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Eine Art Weltkulturerbe Einbruch ins Grüne Gewölbe - Juwelenraub in Dresden: Stadt unter Schock

Von Jörg Schurig 25.11.2019, 15:47
Das Dresdner Residenzschlos mit dem Grünen Gewölbe war am Montag abgesperrt.
Das Dresdner Residenzschlos mit dem Grünen Gewölbe war am Montag abgesperrt. ZB

Dresden - Bestürzung, Kopfschütteln, ungläubige Gesichter: Vor den Türen des Dresdner Residenzschlosses stehen am Montagmorgen zahlreiche Besucher vor verschlossenen Türen. Ein Schild am Eingang weist darauf hin, dass das Museum aus „organisatorischen Gründen“ geschlossen bleibt. Die Nachricht dahinter ist ein Schock: Es gab einen spektakulären Kunstraub in Dresdens weltberühmter Schatzkammer - dem Grünen Gewölbe. Teile von drei Juwelengarnituren ließen die unbekannten Diebe mitgehen. Ihr Wert lässt sich finanziell gar nicht beziffern, hieß es.

Als das ganze Ausmaß gegen Mittag bekannt wird, stehen manchem Beschäftigten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) Tränen in den Augen. „Das ist wie in einem schlechten Film. Ich hätte nie gedacht, dass sich so etwas mal erleben muss“, sagt eine Mitarbeiterin. Betroffenheit auch in Gesichtern derjenigen, die wenig später das Unerklärbare erklären müssen.

Einbruch ins Grüne Gewölbe: Dresdner Museumsleitung ist geschockt

„Ich brauche ihnen nicht zu sagen, wie schockiert wir sind, auch von dieser Brutalität des Einbruchs“, sagt SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann. Es handle sich um einen „unschätzbaren kunsthistorischen und kulturhistorischen Wert“. August der Starke habe sich ja immer im Wettbewerb befunden mit Ludwig dem XIV. Mit solchen Garnituren habe er den Sonnenkönig hinter sich lassen wollen. Die besondere Bedeutung liege darin, dass die Garnituren als Ensembles erhalten blieben. Ackermann spricht von Sachsens Staatsschatz des 18. Jahrhunderts.

Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, verortet den Wert der geraubten Kunstschätze weit über die Grenzen Sachsens hinaus und spricht von einer Art „kulturellem Welterbe“. Es gebe nirgendwo in einer Sammlung in Europa eine Juwelengarnitur, die in dieser Form, dieser Qualität und dieser Quantität erhalten blieb. In vier Vitrinen waren insgesamt zehn Garnituren ausgestellt, eine Vitrine mit drei Garnituren wurden ausgeraubt. Zunächst konnten Syndram und Kollegen selbst den Schaden gar nicht in Augenschein nehmen. Erst sollte die Spurensicherung ihre Arbeit verrichten.

Juwelenraub im Grünen Gewölbe: Reichte das Sicherheitskonzept?

Ackermann, Syndram und die Spitze der Dresdner Polizei müssen sich bohrenden Fragen stellen. Normalerweise wird über das Sicherheitskonzept eines Museum schon deshalb Stillschweigen bewahrt, damit Kriminelle nicht an Details herankommen. An diesem Tag müssen die SKD dennoch Einzelheiten bekanntgeben. Nach den bisherigen Ermittlungen drangen die Täter über ein vergittertes Fenster mit Sicherheitsglas ein. Die mit Panzerglas geschützte Vitrine hielt den Werkzeugen der Räuber gleichfalls nicht stand.

Zwei Wachleute, die in der Zentrale Dienst haben, beobachten die Täter während der Tat über Monitore. Nach den Vorgaben dürfen sie nicht selbst eingreifen, sondern müssen die Polizei informieren. Die nimmt eine Minute vor 5 Uhr am Morgen den Notruf entgegen. Fünf Minuten später ist der erste Funkstreifenwagen vor Ort, die Täter aber schon auf und davon - offenkundig wieder durch das Fenster.

