stehen und kaum zu vermieten sind. Nach der gescheiterten Privatisierung wird das alte Betriebsgelände seit März 2000 als «Veritas-Park» zwangsverwaltet. Bisher gelang die Ansiedlung von gut 30 kleinen Firmen der Holz-, Metall- und Kunststoffbranche, wie der Verwalter Ralf von Hagen sagt.

Die Hoffnung auf einen neuen Großinvestor indes mussten die Wittenberger längst begraben. Dennoch feiern sie im Sommer ihr Jubiläum «Hundert Jahre Nähmaschine» - zwar ohne Fabrik, aber immerhin mit einer Sonderausstellung. Die wird im Wahrzeichen der Stadt, im 50 Meter hohen «Uhrenturm» von 1928 mitten im historischen Werk aufgebaut. So könnten nach zwölf Jahren erstmals wieder Nähmaschinen bei «Veritas» rattern - wenn auch nur zur Festtags-Show.