Affenforscherin Jane Goodall: Der „weiße Menschenaffe“ wird 90
Mit ihrem empathischen Ansatz revolutionierte Jane Goodall den Blick auf Schimpansen. Auch mit 90 Jahren setzt die sich Verhaltensforscherin weiter für Tiere und Umwelt ein.
London - „Uh, Uh, Uh, Uhhhh, Uhhhh, Uhhhh“, so ungefähr klingt es, wenn die Primatologin Jane Goodall sich in der Ausdrucksweise der Schimpansen vorstellt. Die für ihre bahnbrechenden Beobachtungen bei den engsten Verwandten des Menschen weltberühmt gewordene Britin feiert am heutigen Mittwoch ihren 90. Geburtstag.
Goodall, die im Jahr 1960 als 26-Jährige mit der Erforschung einer Gruppe von Schimpansen im heutigen Gombe-Nationalpark in Tansania begann, revolutionierte die Sicht auf die Affen, bei denen sie bald schon Wesenszüge und Verhaltensweisen feststellte, die vom Menschen bekannt sind - gute wie schlechte.
„Zum Glück war ich nicht an der Universität“
„Damals in den frühen 60er-Jahren glaubten viele Wissenschaftler, dass nur Menschen einen Verstand haben, dass nur Menschen in der Lage sind, rational zu denken“, sagt sie in dem Dokumentarfilm „Jane“, in dem viele Aufnahmen aus der frühen Zeit ihrer Forschung zu sehen sind. „Zum Glück war ich nicht an der Universität und wusste diese Dinge nicht“, fügt sie hinzu.
Goodall hatte ihre Position dem britisch-kenianischen Anthropologen Louis Leakey zu verdanken. Ihre Familie hatte nicht das Geld, um ihr ein Studium zu finanzieren. Trotzdem wollte Goodall ihren Kindheitstraum von einem Leben in Afrika unter wilden Tieren unbedingt wahr machen. Sie hatte sich als Sekretärin und Kellnerin verdingt, bevor sie zu einer ersten Reise nach Afrika aufbrach, bei der sie den Forscher Leakey kennenlernte.
Bald wurde sie Teil der Schimpansen-Gemeinschaft
Leakey, der sich von ihren Kenntnissen und ihrer Begeisterung beeindruckt zeigte, beauftragte sie damit, eine Gruppe Schimpansen an den Ufern des Tanganijka-Sees im Norden des heutigen Tansania zu erforschen. Es war gerade ihre Unvoreingenommenheit, in der Leakey eine Stärke sah. Er sandte zwei weitere Frauen aus: Die 1985 in Ruanda ermordete US-Amerikanerin Dian Fossey, die Gorillas erforschte, und die in Kanada aufgewachsene Birute Galdikas, die sich auf Borneo den Orang-Utans widmete. Zusammen werden sie manchmal als die „Trimaten“ bezeichnet.
Zunächst von ihrer Mutter begleitet, trotzte Goodall monatelang jeder Witterung und allerlei Gefahren wie Giftschlangen, um in die Nähe ihrer Forschungsobjekte zu gelangen - zunächst vergeblich. Die Schimpansen liefen davon. Doch nach und nach gewöhnten sich die Tiere an den Anblick des „fremden weißen Menschenaffen“, wie sie sich selbst gerne nennt. Bald wurde sie Teil ihrer Gemeinschaft.
Sie gab den Schimpansen Namen statt Nummern
Die Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ erwies sich als erfolgreicher als alles andere, was zuvor versucht worden war. Sie beinhaltete jedoch auch das Füttern mit Bananen und eine Interaktion mit den Tieren, die zu Kritik führte. Beispielsweise galt es als unwissenschaftlich, den Schimpansen Namen statt Nummern zu geben. Goodall ließ sich davon nicht beirren. Ihr bester Freund wurde David Greybeard, ein gutmütiges männliches Tier mit weißem Haar am Kinn, das als erstes wagte, in ihre Nähe zu kommen. Greybeard öffnete ihr die Tür zur Erforschung der Gruppe.
Sie beobachtete Greybeard, als er mit einem Stöckchen in einem Termitenbau stocherte und damit die Insekten fing. Er präparierte Zweige sogar dafür, indem er die Blätter abstreifte. Als sie Leakey von dieser Beobachtung berichtete, telegrafierte er zurück: „Jetzt müssen wir entweder den Menschen neu definieren. Werkzeug neu definieren. Oder wir müssen Schimpansen als Menschen anerkennen.“ Bis dahin galt die Verwendung von Werkzeugen als wichtigste Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren. Goodall glaubt inzwischen, dass zumindest teilweise die Sprache für die „explosionsartige Entwicklung des menschlichen Intellekts“ verantwortlich ist.
„Ich hatte keine Ahnung von der Brutalität“
Goodall beobachtete auch zärtliches Verhalten, Umarmungen, Berührungen und Trauer in Gombe. Eine verheerende Polio-Epidemie unter den Affen und später tödliche Auseinandersetzungen zwischen den Tieren brachten jedoch Ernüchterung in die beinahe paradiesisch anmutende Welt. „Ich dachte, sie wären wie wir, aber netter als wir“, sagt Goodall rückblickend und fügt hinzu: „Ich hatte keine Ahnung von der Brutalität, die sie an den Tag legen können.“
Als Inspiration für ihren bereits als Kind gehegten Wunsch, in der Wildnis unter Tieren zu leben, nennt sie oft die Kinderbuchreihen Doctor Dolittle und Tarzan. Scherzend sagt sie, sie sei enttäuscht gewesen, weil Tarzan die falsche Jane geheiratet habe. Sie selbst heiratete den niederländischen Tierfilmer und Fotografen Hugo van Lawick, dessen Aufnahmen erheblich zu ihrem Ruhm beitrugen. Die Ehe zerbrach nach zehn Jahren. Später heiratete sie den Direktor der tansanischen Nationalparks Derek Bryceson, der 1980 starb.
Sie bleibt sie optimistisch
Goodall wandte sich dem Arten- und Umweltschutz zu, als sie erkannte, dass Schimpansen-Populationen überall schrumpften und ihren Lebensraum zunehmend verloren. Sie setzt sich beispielsweise für eine Reduzierung des Fleischkonsums ein und tourt auch im hohen Alter noch immer unermüdlich um die Welt, um Menschen mit Vorträgen und Begegnungen wachzurütteln. Mit dem Jane Goodall Institute hat sie ein weltweites Netz aufgebaut, mit dem sie für ein Umdenken wirbt.
Anders als viele junge Umwelt- und Klimaaktivistinnen und - aktivisten bleibt Goodall aber optimistisch und empathisch. Auf die Frage eines Jugendlichen, wie man Menschen, die den Klimawandel abstreiten, überzeugen könne, antwortete sie in ihrem Podcast: „Eine Sache, die ich dir empfehlen würde, nicht zu tun, ist aggressiv zu werden. Sie werden dir nicht zuhören.“