Einbruch ins Grüne Gewölbe: Täter gingen schnell und gezielt vor

Die Polizei geht davon aus, dass ein Fluchtfahrzeug bereitstand. Fest steht, dass es zu diesem Zeitpunkt stockdunkel am Dresdner Schloss war. Da kurz zuvor ein Elektroverteiler nahe des Schlosses brannte, ist das Straßenlicht aus. Die Polizei untersucht, ob es einen Zusammenhang gibt, die Täter womöglich gezielt vorgingen, um unbemerkt in das Schloss zu kommen. Und dann ist da noch die Frage, wie viel Insiderwissen die Täter hatten. Im Internetauftritt der SKD gibt es auch einen virtuellen Rundgang durch das Grüne Gewölbe.

4.59 Uhr: Die Polizei habe vom Sicherheitsdienst die Information erhalten, dass es zu einer „Einbruchshandlung“ komme.

5.04 Uhr: Der erste Funkstreifenwagen des Reviers Dresden-Mitte sei beauftragt worden. Er sei „unverzüglich vor Ort“ eingetroffen.

5.05 Uhr: Ein erster Hinweis auf ein mögliches Fluchtfahrzeug vom Sicherheitsdienst sei eingegangen.

5.08 Uhr: Die Kriminalpolizei ist nach Angaben Kubiessas erstmals mit ihrem Kriminaldauerdienst vor Ort und holt weitere Kräfte nach.

5.09 Uhr: Alle 16 Funkstreifenwagen im Stadtgebiet Dresden seien mit Fahndungsmaßnahmen beauftragt worden. Zeitgleich wurde ein Stromausfall am Theaterplatz bekannt.

5.21 Uhr: Erste Ermittlungen ergeben, dass es sich um eine Art Elektroverteiler handle. Ob der Brand mit dem Einbruch zu tun hat, sei Gegenstand der Prüfung.

5.22 Uhr: Die Bundespolizei sei einbezogen worden, bisherige Fahndungsinformationen seien auch im Bereich der Grenze zur Verfügung gestellt worden. Angrenzende Polizeidirektionen in Chemnitz und Görlitz und das Land Brandenburg seien informiert worden.

7.00 Uhr: In etwa um diese Zeit sei die Tatortgruppe des Landeskriminalamts (LKA) angefordert worden, „um die objektiven Spuren bestmöglich zu sichern“.

Das Historische Grüne Gewölbe im Dresdner Residenzschloss ist das barocke Schatzkammermuseum der sächsischen Kurfürsten und Könige. In zehn prachtvoll ausgestatteten Räumen beherbergt es rund 3000 Schmuckstücke und andere Meisterwerke aus Gold, Silber, Edelsteinen, Elfenbein und anderen wertvollen Materialien.

Seit der Wiedereröffnung im September 2006 gehört es zu den Besuchermagneten Dresdens. Ihren Namen verdanken die Räume malachitgrünen Abfärbungen einzelner Bauteile.

Das 1723 bis 1729 eingerichtete Prunkstück der Kunstsammlung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670-1733) gilt als eine der reichsten Schatzkammern und eines der ältesten Museen Europas.

Drei der acht Räume aus dem 18. Jahrhundert waren den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg 1945 zum Opfer gefallen. Die Roten Armee beschlagnahmte die ausgelagerten Kostbarkeiten und brachte sie nach Moskau. Erst 13 Jahre später kehrte die Sammlung zurück. Wegen Platzmangels konnte aber lange nur ein Teil gezeigt werden.

In die Wiederherstellung der Räume in ihrer barocken Fassung - vom Bernsteinzimmer über den Pretiosensaal bis zum Juwelenzimmer - investierte Sachsen 45 Millionen Euro.

In einem modernen Teil der Schatzkammer, dem Neuen Grünen Gewölbe, sind zudem mehr als 1000 Objekte zu sehen. Dank modernster Vitrinentechnik können die Prachtstücke der Sammlung im Detail studiert werden.

Zu den Prunkstücken des barocken Dresdner Schatzkammermuseums Grünes Gewölbe zählen die Schöpfungen von Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger (1644-1731), aber auch Elfenbeindrechseleien, Miniaturschnitzereien, Perlfiguren und Juwelen. Einige Prunkstücke:

- Der 1701 bis 1708 geschaffene „Hofstaat von Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb“ gilt als Hauptwerk europäischer Juwelierkunst des Barocks. Auf einer über einen Quadratmeter großen teils vergoldeten Bühne aus Silber sind 132 filigrane Figuren und 32 Geschenk-Gegenstände in emailliertem Gold arrangiert: Fürsten, Wesire, Würdenträger, Diener, Sklaven, Elefanten, Pferde, Jagdhunde. Verarbeitet wurden unter anderem 4909 Diamanten, 160 Rubine, 164 Smaragde, ein Saphir und 16 Perlen.

