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Globalisierung Globalisierung: Weltwirtschaft erklärt am Beispiel eines T-Shirts

Von Verena Schurr 22.05.2006, 09:02
Chinesische Arbeiterinnen in einer Textilfabrik. (Foto: dpa)
Chinesische Arbeiterinnen in einer Textilfabrik. (Foto: dpa) PHOTOTEX

Berlin/dpa. - Oder ein junges Mädchen in Indien, das 18 Cent pro Stunde verdient und nur zweimal am Tag zur Toilette gehen darf?»

Rivoli stellt fest, dass sie diese Frage genauso wenig beantworten kann wie die junge Aktivistin. In ihrem «Reisebericht eines T-Shirts» versucht sie, den Fragen auf den Grund zu gehen.

Den Protagonisten ihrer Geschichte findet sie in Fort Lauderdale: es ist ein sechs Dollar teures T-Shirt mit buntem Papageiaufdruck und Florida-Schriftzug. Die Lebensgeschichte dieses Textils, angefangenvon den Baumwollfeldern in Texas über die Kleiderfabriken in Chinabis zur letzten Station auf einem Gebrauchtkleidermarkt in Tansania,ist der gelungene Versuch, die Zusammenhänge einer kompliziertenglobalen Marktwirtschaft zu entschlüsseln.

Die Autorin beginnt mit einem detaillierten Überblick derGeschichte der Baumwollindustrie und beleuchtet eingehend dieBaumwollproduktion in den Südstaaten der USA. Die Dominanzamerikanischer Baumwolle auf dem Weltmarkt ist auch noch heuteungebrochen, was an den horrenden Subventionen der US-Regierungliegt. Sie sichern den texanischen Farmern das Überleben und lassenden Bauern in der Dritten Welt oftmals keine Chance. Die jährlichenSubventionen übersteigen das Bruttosozialprodukt manch einesafrikanischen Landes.

Die Textilindustrie ist ein Wirtschaftszweig, der die Ressourcender Schwachen und Bedürftigen ausbeutet. Dies wird in China deutlich,weltgrößter Textilhersteller und zweite Station in Rivolis Reise. Ineiner Kleiderfabrik in Shanghai wird aus der Baumwolle Garn, aus demGarn Stoff und aus dem Stoff das fertige Kleidungsstück. Schon vonjeher wurden junge Frauen für die harte Arbeit in der Textilindustrieeingesetzt, da sie als besonders fügsam und ausbeutbar galten.Dennoch ist Rivoli der Meinung, dass sich die Allgemeinsituation fürdiese Frauen verbessert hat. Denn die oftmals «unmenschlichen»Arbeitsbedingungen gingen mit Selbstbestimmung und ökonomischerBefreiung einher.

Doch auch in China befindet sich die Bekleidungsindustrie auf demabsteigenden Ast. Niedrigere Löhne in ärmeren Ländern und schnellereProduktionsabläufe beschleunigen den so genannten «Wettlauf nachunten». Und den wird das wirtschaftliche aufstrebende China nachEinschätzung der Autorin zwangsläufig auch irgendwann verlieren.

Als erste wirkliche Hürde stellt sich die Einreise ihres T-Shirtsin die USA heraus. Interessengruppen verschiedenster Art kämpfen seitJahrzehnten gegen den Import von Textilien. Quotenregelungen undteils irrwitzige Bestimmungen sollen die «Textilflut» aus China undanderen Ländern eindämmen.

Die Wege der Textilien in die Altkleidersammlung und weiter sinddie letzten Stationen ihres T-Shirts. Verwerter kaufen T-Shirts undsortieren weiter aus, wobei der Löwenanteil nach Afrika geht. Dorttrifft Rivoli auf die nach ihrer Einschätzung echten freien Märkte.

Aber nicht in jedem Land sind die westlichen Almosen willkommen.Manche Regierung sieht darin einen Angriff auf die heimischeTextilindustrie. Bestimmend sind zudem auch Angebot und Nachfrage: sosind Sporttrikots erfolgreicher Teams teurer als die der Verliererund Outfits in mehrfacher Ausführung begehrter, da sie beispielsweiseals Kellneruniformen einsetzbar sind.

Am Ende schließt Rivoli den Kreis und überlegt, was sie der jungenGeorgetown-Aktivistin antworten könnte. Sie kommt zu dem Schluss,dass nicht die Risiken der Marktwirtschaft, sondern die Verweigerungpolitischer Rechte für die Armen die wirklichen Gefahren sind. IhrRat an die Aktivisten: Weitermachen und wachsam bleiben.

Pietra Rivoli:
Reisebericht eines T-Shirts
Econ Verlag, Berlin
335 S., Euro 16,00
ISBN 3 43017765 0