Großbritannien Großbritannien: Der Fall Kelly zerstört das Image des Tony Blair
David Kellys Tod traf Tony Blair in einem Augenblick, in dem er glaubte, dass sich ihm das Glück wieder zuwandte. Mit einer machtvollen Rede vor den beiden Häusern des amerikanischen Kongresses rief der Premier die Geschichte zum Richter auf, die ihn für seine Haltung im Irak-Krieg rechtfertigen würde. Doch Trauer, Zorn und Misstrauen fegten den kurzen Triumph hinweg.
Blairs Krise, die seit dem Irak-Krieg anhält, spitzt sich dramatisch zu. Viele seiner Parteifreunde fordern den Rücktritt von Verteidigungsminister und Pressesprecher, die sie für den Tod von David Kelly verantwortlich machen, einige bereits den von Blair selbst.
Das tragische Ende eines ehrenwerten Wissenschaftlers, der in der Kontroverse zwischen der Regierung und den Medien vernichtet wurde, verstärkt den ruinösen Vertrauensschwund in Tony Blair. Je mehr die Regierung argumentiert, desto mehr ähnelt sie in den Augen der Briten einem zweifelhaften Gebrauchtwagenhändler, der ein Unfallauto anpreist.
Dem einst so populären und selbstsicheren Premierminister gelingt nichts mehr: Die Reform der britischen Justiz und des öffentlichen Dienstes sowie die angestrebten Regionalparlamente ernten als tölpelhafter Aktionismus nur Hohn und Spott. Die Wut und Enttäuschung nach dem Irak-Krieg sitzt tief in der Parteibasis und verspricht diesen Herbst beim Labour-Parteitag ein neues Fiasko.
Kellys Tod verdrängt alle Argumente Blairs, dass der Krieg auch gerechtfertigt war, falls er sich hinsichtlich der Massenvernichtungswaffen geirrt habe. Er erinnert die Briten daran, dass sie von ihrem Regierungschef - ob bewusst oder im guten Glauben - betrogen wurden. Und das ist eine unverzeihliche Todsünde.
Wie beim Ende Margaret Thatchers ist der psychologische Schaden unermesslich. Offen wird darüber diskutiert, ob Blair noch bei richtigem Verstand sei. Sein Sendungsbewusstsein verdunkle rationale politische Entscheidungen. Diese Einschätzung mag unfair und überzogen sein, sie zeigt aber, wie stark der Glanz des einstigen Strahlemannes bereits verblichen ist. Über ihm liegt schon der Schatten seines Schatzkanzlers Gordon Brown, der bereits als Nachfolger von Blair gehandelt wird. Noch lehnt Blair einen Rücktritt aber. Aber er musste eine unabhängige richterliche Untersuchung des Todes von David Kelly anordnen, deren Ergebnis und Folgen völlig offen sind. Eine solche Untersuchung hatte er bei den Vorwürfen zu den frisierten Geheimdienstreports abgelehnt. Stattdessen waren die Erhebungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses behindert worden.
David Kelly wurde von seiner Familie als ein Wissenschaftler beschrieben, der ungeachtet aller Schwierigkeiten der Wahrheit zum Siege verhelfen wollte. Es wäre sein größtes Vermächtnis, wenn durch seinen Tod diese dunkle Episode in Blairs Regierungszeit aufgehellt würde.