- Das 1697 bis 1701 entstandene „Goldene Kaffeezeug“, ein pyramidenförmig ansteigender Tafelaufsatz mit Trinkgefäßen aus Gold und in fernöstlicher Ornamentik mit Emaille bemalt, ist eine der ersten Chinoiserien der deutschen Kunst.

- Der „Mohr mit Smaragdstufe“ ist eine 58 Zentimeter hohe Statue eines schwarzen jungen Mannes. Bildhauer Balthasar Permoser hatte sie um 1723 geschaffen, um ein mit Smaragdkristallen besetztes Gestein - ein Geschenk des Kaisers - zu präsentieren.

- Die prächtigste mehrerer mit Edelsteinen besetzter Prunkschalen ist das 1704 geschaffene „Bad der Diana“. Die aus Elfenbein geschnitzte Göttin der Jagd sitzt am hinteren Ende einer Schale aus Chalzedon, die reich mit Gold, Silber, Diamanten, Perlen und Email verziert ist.

- Zu den Berühmtheiten gehört auch der Kirschkern mit „185 geschnitzten Köpfen“, ein Schmuckanhänger aus dem 16. Jahrhundert. Nach neueren Zählungen sind es nur 113 “Angesichter und Köpfe“ von Vertretern geistlichen und weltlichen Standes, was den Ruhm der Miniaturschnitzerei nicht schmälerte.

- Die zehn erhaltenen Juwelengarnituren Friedrich August I. (der Starke). Die Ensembles aus Knöpfen, Schnallen, Hutzier, Orden, Achselschleifen oder Stockknöpfen sind mit Brillanten, Diamanten, Rubinen, Smaragden oder Saphiren besetzt, darunter der mit 541 Karat größte blaue Saphir der Welt.

Der Einbruch ins Dresdener Grüne Gewölbe reiht sich ein in eine Liste spektakulärer Diebstähle aus Museen:

Berlin, März 2017: Aus dem Bode-Museum auf der Museumsinsel stehlen Einbrecher eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze im Wert von 3,75 Millionen Euro. Seit Januar 2019 stehen mehrere Männer vor Gericht. Die Polizei nimmt an, dass die Münze eingeschmolzen wurde.

Verona, November 2015: Bewaffnete rauben aus dem Museum Castelvecchio 17 Renaissance- und Barockgemälde im Wert von geschätzt etwa 15 Millionen Euro. Die Bilder etwa von Tintoretto und Peter Paul Rubens tauchen wieder auf. Die Täter müssen bis zu rund 10 Jahre in Haft.

Zürich, Februar 2008: Bewaffnete Männer rauben vier Ölgemälde im Wert von 180 Millionen Schweizer Franken aus der Sammlung Bührle, darunter Werke von Claude Monet und Vincent van Gogh. Vier Jahr später sind alle Bilder wieder da. Die Täter kommen bis zu sieben Jahre in Haft.

Oslo, August 2004: Bewaffnete überfallen das Munch-Museum und rauben eine Version des Gemäldes „Der Schrei“ und das Werk „Madonna“. Schätzwert: insgesamt 90 Millionen Euro. Beide Gemälde tauchen wieder auf, die Diebe müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis.

Berlin, April 2002: Neun Gemälde bekannter Expressionisten im Wert von rund 3,6 Millionen Euro verschwinden aus dem Brücke-Museum. Wenige Wochen später werden die Bilder von Künstlern wie Emil Nolde oder Max Pechstein sichergestellt. Die Täter wurden zu Gefängnisstrafen von bis zu fünfeinhalb Jahren verurteilt.

Frankfurt, Juli 1994: Diebe überwältigen nachts den Sicherheitsdienst der Kunsthalle Schirn und stehlen drei Bilder von William Turner und Caspar David Friedrich. Versicherungswert: 70 Millionen D-Mark. Jahre später tauchen die Bilder wieder auf. Die Täter kommen bis zu elf Jahre in Haft, die Hintermänner bleiben unbekannt.

