1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Höchstes EU-Gericht kippt VW-Gesetz

Höchstes EU-Gericht kippt VW-Gesetz

23.10.2007, 13:14

Luxemburg/Stuttgart/Hannover/dpa. - Das höchste EU-Gericht hat das fast 50 Jahre alte VW-Gesetz gekippt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte am Dienstag in Luxemburg, das Gesetz zum Schutz des Wolfsburger Autobauers vor feindlichen Übernahmen verstoße gegen EU-Recht.

Es beschränke den freien Kapitalverkehr in der Union. Die Bundesregierung kündigte an, das Gesetzes nun schnell zu ändern. Die vom höchsten EU-Gericht beanstandeten Vorschriften des Gesetzes würden ab sofort nicht mehr angewendet, sagte ein Sprecher des Justizministeriums in Berlin.

VW-Hauptaktionär Porsche begrüßte das Urteil. Mit dem Wegfall der Sonderregeln in Wolfsburg seien nun die Voraussetzungen für einen Ausbau der Beteiligung an VW erfüllt, sagte ein Porsche-Sprecher. In informierten Kreisen hieß es allerdings, dass aber nicht damit zu rechnen sei, dass Porsche seinen Anteil von derzeit knapp 31 Prozent bis Jahresende auf mehr als 50 Prozent erhöhen werde. Zunächst müsse aber der Aufsichtsrat über das Thema beraten, sagte der Sprecher. Die nächste Sitzung des Gremiums ist am 12. November. Unternehmenskreisen zufolge sei bisher nicht sicher, ob das Thema auf der Tagesordnung stehen wird.

Die VW- Aktien rutschen nach der Entscheidung des EuGH ins Minus und verloren bis zum frühen Nachmittag 3,41 Prozent auf 174,27 Euro. Der Markt habe die Entscheidung bereits in das Kursniveau eingerechnet, nun komme es zu Gewinnmitnahmen, sagten Händler. Porsche hielten sich dagegen sehr fest und gewannen 4,17 Prozent auf 1.710,00 Euro.

Das Land Niedersachsen kündigte an, auch nach dem Fall des Gesetzes an seiner VW-Beteiligung festzuhalten. Das Land hält gut 20 Prozent und ist damit zweitgrößter VW-Aktionär. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) erklärte in Hannover, zur positiven Entwicklung von Volkswagen habe auch die Beteiligung von Porsche beigetragen. "Die Volkswagen AG ist durch die Beteiligungen der Porsche AG und des Landes Niedersachsen vor dem Zugriff von Finanzinvestoren geschützt. Gegen Eigentümer mit mehr als 50 Prozent kann man nicht spekulieren." Auch bei VW selbst hieß es, in den Beteiligungen von Porsche und Niedersachsen sehe der Vorstand eine solide Grundlage für die Fortsetzung der bisherigen erfolgreichen Arbeit.

Porsche will dem Land auch nach dem Wegfall des VW-Gesetzes wie bisher zwei Sitze im VW-Aufsichtsrat zugestehen. Man akzeptiere, dass Niedersachsen entsprechend seines Aktienanteils angemessen im VW-Aufsichtsrat vertreten sei, sagte der Sprecher in Stuttgart. Die Porsche-Vertreter in dem Gremium würden es daher begrüßen, wenn Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) weiter dem Gremium angehörten. Bisher gehören die beiden Politiker dem Gremium ohne Wahl an, da das Land Niedersachsen nach den Regeln des VW-Gesetzes zwei Vertreter ohne Wahl entsenden darf.

Kritik an dem EuGH-Urteil kam von der Gewerkschaft. "Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes werden die Interessen des Kapitalmarktes höher bewertet als die der Beschäftigten und des Landes Niedersachsen", sagte der niedersächsische IG-Metall-Bezirksvorsitzende Hartmut in Hannover. Er forderte Wulff auf, sich bei der Bundesregierung für ein neues europarechtskonformes VW-Gesetz einzusetzen.

Vor dem Luxemburger EU-Gericht siegte die EU-Kommission, die vor drei Jahren ihre Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beschlossen hatte. Das Gericht folgte allerdings nicht der Brüsseler Argumentation, dass auch die Niederlassungsfreiheit in der EU behindert werde. Berlin hatte stets betont, das Gesetz sei mit EU-Recht vereinbar. Es stammt aus Jahr 1960 und sichert dem Land Niedersachsen eine starke Stellung bei VW. Die EU-Kommission begrüßte das Votum der Luxemburger Richter. "Das Urteil ist eine gute Nachricht für den Binnenmarkt und die Kapitalverkehrsfreiheit", sagte der Sprecher von EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy in Brüssel.

Das Gericht verwarf die Bestimmung, wonach ein Aktionär in Wolfsburg in der Hauptversammlung höchstens 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann - auch wenn er mehr Anteile hat. Dieses habe eine abschreckende Wirkung auf Anleger, hieß es. Vor allem Porsche hatte sich durch diese Regelung benachteiligt gefühlt. Keine Gnade in Luxemburg fand auch das Entsenderecht von öffentlichen Anteilseignern, also des Bundes und das Landes Niedersachsen, in den VW-Aufsichtsrat.

"Durch die Möglichkeit, je zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören, werden der Bund und das Land Niedersachsen im Vergleich zum allgemeinen Gesellschaftsrecht privilegiert", hieß es in einer Mitteilung des Gerichts. Anders als das Land hat der Bund seine Aktien inzwischen vollständig verkauft und stellt keine Aufsichtsräte in Wolfsburg mehr. Das Gericht wandte sich auch gegen die im Vergleich zu anderen Aktiengesellschaften niedrige Sperrminorität von 20 Prozent bei dem Autobauer.