Entwicklungsbiologie Entwicklungsbiologie: Die verflixten sieben Tage
Halle (Saale)/MZ. - Es sind die allerersten sieben Tagen in der Entstehung eines Menschen. Und es ist eine Zeit, in der viel schief gehen kann. 50 Prozent aller befruchteten Eizellen, erklärt Bernd Fischer, sterben in dieser ersten Woche ab. Der Direktor des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Universität Halle erforscht seit gut 20 Jahren diese kurze Zeitspanne zwischen der Befruchtung einer Eizelle und deren Einnistung in der Gebärmutter. Nun ist der Wissenschaftler gemeinsam mit seiner Kollegin Anne Navarrete Santos an einem neuen EU-Forschungsprojekt beteiligt, in dem Forscher aus Deutschland, Großbritannien, Ungarn und Italien seit Anfang November zusammenarbeiten.
"Epi Health" wird der Frage nachgehen, welchen Einfluss Stoffwechselerkrankungen und Ernährung der Mutter in diesen ersten sieben Tagen auf die spätere Gesundheit ihres Kindes haben können, besonders im hohen Alter. In Teilen ist die Woche vor der Einnistung einer Eizelle schon gut erforscht. So weiß man inzwischen, dass das häufige Absterben befruchteter Eizellen damit zu erklären ist, dass in den Chromosomen Fehler auftreten. "Dies ist ein wichtiges biologisches Korrektiv. Wenn etwas schiefläuft, wird die Sache beendet", sagt Fischer.
Aber nicht nur die Genetik beeinflusse die menschliche Entwicklung in diesem frühesten Stadium. Seit knapp zehn Jahren wisse man, dass die ersten sieben Tage eine noch größere Bedeutung habe: "In den ersten Tagen fallen wichtige Entscheidungen über die Gesundheit des Kindes", sagt Fischer. Und das, obwohl das werdende Leben in dieser Zeit nur ein kleiner Zellhaufen ist. Die Frage ist nun, warum die Phase so wichtig ist. Dazu werden Datenbanken ausgewertet, in denen die Behandlungsdaten von Frauen und deren Kindern abgespeichert sind, die durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden. Diese Daten enthalten sehr genaue Angaben über die ersten zwei bis drei Tage der Eizelle in vitro, das Alter der Mütter und im Fall mancher Kinder auch Daten über deren Gesundheitszustand in den folgenden Jahrzehnten, erklärt Fischer. Eine zweite Aufgabe im Rahmen des "Epi-Health"-Projektes sei es, die Daten von Kindern auszuwerten, bei deren Müttern Informationen zu Stoffwechselerkrankungen, Ernährungszustand und Ernährungsgewohnheiten bekannt sind, also zum Beispiel Untergewicht, Diabetes, Adipositas, besondere Ernährungsformen wie Vegetarismus. Die Frage sei auch hier: welche Auswirkungen haben diese Faktoren auf die spätere Gesundheit der Kinder?
Hinweise gebe es bereits aus Versuchen, die Forscher der Universität Southampton (Großbritannien) mit Mäusen und Ratten durchgeführt haben, sagt Fischer. Wenn den Tieren in den Tagen um die Befruchtung herum weniger Protein gefüttert wurde, entwickelten viele Jungtiere das metabolische Syndrom, das sich etwa in Herzkreislauferkrankungen äußert. In Bezug auf Diabetes wiederum hat die Arbeitsgruppe um Fischer zeigen können, dass bereits Blastozysten, also befruchtete Eizellen noch vor der Einnistung in die Gebärmutter, quasi zuckerkrank sind. Die Zellen gleichen die Stoffwechselstörung im mütterlichen Körper aus. Doch dies führe dazu, dass Stoffwechselprozesse fehlgesteuert werden und das ganze Leben lang die Gesundheit des Menschen beeinflussen könnten, sagt Fischer. Die Stoffwechselwege, die dabei eine Rolle spielten, seien die gleichen, die für das Altern eines Menschen wichtig sind. Die hallesche Arbeitsgruppe hat in dem EU-Projekt die Aufgabe, die Mechanismen dieser Fehlsteuerung zu verstehen.
Die Ergebnisse des Gesamtprojekts "Epi Health" könnten dazu beitragen, Frauen, die schwanger werden wollen, Empfehlungen, etwa zur richtigen Ernährung zu geben. Und zwar schon für die Zeit, in der sie noch nicht sicher wissen, dass sie schwanger sind. Bis die Wissenschaft entsprechende Empfehlungen aussprechen kann, werde es jedoch noch fünf bis zehn Jahre dauern, sagt Fischer.