Gotha, Dezember 1979: Bei einem bis heute unaufgeklärten Kunstraub werden aus Schloss Friedenstein fünf Gemälde mit einem damaligen Wert von 4,5 Millionen D-Mark gestohlen - etwa von Jan Brueghel dem Älteren und Hans Holbein. Die Straftat ist mittlerweile verjährt.

Dessen Juwelenzimmer gilt als der prachtvollste Raum der Sammlung. Täfelungen, Spiegel, Türbekrönungen mit Kurhut und Königskrone, Pilaster und Marmorfußboden wurden nach historischen Quellen rekonstruiert. In vier Hightech-Vitrinen liegen verschiedene Kostbarkeiten mit Brillanten, Diamanten, Smaragden, Rubinen und Saphiren - darunter der weltgrößte blaue Stein dieser Art. Im Juwelenzimmer befinden sich auch die „Juwelen der Königin“: Diamanten und Brillanten auf tiefdunkelblauer indischer Rohseide.

Einbruch ins Grüne Gewölbe: Bitterer Tag für Sachsens kulturelles Erbe

Innenminister Roland Wöller (CDU) spricht von einem bitteren Tag für das kulturelle Erbe in Sachsen, Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) sieht alle Sachsen als Opfer des Einbruchs. „Man kann die ‎Geschichte unseres Landes, unseres Freistaates nicht verstehen, ohne das Grüne Gewölbe und ‎die Staatlichen Kunstsammlungen Sachsens.“

Das Historische Grüne Gewölbe ist eines der weltberühmten Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und ein barockes Gesamtkunstwerk. In den im Zweiten Weltkrieg zerstörten und prachtvoll rekonstruierten Räumen des Residenzschlosses sind rund 3000 Schmuckstücke und andere Meisterwerke aus Gold, Silber, Edelsteinen und Elfenbein zu sehen. Das 1723 bis 1729 eingerichtete Prunkstück der Kunstsammlung des legendären Kurfürst-Königs August der Starke (1670-1733) gilt als eine der reichsten Schatzkammern Europas.

Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden: Hatten es die Täter viel zu leicht?

Deshalb verwundert es, dass Diebe mit mechanischen Werkzeugen vergleichsweise ungehindert in die Räume eindringen konnten. Ackermann muss sich den Fragen stellen. „Wir sind auf dem Stand gewesen, das ist das, was man tun kann“, beschreibt sie die Sicherheitsvorkehrungen. In allen Museen der Welt sei es so, dass Menschenleben vor allem anderen gehen würden. Deshalb hätten die Wachleute zuerst die Polizei informieren und nicht selbst nachsehen müssen. Wann immer auf der Welt ein Einbruch in ein Museum passiert sei, habe man intern einen Abgleich vorgenommen. Ackermann ist die Ratlosigkeit anzumerken.

Während drinnen im Schloss der Ermittlungsstand rekapituliert wird, wächst draußen vor dem Schloss die Menge der Schaulustigen. Die Polizei hat anders als noch am Vormittag größere Teile der Sophienstraße abgesperrt. Auch Gäste des Hotels, das dem Residenzschloss gegenüberliegt, sollen als mögliche Augenzeugen befragt werden. Denn bisher hat die Polizei nur zwei Zeugen - die Wachleute in der Sicherheitszentrale.

Draußen auf der Straße ist der Kunstraub das Thema Nummer 1. „Es ist bedrückend, dass man in solche Einrichtungen überhaupt einbrechen kann“, sagt der 77 Jahre alter Holger Heidrich, ein Kunstliebhaber mit Jahreskarte. Er habe immer geglaubt, die Kunstschätze seien „bombensicher“. So wie Ackermann treibt auch ihn die Frage um, was die Diebe mit den Schätzen machen. Durch ihre hohe Bekanntheit, seien die Garnituren auf dem Kunstmarkt nicht verkäuflich, sagt die Generaldirektorin. Es wäre eine schreckliche Vorstellung, wenn sie deshalb zerstört und auseinandergerissen würden. (dpa)