Finanzkrise eskaliert: J.P. Morgan kauft Bear Stearns
New York/dpa. - Die Finanzkrise hat eine neue, beunruhigende Dimension erreicht: Die fünftgrößte US-Investmentbank Bear Stearns stand kurz vor dem Zusammenbruch und soll vom Konkurrenten J.P. Morgan zum Ramschpreis von 236 Millionen Dollar gekauft werden.
Zugleich griff die US-Notenbank zu weiteren weitgehenden Maßnahmen, um den Markt zu stützen - ein Schritt, der nach Einschätzung von Experten deutlich macht, wie ernst die Lage ist. Von den ersten Gerüchten über finanzielle Probleme von Bear Stearns bis zur Beinahe- Pleite der traditionsreichen Wall-Street-Bank verging nur eine Woche.
J.P. Morgan will Bear Stearns über einen Aktientausch übernehmen. Für eine Aktie von Bear Stearns werden nur 0,05473 Anteile von J.P. Morgan geboten. Gemessen am letzten Kurs vor dem Geschäft würde eine Aktie von Bear Stearns nur mit zwei Dollar bewertet. Das bedeutet einen gigantischen Abschlag: Noch am Freitag - bereits nach einem Einbruch um fast 50 Prozent - hatte die Aktie an der Börse noch mehr als 30 Dollar gekostet und die gesamte Bank wäre damit noch 3,5 Milliarden Dollar wert gewesen. Die Lage der Bank hat sich jedoch übers Wochenende nochmal dramatisch verschlechtert. Praktisch niemand wollte mit ihr mehr Geschäfte machen, wie das «Wall Street Journal» unter Berufung auf informierte Personen berichtete. Da sei nur noch die Wahl zwischen Insolvenz und Notverkauf geblieben, was auch den äußerst niedrigen Preis erkläre.
J.P. Morgan, die drittgrößte US-Bank, übernimmt sofort die Handelsverpflichtungen von Bear Stearns und ihrer Tochtergesellschaften sowie die Aufsicht das gesamte Geschäft. Die Transaktion solle bis Ende des zweiten Quartals 2008 abgeschlossen sein. Die US-Zentralbank Fed sagte im Zusammenhang mit der Übernahme zu, Bear Stearns mit bis zu 30 Milliarden Dollar zur Sicherung der Liquidität zu stützen. Zudem öffneten die Währungshüter in Washington ihr «Diskont-Fenster» erstmals auch den Investmenthäusern und senkte gleichzeitig den zugehörigen Zinssatz.
Die Aktionäre müssen dem Verkauf von Bear Stearns noch zustimmen. Einige von ihnen hatten die Frage aufgeworfen, ob sie bei einer Auflösung im Zuge eines Insolvenzverfahrens nicht besser weggekommen wären: Noch am Freitag hatte Bear Stearns betont, die Werte der Bank würden einen Aktienpreis von etwa 80 Dollar rechtfertigen. Vor einem Jahr hatte der Kurs noch bei 170 Dollar gelegen.
Erste Markgerüchte über akute finanzielle Probleme bei Bear Stearns hatte es Anfang vergangener Woche gegeben. Auf dem derzeit hochnervösen Markt glich das einem Todesurteil: Andere Banken wollten Bear Stearns kein Geld mehr leihen, weil sie Angst hatten, es nicht mehr wiederzubekommen. So schlitterte die Bank binnen weniger Tage an den Rand des Abgrunds: Bereits am Freitag mussten J.P. Morgan und die regionale Notenbank von New York Bear Stearns finanziell unter die Arme greifen.
Am Sonntag wurde zudem bekannt, dass ein erst im vergangenen Jahr vereinbarter milliardenschwerer Einstieg des größten chinesischen Brokerhauses CITIC Securities zu platzen droht. Das Unternehmen könne ein Zustandekommen des Geschäfts «nicht garantieren», teilte CITIC in Peking mit. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse wollten die Chinesen die geplante Allianz nochmals komplett auf den Prüfstand stellen. Bisher sei kein «formelles Abkommen» unterzeichnet worden und auch noch kein Geld geflossen. Über zentrale Punkte der Vereinbarung sei bisher keine Einigung erzielt worden.
Der chinesische Broker, der zur staatlichen China International Trust & Investment Corp. gehört, hatte im Herbst seinen Einstieg mit sechs Prozent bei Bear Stearns für eine Milliarde Dollar angekündigt. Im Gegenzug wollte sich Bear Stearns für ebenfalls eine Milliarde Dollar mit zwei Prozent an dem Geschäft der Chinesen beteiligen. Daneben wollte sich CITIC die Möglichkeit sichern, seinen Anteil an Bear Stearns auf knapp zehn Prozent zu erhöhen.
Erste Probleme tauchten bei Bear Stearns im vergangenen Sommer auf, als zwei Hedge-Fonds der Bank im Zusammenhang mit der Krise am US-Hypothekenmarkt zusammenbrachen. Für das vierte Quartal musste die Bank erstmals in ihrer Geschichte einen Verlust ausweisen. Wegen fauler Kreditpapiere bereinigte Bear Stearns schließlich im gesamten Geschäftsjahr 2007 (30. November) Wertverluste von 1,9 Milliarden Dollar. Der Gewinn brach auf 233 Millionen Dollar ein, nach 2,1 Milliarden Dollar im Vorjahr.