Besuch in Washington Merkel bei Biden - Hochwasser rückt Klima ins Zentrum
Als erste Regierungschefin aus Europa ist Kanzlerin Merkel bei US-Präsident Biden zu Gast. Die Überschwemmungen in Deutschland lenken den Blick auf ein zentrales Zukunftsthema.
Washington - Angela Merkel wirkt bestürzt, als sie in der deutschen Botschaft in Washington vor die Kameras tritt.
Ihre Gedanken seien in diesen Stunden „immer auch bei den Menschen in der Heimat“, in den Hochwassergebieten in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen, sagt die Kanzlerin bei einem kurzfristig arrangierten Auftritt. „Ihnen will ich auch von hier aus ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität schicken.“ Von Katastrophe und Tragödie spricht Merkel. Es ist ihr anzumerken, wie sehr sie die Lage zu Hause in Deutschland bewegt.
Es ist eine der letzten großen Auslandsreisen Merkels und einer der wichtigsten USA-Besuche in ihrer zu Ende gehenden bald 16-jährigen Ära als Kanzlerin. Doch die Überschwemmungen mit vielen Toten, eingestürzten Häusern und überfluteten Landstrichen lassen den Anlass ihres Besuchs in der US-Hauptstadt fast in den Hintergrund treten.
Merkel und der neue US-Präsident Joe Biden wollen nach einer Zeit der Zerrüttung während der Ära von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump vor allem ein Signal des Neuanfangs senden. Das Klima zwischen Berlin und Washington stimmt wieder, soll die Botschaft sein - selbst wenn einzelne Konflikte weiter bestehen. Auch wenn Merkel nicht mehr zur Bundestagswahl antritt und in ein paar Monaten aus dem Amt scheidet: Für ihre Nachfolgerin oder ihren Nachfolger im Kanzleramt könnten bei den Beratungen in den USA wichtige Weichen gestellt werden.
Bestimmen Bilder aus der Heimat die Agenda?
Die Überflutungen in Deutschland dürften den Blick von Merkel und Biden wohl viel stärker als eigentlich geplant auf das Megathema der Zukunft lenken, den Klimaschutz. Ausgerechnet bei diesem Punkt hatte es in der Zeit von Trump gigantische Differenzen gegeben: Dieser hatte die USA aus dem Klimaschutzabkommen von Paris gezogen.
Biden machte den Ausstieg am ersten Tag im Amt rückgängig. Unter ihm sind sich die USA und die EU sowie andere Partner grundsätzlich einig, dass der Kampf gegen den Klimawandel von überragender Bedeutung ist. Der Präsident nennt das sich ändernde Klima oft eine „existenzielle Bedrohung“. Unter Trump wären solche Worte undenkbar gewesen - er zweifelte an, dass der Klimawandel menschengemacht sei.
Doch sind auch mit Biden ein paar Differenzen beim Thema Klima geblieben. Das zeigt sich in einzelnen Punkten: So konnten sich die G7-Staaten bei ihrem Gipfel im Juni in Großbritannien nicht auf ein konkretes Datum zum Ausstieg aus der Kohle einigen. Merkel betonte dort, das habe nicht an Deutschland gelegen. Und während die USA auf Atomkraft setzen, steigt Deutschland daraus aus.
Nicht nur beim Klimaschutz, auch bei anderen Themen ruckelt es nach wie vor zwischen Washington und Berlin. So wurde nicht erwartet, dass Merkel und Biden beim größten aktuellen Streitthema, dem Konflikt um die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2, bereits eine abschließende Lösung verkünden könnten. Eine hochrangige US-Regierungsvertreterin hatte hier schon vor den Gesprächen gesagt, sie gehe nicht davon aus, dass die Diskussion am Donnerstag zu einem Ergebnis oder einer offiziellen Ankündigung führen werde.
Auch der Umgang mit China und Russland, die bedrohliche Lage in Afghanistan kurz vor dem Ende des internationalen Militäreinsatzes und die Corona-Pandemie stehen auf der Themenliste von Merkel und Biden. Dass Merkel dabei etwa ihren Widerstand gegen eine Aufweichung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe aufgeben würde, war ebenfalls kaum zu erwarten. Biden ist dafür, den Patentschutz im globalen Kampf gegen die Pandemie vorübergehend auszusetzen.
Meinungsverschiedenheit auch bei Impfstoff-Patenten
Vor ihrem schweren Auftritt zur Unwetterkatastrophe in Deutschland hatte sich Merkel mit Vizepräsidentin Kamala Harris getroffen - einer Frau, für die die Kanzlerin ganz offensichtlich große Sympathie empfindet. Schon direkt nach der Wahl Bidens zum Präsidenten hatte die Kanzlerin im November erwähnt, dass sie sich auf ein Treffen mit Harris freue. Ausdrücklich würdigte sie damals, dass Harris als erste Frau und als Kind zweier Einwanderer zur Vizepräsidentin gewählt worden sei. Sie sei „für viele Menschen eine Inspiration, ein Beispiel für die Möglichkeiten Amerikas“. Merkel war selbst 2005 als erste Frau an die Spitze der Bundesregierung gewählt worden.
Es sind dann auch herzliche Szenen an Harris' offiziellem Wohnsitz, Number One Observatory Circle - Merkel trägt dabei einen ockergelben Blazer, Harris ein dunkelblaues Jackett. Die Hände schütteln sich die beiden nicht, wohl wegen der Corona-Pandemie. Dabei gilt der Handshake in den USA angesichts von großen Impffortschritten und niedrigen Infektionszahlen nicht mehr als Tabu. Doch Merkel gilt als extrem hinsichtlich Corona - und sieht sich bei den Kontaktbeschränkungen in einer besonderen Vorbildrolle. Inhaltlich geben Merkel und Harris schon zum Auftakt des Besuchs den Ton vor - beide unterstreichen die Bedeutung gemeinsamer Werte.
In Trumps vier Amtsjahren hatte das internationale Image der Vereinigten Staaten schweren Schaden genommen - vor allem wegen dessen „Amerika zuerst“-Politik. Kritiker sahen plötzlich nicht mehr im US-Präsidenten, sondern in Merkel die Anführerin der freien Welt. Als sie im Mai 2019 in der liberalen Elite-Universität Harvard eine viel beachtete Rede mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die internationale Zusammenarbeit und deren Organisationen hielt, wurde sie gefeiert wie ein Popstar.
Nun wird die Kanzlerin von der Johns-Hopkins-Universität erneut mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnet - es ist die 18. Ehrung dieser Art in ihrer Amtszeit. Schon vorab hatte die Universität Merkel als „globale Führungspersönlichkeit von beispielloser Entschlossenheit und Integrität“ gewürdigt. Die Kanzlerin habe nicht nur Deutschland geführt, „sondern war auch ein Leuchtfeuer für die Welt in Krisenzeiten, von der großen Rezession bis zur Covid-19-Pandemie“.