Heidenau Heidenau in Sachsen: Was vom "Pack" und fremdenfeindlichen Krawallen übrig blieb

Heidenau - Bundesweite Schlagzeilen. Im August 2015 dominiert die Stadt Heidenau in Sachsen die Berichterstattung. Damals findet der Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) deutliche Worte zu den Umtrieben eines fremdenfeindlichen Mobs.
Ein Jahr später will er am liebsten gar nichts mehr zu dem Thema sagen. Jede Anfrage für ein Interview lehnt er ab. Nun will er sich doch noch einmal den bohrenden Fragen stellen. Was ist in Heidenau passiert?
Zwei Nächte tobte der Mob in Heidenau
Krawalle hatte es auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise schon zuvor in Sachsen gegeben. Doch nirgendwo waren sie so heftig wie in Heidenau. Damals hatte das Land Sachsen in Windeseile einen leerstehenden Baumarkt zur Erstaufnahme von Flüchtlingen herrichten lassen.
Ein Stadtrat der rechtsextremen NPD rief zum Protest auf. Am Nachmittag des 21. August zogen etwa 1.000 Leute durch Heidenau, unter ihnen Neonazis, aber auch Familien mit Kindern. Ein Teil machte nach dem Ende der Demo weiter Stimmung - direkt vor dem Baumarkt.
Ein Jahr nach den Krawallen von Heidenau haben Politiker mehrerer Parteien ein entschlossenes Vorgehen gegen Fremdenhass angemahnt. Darin waren sich Vertreter von CDU, Linken, SPD und Grünen am Freitag einig. Die Bewertung fiel allerdings unterschiedlich aus. Grüne, Linke und auch die SPD warfen der Union vor, das Thema Rechtsextremismus lange unterschätzt zu haben. Nach Ansicht der CDU hat Sachsen die politischen Lehren aus Heidenau gezogen.
Dort liefen gerade die letzten Vorbereitungen für die Aufnahme der Flüchtlinge. Schon bald flogen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Die Polizei setzte Tränengas gegen die wütende Menge ein. 31 Beamte wurden verletzt.
Zwei Nächte lang tobte der Mob. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) nannte Neonazis später „Pack“. Er war genauso nach Heidenau geeilt wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die man hier als „Volksverräterin“ schmähte und auf üble Weise beleidigte. Opitz musste hilflos mit ansehen, wie in seiner Stadt der Hass überkochte.
Am Baumarkt in Heidenau erinnert nichts mehr an die fremdenfeindlichen Krawallen
Ein Jahr später wirkt die 16.500 Einwohner zählende Stadt in direkter Nachbarschaft zu Dresden verschlafen. Die Baumarkt-Unterkunft ist seit langem unbewohnt und wird inzwischen vom Deutschen Roten Kreuz als Lager genutzt. Deshalb ist Wachschutz vor Ort.
Da kaum noch Geflüchtete kommen, hat Sachsen viele Flüchtlingsquartiere geschlossen. An einem Briefkasten, der an einem Container am Baumarkt befestigt ist, hat jemand ein Schild mit der Aufschrift „Unbekannt verzogen“ angebracht. An die Ausschreitungen erinnert nichts mehr.
Bürgermeister Opitz als moralischer Leuchtturm im Landkreis
Verschwunden ist auch die „Miteinander“-Skulptur, die als Reaktion auf die Randale im Oktober 2015 entstand. Rechtsextreme hatten sie später in den Farben Schwarz-Weiß-Rot angemalt. Bei der Enthüllung warb Bürgermeister Opitz für Toleranz.
Auch die gab es im Sommer 2015 in Heidenau reichlich. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass sich Bürger um die Flüchtlinge kümmerten. Auch die Facebook-Seite „Heidenau ist bunt“ warb um Vielfalt in der Stadt. „Heidenau ist nicht bunt, Heidenau ist noch immer braun“, meint dagegen einer der Akteure, die sich um die Flüchtlinge kümmerten.
Andere sehen die Lage optimistischer. In Heidenau habe die Zivilgesellschaft letztlich Stärke bewiesen, sagt Sachsens Linke-Chef Rico Gebhardt. Bürgermeisters Opitz habe dazu beigetragen: „Damit wurde er zum moralischen Leuchtturm in einem Landkreis, in dem viele Kommunalpolitiker gegen Geflüchtete auf die Barrikaden gingen, obwohl sie nicht einen Flüchtling vor Ort hatten.“
Pfarrerin sieht weiterhin ein geteiltes Heidenau
Pfarrerin Erdmute Gustke hat Heidenau damals aufgewühlt erlebt. Es habe zwei extrem unterschiedliche Reaktionen auf die Flüchtlinge gegeben: gewalttätige Abwehr und herzliche Aufnahme. Gustke hatte als Reaktion zu Gebeten in die evangelische Kirche eingeladen.
Ein Jahr danach sieht Gustke die Flüchtlinge noch immer als Reizthema für viele Bewohner. Es gebe „die Einen, die Anderen und die in der Mitte“. Die Einen würden Migranten weiterhin als Eindringlinge in ihre Welt verstehen: „Diffuse Ängste und hartherzige Abwehr gegen Hilfesuchende äußern sich nicht mehr mit erschreckender Gewalt, aber wirklicher Frieden in Bezug auf Ausländer wird von ihnen weiterhin verweigert.“ Gustke spricht von einer frostigen Atmosphäre. Dieser Teil Heidenaus empfinde Flüchtlinge als Zumutung.
„Die Anderen sehen sich dagegen in ihrem Engagement bestätigt“, sagt die Pfarrerin. Hilfsbereitschaft und Offenheit seien in Heidenau ungebrochen. In der Mitte dagegen differenziere man sehr zwischen Asylbewerbern: „Bei Kriegsflüchtlingen ist das Verständnis und der Wille zur Aufnahme in die Gemeinschaft größer.“ Die Offenheit sei nicht zuletzt davon abhängig, wie sich die Flüchtlinge verhalten.
Sorge um das politische Image
Zum Fazit gehört, dass Heidenau in Sachsen und in ganz Deutschland kein Einzelfall blieb. Es gab weitere Krawalle, ob nun in Freital, Clausnitz oder anderswo.
Der Extremismusforscher Tom Thieme von der Universität in Chemnitz sagt: „Verschweigen und Herunterspielen war lange Zeit die Linie der Landesregierungen - nicht aus Sympathie und Nähe zu Rechtsaußenpositionen, sondern aus Sorge um den Imageschaden des vermeintlichen Vorzeigelandes.“
Frei nach dem Motto „bloß keine braunen Flecken auf der weißen Sachsenweste“. Doch mittlerweile habe sich das Bild gewandelt. (dpa)
