1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. MZ-Serie: MZ-Serie: Würstchen in Dosen wurden in Halberstadt erfunden

MZ-Serie MZ-Serie: Würstchen in Dosen wurden in Halberstadt erfunden

Von MICHAEL FALGOWSKI 20.03.2011, 18:05

HALBERSTADT/MZ. - Die Geschichte des Halberstädter Würstchens wäre beinahe nur sehr kurz geraten. Denn Friedrich Heine, der 1883 in seiner Junggesellenküche angefangen hatte, Därme zu stopfen, nahm 1896 einen wirtschaftlich hochriskanten Auftrag an - 40 000 Halberstädter Würstchen für die Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals auf dem Kyffhäuser. Damit hatte Heine ein Problem: Die Haltbarkeit seiner Fleischware reichte nicht aus. Denn sein kleines Unternehmen musste lange vor dem Feiertag beginnen, diese Bestellung zu produzieren. Der findige Unternehmer löste das Problem auf verblüffende Weise: Er konservierte erstmals Räucherwürstchen in Dosen.

Das rettete ihn. Denn als bei der Einweihung des zweitgrößten Denkmals Deutschlands ein plötzlicher Regenguss die tausenden potenziellen Würstchen-Käufer auseinander trieb, bedeutete dies nicht den befürchteten Ruin. Denn die 30 000 übrig gebliebenen haltbaren "Halberstädter" verdarben nicht. Wenig später präsentierte der Erfinder auf der Kochkunstausstellung in Wiesbaden seine Weltneuheit: "Würstchen in Dosen".

Bockwurst gibt es auch in Bangkok

Dieses Erfolgsrezept funktioniert noch immer. Bis zu 20 Tonnen Wurst verlassen heute täglich die Domstadt. Jährlich werden sieben Millionen Gläser und fünf Millionen Dosen gefüllt. "Im Osten sind wir bei konservierten Würsten im Naturdarm die Nummer eins, deutschlandweit vier oder fünf", sagt Silke Erdmann-Nitsch. Sie und ihre Bruder Stefan Nitsch leiten heute ihr Familienunternehmen "Halberstädter". Im Westen habe es der Klassiker aus dem Osten dagegen schwer. "Gerade in Süddeutschland kaufen die Leute unsere dunkel geräucherten, kräftigen Würstchen nicht." Indes fasst die Ostmarke auch im internationalen Markt Fuß. "Das geht langsam, aber doch stetig. Wir versuchen, unsere Produkt weltweit auf Messen zu präsentieren", sagt Erdmann-Nitsch. Und immerhin: Im Moment werden "Halberstädter" bereits in elf Ländern verspeist. Die "Premium-Bockwürste" gibt es in Europa, aber auch in Bangkok und Malaysia.

Der große Respekt vor der unternehmerischen Leistung Friedrich Heines ist bei seinen Nachfolgern spürbar. Ulrich Nitsch aus dem niedersächsischen Lehrte hatte 1992 die Treuhand-Firma privatisiert. "Mein Vater ist Kaufmann und Metzger. Er hat gesagt, dass es ein Schatz ist, wenn sich eine Wurst-Marke mehr als 100 Jahre lang hält", sagt Chefin Erdmann-Nitsch im jugendstil-getäfelten Konferenzraum der Fabrik, die Heine 1913 bauen ließ. Es war seinerzeit die größte Wurstfabrik Europas.

Und die "Schatzkammer" hatte Ulrich Nitsch 1992 schnell lokalisiert: die zwölf gemauerten Kaminrauchkammern. Sie sind heute 110 Jahre alt - und qualmen immer noch. "In den Kammern werden die Würstchen noch immer über schwelenden, feuchten Buchenholzspänen bei bis zu 115 Grad geräuchert", erläutert Stefan Nitsch. Außerdem seien die "Halberstädter" sehr bekömmlich, denn Räucherschadstoffe würden sich an den Mauersteinen festsetzen. Und: Die Würste reifen noch 24 bis 36 Stunden nach dem Räuchern. "Halberstädter Würstchen können so wirklich nur bei uns hergestellt werden. Auch weil es die sogenannte Mikrofauna in den Kammern und der Umgebung, die für die Herstellung mitverantwortlich ist, nur hier gibt", ergänzt Lebensmitteltechnologe Nitsch.

Europaweit geschützte Marke

Der kräftige Geschmack und die dunkle Rauchfarbe machen "Halberstädter" bis heute unverwechselbar. Das hat man schriftlich. "Seit 2010 ist nach 18 Jahren Kampf unsere Marke europaweit geschützt", sagt Geschäftsführerin Erdmann-Nitsch stolz. Den "Schatz" dieser Tradition erkannte damals nicht jeder. "Bei der Treuhand gab es mehr als 30 Interessenten. Aber alle wollten die maroden Hallen und Anlagen wegreißen und alles ganz neu aufbauen", erinnert sich Karlheinz Krone, langjähriger Betriebsleiter und seit 1985 im Unternehmen.

Die heutigen Besitzer eines der bekanntesten "Ostprodukte" setzen im Sinne Heines auf Qualität. So werden ausschließlich Natur- und keine Kunstdärme verwendet, was wegen deren höherer Empfindlichkeit Handarbeit verlangt. Auch deswegen sind "Halberstädter" keine Billigwurst.

Bleibt noch festzuhalten, dass die Bockwurst offenbar eine männliche Domäne ist. "Alles was Mann gerne ist", heißt der aktuelle Werbeslogan für das Würstchen made in Sachsen-Anhalt. "So, wie ein Mann sein will: kräftig, einzigartig, ehrlich", sagt Erdmann-Nitsch.