Marco nach drei Monaten U-Haft vor türkischem Gericht
Antalya/Uelzen/dpa. - Nach drei Monaten Untersuchungshaft in der Türkei steht der 17-jährige Marco an diesem Freitag in Antalya wegen des angeblichen sexuellen Missbrauchs einer jungen Engländerin vor Gericht.
Am Vorabend kamen in Uelzen, der Heimatstadt des Jugendlichen, rund 120 Menschen zu einem Fürbittengottesdienst. Die 13-jährige Britin wirft Marco sexuelle Belästigung nach einem Discoabend vor. Der deutsche Schüler spricht von gemeinsamen Zärtlichkeiten. Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft in Antalya, Yusuf Hakki Dogan, am Donnerstag erklärte, sei eine Freilassung von Marco zu Prozessbeginn ungewiss. Die Anklage laute auf «sexuelle Ausbeutung zum Nachteil einer Minderjährigen». Weitere Details könne er wegen der verhängten Nachrichtensperre nicht nennen.
Die Eltern des Realschülers sind bereits vor Tagen in die Türkei gereist. Um die jugendlichen Prozessbeteiligten zu schützen, sei die Öffentlichkeit von dem Prozess ausgeschlossen worden, sagte Dogan. Auch das Gerichtsgebäude sei während der Verhandlung für Unbeteiligte nicht zugänglich. Die Staatsanwaltschaft stellte für Freitag nähere Auskünfte zur Anklage und dem Gang des Verfahrens in Aussicht. Unklar ist, ob das Gericht schon am Freitag eine Entscheidung fällt. Neben einer Freilassung halten Rechtsexperten eine Bewährungs- und auch eine Haftstrafe für denkbar. Möglich ist auch, dass das Verfahren an Deutschland abgegeben wird.
Der Fall Marco hatte hohe Wellen geschlagen, nachdem in Deutschland die Haftbedingungen in der Türkei kritisiert und Politiker auf eine Freilassung des Jungen gedrängt hatten. Selbst die EU-Tauglichkeit der Türkei war ins Spiel gebracht worden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten sich in den Fall eingeschaltet, wobei die Kanzlerin zuletzt zu «Behutsamkeit und Ruhe» aufgerufen hatte. Die Türkei hatte empfindlich auf Kritik an ihrer Justiz reagiert und betont, der Paragraf, der sexuelle Kontakte mit Kindern unter Strafe stellt, sei bereits 2005 an EU-Normen angepasst worden.
In Reaktion auf die Aufregung um Marco berichteten türkische Medien am Freitag in großer Aufmachung von einem siebenjährigen türkischstämmigen Jungen aus Berlin. Der Schulleiter seiner Schule habe ihn wegen sexueller Belästigung einer Mitschülerin für fünf Tage der Schule verwiesen, schrieben die Zeitungen. Die Eltern seien empört und regten sich darüber auf, dass über diesen Fall im Gegensatz zum Fall Marco in den deutschen Medien nicht berichtet werde.
In Marcos Heimatstadt Uelzen kamen am Donnerstagabend 120 Menschen zu einem Fürbittengottesdienst für den Jugendlichen. Sie wollten Anteil nehmen und in Gedanken bei ihm und seiner Familie sein, sagten Teilnehmer vor der St. Petri-Kirche. «Gott solle die Familie rasch wieder zusammen führen», bat Pastorin Susanne Holsing. Zum Schluss des Gottesdienstes entzündeten die Teilnehmer Kerzen am Kircheneingang.