Gebrauchte Schulranzen Gebrauchte Schulranzen für bedürftige Kinder: Alte Taschen wertvoll wie Gold

Stadtroda - Schreibhefte, Mathematik-Blöcke, Zeichenpapier, Federmappen, Buntstifte, Radiergummis - die sechsjährige Isabel ordnet alles, ihre dreijährige Schwester Lara hilft dabei. Geschafft. In der guten Stube von Familie Paar in Stadtroda (Saale-Holzlandkreis) sieht es fast so aus wie in einer gut sortierten Papierwarenhandlung.
Kinder freuen sich über gebrauchte Schultaschen „Made in Germany“
Noch kann die Mutter der beiden Kinder, Ines Paar, die Materialien für den Unterricht nicht verstauen. Erst muss ihr Ehemann nebenan im Badezimmer fertig werden. Er unterzieht etliche Schultaschen einer gründlichen Säuberung, praktischerweise gleich in der Wanne. Christian Paar holt die gebrauchten Ranzen aus Containern, die man extra dafür in der Region an mehreren Punkten aufgestellt hat. Jede der Taschen ist eine Spende. Einige Exemplare sind auch gleich bei ihm im schmucken Siedlungshaus am Rande der kleinen Stadt abgegeben worden. Über seine Reinigungsaktion sagt er: „Hier und da ein Fleck, aber die Ranzen sind viel zu schade zum Wegwerfen.“ Damit lasse sich doch noch viel Gutes anfangen. Bedürftige würden sich immer über eine gebrauchte Schultasche „Made in Germany“ freuen, besagt seine Erfahrung.
Schulranzen für bedürftige Kinder: Der Beweggrund der beiden Thüringer
Nicht unbedingt in Deutschland. Hierzulande genügt, wie er sagt, oft ein Klick und Versandhändler liefern auf Wunsch 300 und mehr verschiedene Taschen für Schüler frei Haus. In vielen anderen Ländern jedoch, wo es kein so engmaschiges soziales Netz und finanzielle Beihilfen gibt, fehlt es Kindern aus einkommensschwachen Familien oft am Nötigsten für einen erfolgreichen Schulbesuch. Ihnen wolle man mit den praktisch ausgestatteten Taschen helfen, so der Beweggrund der beiden Thüringer. „In mehr als 1.800 Fällen ist uns das auch gelungen“, stellt Christian Paar sichtlich zufrieden fest.
Dabei beansprucht das Ehepaar keineswegs, die Schulranzen-Idee entwickelt zu haben. „Wir sind nur Nachnutzer“, ist ein geflügeltes Wort bei ihnen. Immer wieder seien Menschen, die wie sie in guten und gesicherten Verhältnissen lebten, auf diesen oder ähnlich hilfreiche Gedanken gekommen. Bei aller Bescheidenheit: Nur wenige verfolgen ein solches Projekt mit derartig großer Ausdauer wie die Paars, immerhin seit 2004 - ohne Unterbrechung. Seit nunmehr 13 Jahren sammeln die Stadtrodaer ausgemusterte Schulranzen.
Ines Paar zur Aktion: „Sammeln, versenden, übergeben. Nur drei Schritte, das ist direkte Hilfe, ohne Umwege.“
Das Motiv bringt Ines Paar, von Haus aus Ärztin, so auf den Punkt: „Sammeln, versenden, übergeben. Nur drei Schritte, das ist direkte Hilfe, ohne Umwege.“
Ihr Mann hebt hervor, dass Dritte nicht profitieren können. So fielen praktisch keinerlei Verwaltungskosten an. Es bestehe auch keine Möglichkeit für eventuellen Missbrauch. Und längst spricht sich das gute Werk herum. Mancher, der keine Tasche verschenken kann, spendet auch Geld. Davon werden Utensilien bezahlt, die in die Ranzen kommen. Und mit 15 bis 20 Euro komme man da schon sehr weit.
Von Anfang an gibt der Erfolg ihrer Aktion recht. Deshalb will das Duo künftig sein Sammelgebiet sogar noch erweitern. Ursprünglich auf den engeren Umkreis und die nahe gelegene Stadt Jena beschränkt, entsteht gerade ein landesweites Netzwerk. Verbündete finden sie dabei vor allem unter Gleichgesinnten, in evangelischen Kirchengemeinden. Und auch in Sachsen-Anhalt finden sich mittlerweile einige Unterstützer, darunter in Wittenberg und Sangerhausen. Erklärtes Ziel der Mitstreiter für 2017: Die Sammelaktivitäten in Mitteldeutschland sollen weiter ausgedehnt werden. Dazu wolle man vor allem Sozialarbeiter ansprechen, die in diversen Kinder- und Jugendprojekten tätig seien. Zusammenarbeit lasse sich freilich nicht verordnen, wissen Paars. Solche Kooperationen müssten mit der Zeit wachsen - Jahr für Jahr.
Jährlich rund 5.000 Schultaschen aus Deutschland für Aktion
Ihre private Statistik weist eine bemerkenswerte Entwicklung aus. Für 2004 sind 105 Taschen dokumentiert. 2015 sind es immerhin schon 157 Taschen gewesen. „Unter 150 Taschen pro Jahr wollen wir uns künftig nicht mehr zufrieden geben“, so der studierte Wirtschaftsinformatiker. Gemeinsam bedienen sich die Initiatoren einer Hilfsorganisation, dem Global Aid Network mit Sitz im hessischen Gießen. Es leistet humanitäre Hilfe in mehr als 40 Ländern, sein Motto „Helfen macht Schule“. Nach Auskunft von Christian Paar wechseln mittlerweile jährlich rund 5.000 Schultaschen aus Deutschland so ihre Besitzer. Empfänger von Spender-Ranzen aus ganz Deutschland leben hauptsächlich in der Ukraine, im Irak und in Lettland. Daneben wird auf diese Weise auch Kindern in anderen Krisenländern wie Haiti, Armenien und Uganda der Schulbesuch erleichtert.
Welche Freude ein Schultaschen-Geschenk auslösen kann, darüber spricht Christian Paar seit der ungewöhnlichsten Urlaubsreise seines Lebens. „Ich habe eine Woche lang einen Hilfstransport nach Lettland begleitet.“ Neben teils beträchtlichem Wohlstand in den Städten sei die verbreitete Armut auf dem Land unübersehbar. „Viele Mädchen und Jungen sammeln Beeren im Wald und verkaufen sie.“ Nur so könnten sie die Dinge kaufen, die für die Schule nötig seien.
Schulranzen werden gerecht unter den Kindern verteilt
Paar erinnert sich: Einige hundert Ranzen habe er selbst vor Ort verteilen dürfen. „Meist erfolgte die Übergabe in extra in von Schulen vorbereiteten Veranstaltungen.“ Die Taschen habe man unter den armen Kindern gerecht verteilt - alle gleich gefüllt und das Los entscheide, wer welchen Ranzen erhalte. Unvergesslich sei ihm dabei die Dankbarkeit der Kinder. „Für sie ist ein alter Ranzen wertvoll wie Gold.“ Dann genüge mitunter ein kleines Plüschtier und schon fließen Tränen der Freude. „Ich habe nur glücklich leuchtende Augen gesehen.“
(mz)
