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Gesellschaft Gesellschaft: «Papa, wer ist Hitler?»

24.01.2008, 10:11
Kinder werden mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, bevor das Thema in der Schule auf dem Lehrplan steht. Eltern sollten ihre Fragen ehrlich beantworten. (Foto: dpa)
Kinder werden mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, bevor das Thema in der Schule auf dem Lehrplan steht. Eltern sollten ihre Fragen ehrlich beantworten. (Foto: dpa) dpa

Kassel/dpa. - Eltern irritieren solche Fälle, vorallem, wenn ihre Kinder klein sind. Fragen Kinder nach den Nazis,Krieg und Judenverfolgung, sollten Eltern ehrlich antworten, ohnedabei Vollständigkeit anzustreben. «Orientieren Sie sich an denFragen der Kinder», rät Prof. Ariane Garlichs,Erziehungswissenschaftlerin aus Kassel.

Müssen tatsächlich schon Siebenjährige von Krieg und Verfolgunghören? «Es gab viele Jahre die Diskussion, ob man Schreckliches nichtvon Kindern fernhalten muss», sagt Dirk Lange von der UniversitätOldenburg. «Aber Untersuchungen zeigten, dass schon kleine KinderVorstellungen von der NS-Zeit haben», erläutert der Professor fürDidaktik der Politischen Bildung. Die Informationsfetzen stammen ausden Medien, aus Gesprächen von Erwachsenen oder resultieren aus derFamiliengeschichte, etwa wenn ein Angehöriger im Krieg gefallen ist.

Kommen Fragen oder spielen Kinder plötzlich Hitler, ist es Zeit,mit ihnen über die Nazizeit zu sprechen. Tun Eltern das nicht, kanndas negative Folgen haben, warnt Lange: «Mit dem Halbwissen derKinder sind Vorstellungen und Ängste verbunden. Gibt es keineAuseinandersetzung damit, können sich die Kinder hineinsteigern.»Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich das Halbwissen verfestigt.«Wenn das Thema dann in der Schule behandelt wird, haben die Kinderschon genaue Vorstellungen von der NS-Zeit.»

Aus all dem folgt aber nicht, dass Eltern mit ihren Kindern vonsich aus über Krieg und Nationalsozialismus sprechen müssen. Undschon gar nicht, dass sie ihr gesamtes Wissen darlegen sollten: «Esdarf nicht das Aufklärungsinteresse der Eltern im Mittelpunkt stehen.Bleiben Sie bei den konkreten Fragen der Kinder», rät Prof. Garlichs.

Doch wie antworten Eltern auf die Frage «Was sind Nazis?» «Ichwürde damit anfangen, dass Nazis für Ausgrenzung, Unterdrückung undVerfolgung standen», sagt Prof. Lange. «Dass andere oder sie selbstmal ausgegrenzt werden, ist eine Erfahrung, die Kinder selbst machen.So stellt man den Bezug zu ihrem Alltag her.» Im Grundschulalterhätten Kinder einen stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, fügtMonica Kingreen vom Fritz Bauer Institut in Frankfurt/Main, einemStudienzentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, hinzu.«Kinder finden es schnell "gemein", wie die Nazis beispielsweise diejüdischen Deutschen behandelten.»

Damit Geschichte für Kinder nachvollziehbar wird, rät Kingreen,von der Biografie eines Verfolgten auszugehen. «Allerdings würde ichnicht Anne Frank nehmen, die gewaltsam zu Tode kam, sondern ein Kind,das mit seiner Familie überlebte - wie Inge Auerbacher», sagt sie.Der Hinweis, dass viele andere umkamen, sollte dann nicht fehlen. DieBeschreibungen müssten aber auf das Kind angepasst sein und solltennicht zu Verlustängsten führen.

Daher sind Bilder von Leichenbergen aus den Konzentrationslagerntabu. Und Eltern sollten keinesfalls den Zweiten Weltkrieg mitaktuellen Konflikten verknüpfen. «Es ist wichtig den Kindern zusagen, dass das alles lange vorbei ist.» Der Hinweis, dassDeutschland vor der NS-Zeit anders war und es jetzt auch wieder ist,sollte laut Kingreen deutlich betont werden.

Fast jede deutsche Familie ist in irgendeiner Form mit der NS-Zeitverstrickt - sei es durch Flucht, den Tod eines Angehörigen oderdessen Täterschaft. Vor einem Gespräch über den Nationalsozialismusist es daher wichtig, dass sich Eltern über ihre eigene Haltungbewusst werden. «Was sind meine Interessen? Möchte ich vielleicht dieFamiliengeschichte reinwaschen?», fragt Garlichs. Eine weitere Gefahrist, dass Kinder zu Stellvertretern werden, dass mit ihnen Dingebesprochen werden, die Eltern eigentlich mit ihren Eltern klärenwollten. «Es sollte nur um die Fragen der Kinder gehen.» Und diefragen nicht immer weiter, sagt Lange. «Die wollen gar nicht alleswissen. Manchmal dauert es Monate, bis die nächste Frage kommt.»

Informationen: Hinweise für Eltern zum Umgang mit dem Holocaustgibt das Fritz Bauer Institut (Tel.: 069/79 83 22 40, Internet:www.fritz-bauer-institut.de).

INFO-KASTEN: Bücher helfen bei Fragen über NS-Zeit

Sprechen Eltern über Krieg und Verfolgung, fällt es ihnen oftschwer, die richtigen Worte zu finden. Bücher können dabei helfen.«Aber nicht jedes Buch über die NS-Zeit ist für Kinder geeignet, nurweil da ein Kind drin vorkommt», warnt Monica Kingreen vom FritzBauer Institut in Frankfurt. Eltern sollten die Bücher selbst kennen,bevor sie mit ihren Kindern über sie sprechen. Hier sind einigeEmpfehlungen:

- Judith Kestenberg, Vivienne Koorland: Als Eure Großeltern jungwaren, Kraemer, ISBN: 978-3-926-95269-1, 24,60 Euro.

- Inge Auerbach: Ich bin ein Stern. Beltz, ISBN: 978-3-407-78949-5,5,50 Euro.

- Inge Deutschkron, Lukas Ruegenberg: Papa Weidt. Er bot den Nazisdie Stirn, Butzon & Bercker, ISBN: 978-3-766-60210-7, 15,40 Euro.

- Noemi Staszewski: Mona und der alte Mann. Ein Kinderbuch zumJudentum, Patmos, ISBN: 978-3-491-79490-0, 14,90 Euro.