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Industrie Industrie: Napoleons Geiz brachte Kassel die Henschel-Werke

Von Heiko Lossie 27.06.2010, 09:48
Ein Produktionsschild hängt in Kassel an einer alten Henschel-Lok der Baureihe 44 vor dem Haupteingang zum ehemaligen Werk Mittelfeld von Henschel. (FOTO: DPA)
Ein Produktionsschild hängt in Kassel an einer alten Henschel-Lok der Baureihe 44 vor dem Haupteingang zum ehemaligen Werk Mittelfeld von Henschel. (FOTO: DPA) dpa

Kassel/dpa. - Kanonen, Eisenbahnen, Kampfpanzer: Bei Henschelin Kassel arbeiteten früher zeitweise mehr als 10 000 Menschen. Vor200 Jahren wurde die Firma gegründet. Mittlerweile ist sie längstaufgeteilt, ihr Name aber lebt fort. «Henschel ist industrielleGeschichte und Gegenwart zugleich. Zehn Nachfolgefirmen, die denNamen als Bestandteil weiterführen oder sich darauf berufen, gibt esheute noch in unserer Stadt», sagt Kassels Oberbürgermeister BertramHilgen (SPD). Bei Henschel entstanden alleine 30 000 Lokomotiven, dieWerke waren fast so bekannt wie Krupp und Siemens. Dabei war es zuder Gründung des Industrieunternehmens von Weltrang eigentlich nurgekommen, weil Kaiser Napoleon Rechnungen nicht anständig bezahlte.

Begonnen hatte alles im 18. Jahrhundert mit Carl Henschel. InGießen lernt er das Gießerhandwerk und macht sich nach der Lehre aufWanderschaft. 1777 findet der 18-Jährige in Kassel Arbeit beimlandgräflichen Stückgießer Storck - und heiratet später dessenTochter. Nach dem Tod seines Meisters und Schwiegervaters erhält Carldie Stellung als Gießer von Kassel.

Er fertigt in der Residenzstadt Feuerwehrspritzen und Glocken -aber auch Kanonen für Kaiser Napoleon, der damals weite Teile Europasbesetzt hält. Und weil dessen Statthalter die Rechnungen für Kanonenimmer wieder kürzt, verweigert ihm Carl die Lieferung. Daher kündigenihm die Franzosen die übernommene Stellung in der Gießerei. Doch Carlmacht sich selbstständig und gießt erfolgreich weiter, ohne Napoleon.

«Der Auszug aus dem Gießhaus am 28. Juni 1810 gilt alsGründungsdatum des später weltweit bekannten Großunternehmens»,schreibt der Kasseler Heimatforscher Heinz Schmidt in dem Buch «Vonder Henschelei zur Hochschule». Am Stammsitz der Henschel-Werke, demHolländischen Platz, befindet sich heute der Hauptcampus der Uni.

Zwischen damaliger Gießerei und heutiger Ideenschmiede liegen rundzwei Jahrhunderte deutsche Wirtschaftsgeschichte. «Als Nachkommevieler Generationen Henschel würde ich mich freuen, wenn der Geistder Tatkraft und Gedankenkraft, der hier zu Hause war, auf dieheutigen Studenten überspringt», schreibt Werner Henschel im Grußwortdes Uni-Buches. Mut und fester Wille hätten auch seinem Urahnen Carlgeholfen, «aus kleinen Anfängen etwas Großes» zu schaffen.

Carl Anton, der Sohn des einstigen Wandergesellen Carl Henschel,macht aus den kleinen Anfängen schnell große Ergebnisse. Die Listeseiner Erfindungen und Konstruktionen ist lang: Pumpwerke,Windmaschinen für Hochöfen, Walzwerke und Förderbänder gehören dazu.

Als die Eisenbahnzeit beginnt, reagiert die Firma Henschel & Sohnschnell: Carl Anton beteiligt sich finanziell an Bahnprojekten undkauft Experten aus England ein. Das Geschäft brummt. 1848 wirdHenschels erste Lokomotive ausgeliefert, das Modell «Drache».

Im Jahr 1873 arbeiten bereits 1600 «Henschelaner» in Kassel. DieLokomotiven werden Exportartikel. Auch während des Ersten Weltkriegshält sich die Produktion und wächst danach noch einmal sprunghaft -mit inzwischen mehr als 10 000 Mitarbeitern. Rechtzeitig setzen diefolgenden Henschel-Generationen auf den Bau von Lastwagen und Bussen.1933 steigt das Unternehmen Henschel sogar in den Flugzeugbau ein.

Im Nationalsozialismus wird Henschel zum Rüstungsbetrieb. TausendeZwangsarbeiter schuften in Kassel. So werden 1348 «Tiger»-Panzer und480 «Königstiger»-Panzer gebaut. Ihre große Kriegsindustrie macht dieStadt Kassel am Kriegsende zum Ziel alliierter Bomber.

Die Zeit nach dem Krieg markiert den Anfang vom Ende der FirmaHenschel. Die Umstellung von Dampf- auf Diesel- und Elektro-Lokssowie Absatzschwierigkeiten bei Lastwagen setzen der Firma zu. 1957ist die Henschel & Sohn GmbH zahlungsunfähig. Ein Sanierer wandeltHenschel Anfang der 60er Jahre in eine Aktiengesellschaft um. DasUnternehmen wird zerschlagen, unter anderem beteiligen sich dieRheinischen Stahlwerke und Daimler-Benz. 1974 rollt der letzte Lkwmit dem sternförmigen Henschel-Markenzeichen aus den Werkshallen.

Bis dahin hatten die Henschelaner 111 555 Lkw gebaut. Fortan sindes vor allem Lkw-Achsen. Aber Henschel war auch im High-Tech-Sektortätig: Die weltweit erste Versuchsanlage für Magnetschwebetechnikentsteht 1975 auf dem Henschel-Gelände. ThyssenKrupp und Bombardierführen weitere Teile Henschels fort, der Firmenname wurde Beiname.