Landwirtschaft in Polen Landwirtschaft in Polen: Rückständigkeit als Wettbewerbsvorteil
Warschau/MZ. - "Polen ist ein Land mit rückständiger Landwirtschaft, man sieht es mit bloßem Auge. Auf den Weiden liegen schmutzige Kühe, Schweine wälzen sich im Schlamm, Hühner kratzen in den Ställen herum. Wir sind von den hygienischen Standards des zivilisierten Europa noch weit entfernt", schrieb die Tageszeitung "Rzeczpospolita" nach dem Ausbruch der BSE-Krise in der EU, "doch wir haben einen Vorteil: Wir können ohne Furcht essen." Denn dank der glücklichen, dreckigen Kühe, die vor allem Heu fressen, gehöre Polen zu den Ländern mit dem niedrigsten BSE-Risiko, heißt es weiter, und: "Wenn wir Europa Essen ohne Angst bieten können, dann sollten wir das zumindest probieren."
Seit Jahren weisen polnische Landwirtschaftsexperten darauf hin, dass die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft eine - wenn nicht die einzige - Chance für Polens Kleinbauern ist, auch nach dem EU-Beitritt ihre Höfe zu erhalten. Tatsächlich hat Polen durch seine Rückständigkeit einige Vorteile gegenüber der EU-Konkurrenz. Wer biologisches Beef verkaufen will, darf seine Kuh nur mit Heu und Futterpflanzen füttern, die vom eigenen Hof stammen.
Doch wer seine Kuh so halten will, braucht im Durchschnitt einen Hektar Weideland pro Tier, die Hälfte davon zum Abgrasen, die andere Hälfte als Heuvorrat für den Winter. Großfarmen mit tausenden Kühen müssten dann tausende Hektar Weideland hinzukaufen. Weideland ist aufgrund der hohen Subventionen in der EU nicht billig, genau wie die Arbeitskräfte, die dann angestellt werden müssten.
Doch in Polen ist alles genau umgekehrt: Ackerland ist spottbillig, und Arbeitskräfte gibt es auf dem Land im Überfluss und zu äußerst günstigen Löhnen. Zofia Krzyzanowska, Agrarexpertin und Autorin mehrerer Studien über die Folgen von Polens EU-Beitritt: "Die Struktur der meisten Höfe entspricht ungefähr den Vorgaben für ökologische Landwirtschaft."
Kapitalintensive Großfarmen, die ihre Tiere aus Kostengründen mit Futtermehl beglücken und in engen Ställen halten müssen, gibt es fast keine mehr - seit die Regierung Anfang der 90er Jahre den polnischen Produktionsgenossenschaften den Subventionshahn zugedreht hat und die meisten davon schlagartig zusammenbrachen. Zofia Krzyzanowska: "Unsere Bauern müssten sich nicht sehr umstellen. Sie verfüttern schon jetzt keine künstlichen Futtermittel, weil die ihnen zu teuer sind. Billiger ist es, das Vieh einfach grasen zu lassen."
Statt die Tiere zu schlachten, leben die Bauern lieber vom Ertrag der Milch, denn dadurch haben sie eine ständige Einnahmequelle. Dass das arbeitsintensiv ist, stört sie nicht, denn sie machen das ja selbst und ihren eigenen Lohn kalkulieren sie nicht mit ein. Folge: Fast alle polnischen Kühe sind Milchkühe, die für die Herstellung von Steaks nur sehr begrenzt geeignet sind.
Das stellten auch Experten der EU fest, als sie auszogen, die Geheimnisse der polnischen Landwirtschaft zu ergründen: Von dreieinhalb Millionen Kühen wurden gerade 4500 zur Schlachtung gehalten. Rindfleisch, so heißt es in einem EU-Bericht etwas indigniert, sei in Polen eine Art Abfallprodukt der Milchproduktion.
Folglich ist Beef knapp. In einer Simulation über die Folgen eines EU-Beitritts geht das polnische Landwirtschaftsministerium zwar davon aus, dass eine Steigerung der Fleischproduktion und Exporte von Rindfleisch mittelfristig möglich seien. Doch nur, wenn Polen in den Genuss der vollen Ausgleichszahlungen kommt, die die EU den Bauern bisher vorenthalten will. Dann allerdings könnte Polen als Lieferant von biologischem Rindfleisch einspringen, wenn der Markt in der EU zusammenbricht.