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Jürgen Schneider Jürgen Schneider: Gelebter Größenwahn für 5,5 Milliarden D-Mark

Von Christian Ebner 25.06.2007, 06:48
Umringt von Fotografen geht der wegen schweren Betrugs verurteilte Immobilienspekulant Jürgen Schneider am 22. Januar 1998 zur Justizvollzugsanstalt Frankfurt IV, um dort im sogenannten offenen Vollzug den Rest seiner Gesamtstrafe von sechs Jahren und neun Monaten zu verbüßen. (Foto: dpa)
Umringt von Fotografen geht der wegen schweren Betrugs verurteilte Immobilienspekulant Jürgen Schneider am 22. Januar 1998 zur Justizvollzugsanstalt Frankfurt IV, um dort im sogenannten offenen Vollzug den Rest seiner Gesamtstrafe von sechs Jahren und neun Monaten zu verbüßen. (Foto: dpa) dpa

Frankfurt/Main/Leipzig/dpa. - Auch mehr als 13 Jahre nach seinerMilliardenpleite entwickelt der vormalige Baulöwe aus dem hessischenKönigstein eine eigentümliche Mischung aus Naivität und Größenwahn,wenn er auf «seine Häuser» zu sprechen kommt, die ihm in Wahrheit niegehört haben. Der Mann, der gleichermaßen geschickt kleine Handwerkerausgepresst und große Banker hereingelegt hat, trat vor exakt zehnJahren (30. Juni 1997) in Frankfurt vor den Richter.

Was folgte, war der bis dahin spektakulärste Wirtschaftsprozessdes Landes, bei dem häufig die kreditgebenden Banken den SchwarzenPeter zugeschoben bekamen. Mehr als 5,5 Milliarden D-Mark (2,8 MrdEuro) hatte sich Schneider mit meist frisierten Projekt-Unterlagenzusammengepumpt und in seine meist spektakulären Altbau-Sanierungengesteckt. Den Frankfurter Fürstenhof, das Kurfürsteneck in Berlinsowie die Mädler-Passage und ganze Straßenzüge in Leipzig ließSchneider im alten Glanz erstrahlen. Für immer neue Projekte fand derBlender noch neue Geldgeber, als die Deutsche Bank längstausgestiegen war: Die rund 1000 Gläubiger blieben am Ende aufForderungen von rund 2,4 Milliarden D-Mark (1,23 Mrd. Euro) sitzen.Schneider selbst war im April 1994 untergetaucht und wurdeschließlich gemeinsam mit seiner Frau ausgerechnet vor einer Bank am17. Mai 1995 in Miami festgenommen.

Der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke ließ im Prozess inseltener Einigkeit mit Schneiders gewieftem Verteidigertriohochrangige Bankmanager bis hin zum Vorstand auflaufen und gab siebei passender Gelegenheit der Lächerlichkeit preis. «Ich habe zwarkein Toupet, aber mir fallen die Haare aus, wenn ich sehe, mit wasfür einem Informationsstand ein Aufsichtsrat seine Aufgaben erfüllensollte», juxte er zum Beispiel über die Kontrollgremien.

Den souveränsten Auftritt im Gerichtssaal legte noch HilmarKopper hin, der als Deutsche-Bank-Vorstandssprecher das Unwort der«Peanuts» (Erdnüsse) für unbezahlte Handwerkerrechnungen in einerHöhe von 50 Millionen Mark (25,6 Mio Euro) geprägt hat.Selbstironisch reflektierte er mit Gehrke über das Bankgewerbe undgab Fehler zu, wo seine Vorstandskollegen vom Konkurrenten DresdnerBank darauf beharrten, ihnen sei mit den Schneider-Krediten keinSchaden entstanden.

Am Ende des nicht einmal sechs Monate währenden Prozesses verließSchneider mit einem Urteil von sechs Jahren und neunMonaten wegen Betrugs, Kreditbetrugs und Urkundenfälschung alsvorübergehend freier Mann das Frankfurter Landgericht, denn Gehrkehatte seinen Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Bei Schneiders gab eszu Weihnachten 1997 Gänsebraten statt Knastkost. Die Resthaft seinerZweidrittel-Strafe bis zum Dezember 1999 verbrachte Schneidervergleichsweise kommod als Freigänger. Heute lebt das Ehepaar vomGeld seiner Kinder im Raum München.

«Schneider ist eigentlich zu gut weggekommen», sagt derFrankfurter Oberstaatsanwalt Ulrich Busch, der damals zusammen mitDieter Haike die Anklage vertreten hat. Das Gericht habe das Versagender Banken für Schneider viel zu positiv gewertet und den ebenfallsschwer wiegenden Vorwurf des Bankrotts gleich ganz unter den Tischfallen lassen. Auch für dieses kaum in Zweifel stehende Delikt -Schneider hatte versucht, 245 Millionen D-Mark (125 Millionen Euro)in die Schweiz zu schaffen - lautet die Strafdrohung wie bei Betrugzehn Jahre Haft für eine Einzeltat. Ein weiteres Ermittlungsverfahrenwegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Millionenerbeseines Vaters überstand Jürgen Schneider ebenfalls unbeschadet undbekommt nun voraussichtlich noch Haftentschädigung für acht TageUntersuchungshaft in dieser Sache.

Dass die Strafverfolger trotzdem nicht in Revision gingen, liegtin der Juristenlogik komplizierter Wirtschaftsverfahren begründet.«Das Urteil musste schließlich auch von der Verteidigung akzeptiertwerden», räumt Busch weitgehende Absprachen ein. ZahlreicheAnsatzpunkte für sehr weit führende Beweisanträge hätten in einemkontrovers geführten und damit jahrelangen Prozess auch keine höhereStrafe erwarten lassen. Gegen die beteiligten Banker ließ sich keinAnfangsverdacht der Untreue oder der Bestechlichkeit finden, sagtBusch. «Da war eine Mischung aus Dummheit und Gier.»

«Mehr war für meinen Mandanten nicht drin. Die Revision für einschärferes Urteil war schon fertig», sagt Verteidiger Eckart C. Hildim Rückblick. Er hält Schneiders langes Schweigen im Prozess nacheiner anfänglichen kurzen Erklärung für den Schlüssel zumprozessualen Erfolg. Das Gericht habe so den eigentlich unglaublichenSachverhalt zunächst nicht mit dem Angeklagten, sondern mit denBankzeugen erörtern müssen. «Über die Zeugen wurde das Unfassbarefassbar, wie leichtsinnig die Banken das Geld vergeben haben.» Alssich Schneider wieder zu Wort meldete, sei die Stimmung längst zuseinen Gunsten gekippt gewesen.

Mit einem blauen Auge davongekommen sind in der Milliardenpleiteauch die von Schneider unbezahlt gelassenen Handwerker. «Es hätteschlimmer kommen können», sagt Gerd Ulrich Müller, altgedienterGeschäftsführer der Handwerkskammer Rhein-Main. «Die Deutsche Bankhat die Situation mit ihren Zahlungen entschärft.» Wegen derpolitischen Dimension des Falles habe es ein aktives Zusammenwirkenaller Kräfte in der Region gegeben, um die betroffenen Betriebe zuretten, sagt zudem Sigrid Zimmermann, damals wie heuteHauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer zu Leipzig. In derSachsen-Metropole gilt Schneider wegen der schönen Häuser aber immernoch vielen als verdienstvoller Mann.