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Kinder spielen und essen wie zu Zeiten von Francke

Von KERSTIN METZE 07.08.2009, 16:33

HALLE/MZ. - Die Neugier war groß. Ebenso das Programm, das die stellvertretende Vorsitzende von "Wir helfen", Jutta Kiegeland, und Anne-Marleen Müller-Bahlke vom kulturellen Kinderfreitisch vorbereitet hatten. 22 Mädchen und Jungen aus der Sozialeinrichtung "Schöpfkelle" Halle-Silberhöhe und aus dem Kinderheim waren mit ihren Erziehern gekommen, um etwas über den Waisenvater August Hermann Francke (1663-1727), die Stiftungen und das Leben der Kinder vor 300 Jahren zu erfahren.

Zunächst ging es kindgemäß durch die aktuelle Jahresausstellung "Kinder, Krätze, Karitas". Susanna Kovacs und Claudia Hofmann vom Francke-Krokoseum führten - ausstaffiert mit einem geheimnisvollen Korb - die Kinder vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Für jeden Raum hatten sie ein Utensil eingepackt, das die Kinder unter den Ausstellungsstücken schnell wiederfanden - hier ein Messer, dort eine Puppe.

Es wurde über Armut gesprochen, die viele der anwesenden Kinder aus eigenem Erleben kennen, und die früher doch "ganz, ganz schlimm" war, wie Michelle fand: Die Kinder durften nur eine Stunde lernen und mussten acht Stunden arbeiten. Auch für ihr Essen haben sie selbst gesorgt - es wurde im Garten des Waisenhauses angebaut und geerntet. Mehrere Kinder aßen von einem Teller. Komisch fanden die Ferienkinder, dass ihre Altersgefährten früher dünnes Bier zu trinken bekamen: Es handelte sich um das Wasser, mit dem die Fässer der Bierherstellung ausgespült worden waren.

Mit dem Begriff "Waisenkind" wussten die meisten Mädchen und Jungen etwas anzufangen. "Die haben keine Eltern mehr", sagte Philipp aus dem Kinderheim. Und er hat gelernt, dass zu Zeiten von August Herrmann Francke auch Kinder von Bettlern und an Pest oder Krätze Erkrankten Waisen genannt wurden und Aufnahme im Waisenhaus fanden.

Beeindruckt und ein bisschen erschöpft versammelten sich die Kinder nach dem Rundgang wieder im Krokoseum. Nach einer kleinen Erfrischung ging es in die Wunderkammer, wo die Kinder über die vielen Mitbringsel Franckes aus aller Welt staunten: alte Gefäße, Landkarten, ausgestopfte Tiere.

Derweil hatten Anne-Marleen Müller-Bahlke, Jutta Kiegeland und viele Helfer im Kirschgarten der Stiftungen den Mittagstisch vorbereitet. Mit großem Hallo stürmten die Kinder die sechs großen Tafeln und dekorierten sie mit Blumen von der nahen Wiese. Nach einem Becher "Francketrunk" - kalter Tee mit Zimt, Zitrone und braunem Zucker - wickelten die Kinder Kartoffeln mit Kräuterbutter in Folie und garten sie auf dem Rost. Auch Reissalat, frisches Obst und Würstchen stillten den Hunger. Dann wartete Katja Lehmann vom Verein "Spielehaus" der Stiftungen mit dem Clou eines ereignisreichen Ferientages auf die Kinder: Auf der Spielwiese zeigte sie, womit Kinder auf der ganzen Welt spielen. Und natürlich durften Lucia, Leon, Martin, Sissi, André und ihre Freunde aus Krosigk und von der Silberhöhe alles ausprobieren. Den größten Gaudi gab es beim Riesenmikado.

Es war still, als die 22 Kinder gegen 16 Uhr den Müll zusammenräumten und die Heimfahrt antraten. Zum einen hatte sie die Hitze müde gemacht. Zum anderen mussten sie verarbeiten, was sie alles gehört und gesehen hatten. "Ich fand alles schön", sagte Natalie, die sich liebebedürftig immer wieder an ihre Heimerzieherin Claudine Grumbach kuschelte. Die stellvertretende Heimleiterin aus Krosigk, Ines Kretschmann, dankte im Namen aller Begleiter den Organisatoren für den besonderen Ferientag: "Wir sind dankbar, dass uns 'Wir helfen' solch lehrreiche Stunden ermöglicht hat."