Regierung König nur von England: Boris Johnson und das zerrissene Land
In Schottland ist die Unabhängigkeitspartei SNP stärkste Kraft. In Wales hat Labour gewonnen, in England die Konservativen von Premierminister Johnson. Wohin steuert das Vereinigte Königreich?
London
Boris Johnson strotzt nur so vor Selbstvertrauen. Einen überzeugenden Sieg haben seine Konservativen bei den Kommunalwahlen in England eingefahren.
Vor Monaten noch abgeschrieben wegen seines chaotischen Managements in der Corona-Krise, fühlt sich Johnson nun als starker Mann von London - und mehr denn je nun auch wie der König von England. Hier aber endet sein Herrschaftsbereich. Zwar ist Johnson eigentlich Premierminister des Vereinigten Königreichs, doch die Ergebnisse der jüngsten Parlamentswahlen in den Landesteilen Schottland und Wales machen deutlich, dass er ein zutiefst zerrissenes Land regiert.
Fast könnte man in Anlehnung an Julius Cäsar sagen: „Britannia est omnis divisa in partes tres“ - Britannien ist in drei Teile geteilt. Den einen, um bei Cäsars „De Bello Gallico“ zu bleiben, bewohnen die Schotten. Sie haben am Donnerstag eine Parlamentsmehrheit gewählt, die für die Unabhängigkeit vom Rest des Königreichs und einen Wiedereintritt Schottlands in die EU eintritt. Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte bereits an, die Planungen für ein neues Referendum voranzutreiben. Den zweiten Teil bewohnen die Waliser. Sie haben im völligen Gegensatz zu England in großer Zahl für Johnsons größten Gegner Labour gestimmt, Regierungschef Mark Drakeford verlangt mehr Zugeständnisse an die Landesregierung.
Bleibt der dritte Teil, das wahre Reich von König Boris: England. Konservativ wie lange nicht färbt sich die Landkarte des größten britischen Landesteils. Im traditionell roten Labour-Norden klaffen neuerdings riesige blaue Tories-Flecken. Johnsons Partei hat die Gemeinde- und Bezirksräte vielerorts quasi umgepflügt. Etwa 200 Sitze haben die Tories übernommen, viele von Labour. Die Sozialdemokraten haben wichtige Teile ihres Stammlands verloren, darunter erstmals überhaupt - bei einer Nachwahl - das Unterhausmandat für Hartlepool.
Wie aber sollen diese drei so unterschiedlichen Landesteile wieder zusammenkommen, ein Vereinigtes Königreich bilden, gemeinsam mit dem Sonderfall Nordirland? Johnson versucht es mit einer Charmeoffensive, hat gleich nach den Wahlen Briefe an die Regierungschefs Sturgeon und Drakeford geschickt. Das „Team Vereinigtes Königreich“, so schwärmt der Premier, habe gemeinsam die Corona-Pandemie gemeistert.
Bei einem Spitzentreffen - manche sagen auch: Krisengipfel - will Johnson gemeinsam über den Weg aus der Krise reden. „Wir alle haben unsere eigenen Perspektiven und Ideen - und wir werden uns nicht immer einig sein -, aber ich bin zuversichtlich, dass wir durch gegenseitiges Lernen im Interesse der Menschen, denen wir dienen, das Land gemeinsam voranbringen können“, heißt es in den Schreiben. Es sind bescheidene Worte, die so gar nicht zum sonstigen Auftreten des hemdsärmeligen Populisten passen. Entsprechend groß ist die Skepsis. „Lasst die Speichelleckerei, zeigt einfach Respekt“, feuerte Regierungschefin Sturgeon aus Edinburgh zurück.
Etwas zurückhaltender äußerte sich ihr walisischer Kollege Drakeford. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, einige Beziehungen innerhalb Großbritanniens neu zu starten“, sagte er und forderte einen „wirklich ernsthaften Blick auf die Art und Weise“, wie alle vier Landesteile für eine erfolgreiche Zukunft zusammenarbeiten können.
Es ist vor allem der mangelnde Respekt, den Gegner des Premiers immer wieder anprangern. Johnsons konservative Regierung verfolge einen zutiefst englandzentrierten Ansatz. Ihre Politik richte sich an englische, anti-europäische Nationalisten und vernachlässige die anderen Landesteile, so der Vorwurf. In Schottland und Wales monieren Kritiker, dass die Tories dort seit Jahrzehnten keine Wahl gewonnen haben. Dennoch aber befehle London den Landesteilen, was sie zu tun haben. In Schottland ist „Westminster“, der Londoner Stadtbezirk, in dem das britische Parlament sitzt, bereits zum abschätzigen Kampfbegriff geworden. „Die in Westminster“ würden die Schotten doch stets vergessen, kritisieren Unabhängigkeitsbefürworter - mit Erfolg.
Boris Johnson steht jedenfalls vor einer schwierigen Aufgabe, zumal Beobachter im Falle einer schottischen Unabhängigkeit mit einer Kettenreaktion in den anderen Landesteilen rechnen. Dann könnte dem Premierminister alles entgleiten. Oder, wie es einst der englische Dichter Shakespeare in „Macbeth“ ausdrückte, seiner großen Tragödie über einen schottischen König: „Nichts ist gewonnen, alles dahin, stehen wir am Ziel mit unzufriedenem Sinn.“