Bundeswehr „Bams“: Abgehörte Offiziere nutzten ungeschützte Leitung
Eine russische Propagandistin veröffentlicht eine Audiodatei eines Gesprächs deutscher Offiziere zum Waffensystem Taurus. Der Kanzler spricht von einer „sehr ernsten Angelegenheit“.
Berlin/Rom/Moskau - Der Abhörskandal bei der Luftwaffe soll nach einem Medienbericht darauf zurückzuführen sein, dass für die Schaltkonferenz der betroffenen Offiziere keine geschützte Leitung genutzt wurde. Nach dpa-Informationen sprachen die Offiziere über die Kommunikationsanwendung Webex miteinander. Die Webex-Sitzung sei wiederum über eine Büro-Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt worden, schrieb die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Sicherheitskreise.
Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte der „Bild am Sonntag“: „Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde. Dies ist unter anderem Gegenstand der weiteren Untersuchungen.“
Scholz verspricht schnelle Aufklärung
Bundeskanzler Olaf Scholz versprach nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts von Beratungen deutscher Luftwaffen-Offiziere zum Ukraine-Krieg schnelle Aufklärung. Am Rande eines Besuchs im Vatikan sprach der SPD-Politiker von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Auf eine Frage der dpa nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“
Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hatte am Freitag einen Audiomitschnitt des rund 30-minütigen, möglicherweise abgehörten Gesprächs veröffentlicht. Darin sind ranghohe Offiziere der Luftwaffe zu hören, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutieren. Nach dpa-Informationen ist das Gespräch authentisch. Die Offiziere schalteten sich demnach über die Plattform Webex zusammen.
Das Verteidigungsministerium geht davon aus, dass ein internes Gespräch von Luftwaffen-Offizieren abgehört worden ist. „Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen“, sagte eine Ministeriumssprecherin der dpa.
Sicherheitspolitiker sind alarmiert
Sicherheitspolitiker forderten Konsequenzen. „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul forderte die Bundesregierung auf, die Vorschriften für den Schutz von Kommunikation nachzuschärfen.
Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte dem RND: „Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt.“ Er erwarte „umgehende Aufklärung aller Hintergründe“, forderte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Details zu Taurus und brisante Äußerung
An dem Gespräch nahm unter anderen Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teil. Es soll der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gedient haben. In dem in der Audiodatei dokumentierten Austausch geht es unter anderem um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt.
Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper „ein paar Leute vor Ort“ hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz gegeben, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde. „Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: „Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte.“
Grüne fordern Aufklärung im Bundestag
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz fordert zügig Aufklärung. „Wir erwarten eine umgehende und umfassende Aufklärung des Sachverhalts durch die Bundesregierung und werden für die kommende Sitzungswoche entsprechende Berichte in den zuständigen Ausschüssen und anderen Gremien beantragen“, teilte von Notz in Berlin mit. Infrage kommen dafür im Bundestag theoretisch unter anderem der Innenausschuss, der Verteidigungsausschuss und der Auswärtige Ausschuss sowie das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist.
Von Notz selbst ist PKGr-Vorsitzender. Die nächste Sitzungswoche des Bundestags beginnt am 11. März. Von Notz teilte weiter mit: „Schnellstmöglich muss geklärt werden, ob es sich bei diesem Abhörskandal um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Problem handelt.“ Es werde deutlich, dass es eine „wirkliche Zeitenwende“ bei allen Verfassungsorganen und Sicherheitsbehörden brauche - auch und gerade mit Blick auf den Eigenschutz aller sicherheitsrelevanten Kommunikationen.
Kiesewetter: Moskau will Taurus-Lieferung unterbinden
Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte dem Nachrichtenportal „ZDFHeute“ mit Blick auf die Veröffentlichung: „Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden.“
Auch Strack-Zimmermann sieht als Grund für die Veröffentlichung, dass Russland Bundeskanzler Scholz davon abschrecken will, doch noch grünes Licht für die Lieferung von Taurus zu geben. Sie sagte dem RND, Spionage gehöre „zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung“. Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden. „Es war nur eine Frage der Zeit, wann es öffentlich wird.“
Kiesewetter rechnet damit, dass noch etliche andere Gespräche abgehört wurden und gegebenenfalls später im Sinne Russlands geleakt werden. Er vermutet zudem: „Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny.“
Scholz hat mehrfach betont, dass er gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist. Auch innerhalb seiner eigenen Ampel-Koalition ist diese Position umstritten. Der Kanzler begründet sie mit der Gefahr, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn, forderte nun, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Aus seiner Sicht untermauert das angebliche Luftwaffen-Gespräch, dass ein Einsatz von Taurus durch die Ukrainer auch ohne Bundeswehr-Personal vor Ort möglich wäre. „Wenn der Mitschnitt echt ist, sind die Aussagen des Kanzlers aus dieser Woche nicht nur unangemessen, sondern falsch“, sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Minister Pistorius habe sich explizit zum Taurus einschließlich Einsatzmöglichkeiten unterrichten lassen. „Daher ist es kaum vorstellbar, dass Scholz von dieser militärischen Einschätzung nichts wusste.“ Obwohl er militärisch vorausschauende Planung für durchaus normal halte, sei hier Aufklärung gefordert. „Ich erwarte Bundeskanzler Scholz hierzu im Verteidigungsausschuss.“