MZ-Serie MZ-Serie: Handel und Hersteller stellen sich auf ältere Kunden ein

Halle (Saale)/Magdeburg/MZ. - Marianne Herden (84) und Elli Kettmann (82) wissen ganz genau, was sie von einem Supermarkt erwarten, in dem Senioren gern einkaufen. Die beiden Hallenserinnen haben im Seniorenrat der Stadt Halle ein gewichtiges Wörtchen mitzureden, wenn an ein Geschäft das Zertifikat "Seniorenfreundlicher Service" vergeben werden soll. Und so zählen sie auf: Der Eingangsbereich sollte leicht begehbar und die Waren im Laden gut ausgeschildert sein. Freundliches und hilfsbereites Personal ist gefragt, das auch mal eine Frage beantwortet. Die Zahlungsbedingungen sollten unkompliziert sein. Ideal wären Sitzgelegenheiten im Geschäft, um mal auszuruhen. Zur Kundenfreundlichkeit gehört auch, dass Waren mit hohem Gewicht - zum Beispiel Getränkekästen - in die Wohnung des Kunden geliefert werden. Und sie möchten ihre Meinung sagen können - in einem Kundenbuch.
Soweit die offiziellen Kriterien des Seniorenrates, dem die Frauen noch ein ganz persönliches hinzufügen: Möge nicht ständig alles umgeräumt werden, auf dass man bei jedem Einkauf die Waren an der vertrauten Stelle findet.
Immer mehr Geschäfte versuchen, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Dazu gehören beispielsweise die Edeka-Märkte. Die Regionalgesellschaft Edeka Minden-Hannover, zu der auch Sachsen-Anhalt gehört, sehe den Wandel in der Gesellschaft als Herausforderung und Chance zugleich, sagt Vorstand Wolfgang Mücher. "Ältere Kunden sind anspruchsvoller, sie erwarten Serviceleistungen und eine ansprechende Atmosphäre", fügt er hinzu.
Dabei geht das Unternehmen noch einen Schritt weiter. Nicht nur Seniorenfreundlichkeit, sondern Generationenfreundlichkeit wird angestrebt. Das Zertifikat "Generationenfreundliches Einkaufen" verleiht der Einzelhandelsverband HDE. Es signalisiere allen Kunden einen unbeschwerlichen und barrierearmen Einkauf - Eltern mit Kinderwagen, Menschen im Rollstuhl und eben den Senioren, unterstreicht Mücher.
Von den rund 120 Edeka-Märkten in Sachsen-Anhalt haben zirka 50 Prozent das Zertifikat bereits erhalten. So auch der vor fast genau einem Jahr eröffnete am Hallmarkt in Halle, in dem wir Marianne Herden und Elli Kettmann treffen. Heiko Grunert, Edeka-Vertriebsleiter für Sachsen-Anhalt, zeigt am Beispiel dieses Marktes, worauf es dabei vor allem ankommt: Neben dem barrierefreien Eingang müssen die Hauptwege im Geschäft mindestens 90 Zentimeter breit sein. Die maximale Höhe der Regalböden darf 1,70 Meter nicht überschreiten. Der Boden sollte rutschfest und spiegelfrei sein.
Doch es sind nicht nur die bauliche Gestaltung der Läden, auf die besonders geachtet wird. "Unser Trumpf", sagt Grunert, "ist die Bedienungstheke." Die sei vor allem für die zunehmende Zahl von Kleinverbrauchern interessant. Elli Kettmann kann das bestätigen. Sie lebt allein und ärgert sich häufig über die großen Abpackungen - vor allem beim Käse. "An unserer Theke kann sie einzelne Scheiben kaufen und hat dabei noch eine große Auswahl", unterstreicht Marktleiterin Saskia Renner. Das gleiche gelte bei Fleisch oder Wurst. Grunert weist noch darauf hin, dass es speziell geschulte Mitarbeiter gibt, die, wenn es gewünscht wird, auch individuelle Auskünfte zu den Produkten geben können. Elli Kettmann findet das alles sehr schön. "Aber ", so findet sie, "das macht es auch ein wenig teurer."
Insgesamt 58 Kriterien müssen erfüllt werden, damit ein Geschäft das Zertifikat "Generationenfreundliches Einkaufen" erhält. Doch ganz unabhängig davon unterstreicht Heiko Grunert, dass die Handelsketten in einem harten Wettbewerb um die weniger und älter werdenden Kunden stehen. "Wir müssen uns auf Gedeih und Verderb darauf einstellen", sagt er. Dabei sei es falsch, nur über Preisaggressivität zu gehen. "Wir bieten den Kunden hier Bedienung, Service und niedrige Preise."
Zum Konzept von Edeka gehört dabei auch die verstärkte Prüfung möglicher Innenstadt-Standorte. "Die Städte schrumpfen von außen nach innen", sagt Grunert. Die Kunden der Zukunft seien vorwiegend in den Städten zu finden.
"Der Handel hat die älteren Menschen als Zielgruppe durchaus erkannt", schätzt Thomas Lange, Geschäftsführer der Agrarmarketinggesellschaft Sachsen-Anhalt, ein. "Aber er hat erst angefangen zu begreifen, wie wichtig diese Kundengruppe ist." Es gebe bisher nur einzelne Beispiele dafür, dass er sich darauf einstelle. Insgesamt gesehen geschehe auf diesem Gebiet noch viel zu wenig. Ja, er spricht sogar von der Dienstleistungswüste Handel. Lange ist sich sicher, dass es da in den nächsten zehn Jahren eine "starke Entwicklung" geben wird. Übrigens nicht nur im Handel - auch bei den Herstellern.
Allerdings, so unterstreicht der Geschäftsführer, Produkte, die speziell Ältere ansprechen, werden abgelehnt. "Das beste Beispiel dafür ist der Seniorenteller." Vielmehr griffen Senioren gern zu kleineren Abpackungen, von denen sich aber auch junge Singles angesprochen fühlten. Darauf würden die Hersteller schon reagieren.
Lange nennt die Bäckereikette, die in ihren Filialen Brot portioniert, den Feinkostproduzenten, der Pasteten in kleineren Dosen anbietet, den Getränkehersteller, der Kästen entwickelt hat, die kleiner sind und leichter transportiert werden können, die Winzergenossenschaft, die verstärkt kleinere Flaschen auf den Markt bringt, die sie früher nur für Fluggesellschaften oder die Bahn produziert hat. Die Reihe ließe sich fortsetzen und wird wohl immer länger werden. Auch die Werbung, so sagt Lange, beginne langsam, sich auf Ältere einzustellen. "Sie kommt weg vom Jugendwahn." Eines allerdings gehe nicht mehr - nämlich gesundheitsbezogene Werbung. Sprüche wie "Gut für Ihre Knochen" sind seit Anfang des Jahres von der Europäischen Union verboten worden. Zu häufig seien sie irreführend gewesen.
Lange sieht in einer älter werdenden Kundschaft übrigens auch Chancen für regionale Hersteller. "Die Älteren sind hier regional verwurzelt. 60 Prozent von ihnen, so haben unsere Analysen ergeben, kaufen auch bevorzugt regionale Produkte", erzählt er. Bei der jüngeren Kundschaft seien das lediglich 20 bis 25 Prozent.
In den Edeka-Regalen finden sich viele regionale Erzeugnisse. "Wir arbeiten mit mehr als 100 kleineren Firmen in Sachsen-Anhalt zusammen", sagt Grunert. "Diese Firmen haben sich positiv mit uns entwickeln können."
Marianne Herden und Elli Kettmann haben inzwischen ihren Einkauf am Hallmarkt beendet und sind ganz zufrieden. "Eine seniorenfreundliche Kaufhalle sollte ein kleines bisschen auch eine Begegnungsstätte für ältere Menschen sein", wünscht sich Marianne Herden." Aber das wäre wohl der Idealfall.