Katastrophe ohne Anklage Ermittlungen zur Ahr-Flut eingestellt
Bei der Flut im Sommer 2021 sterben 136 Menschen. Die Staatsanwaltschaft listet Versäumnisse auf, doch strafrechtlich bleiben sie jetzt ohne Konsequenzen - für die Hinterbliebenen ein Skandal.
Koblenz - Viele Tote, aber kein Prozess: Vor fast drei Jahren starben bei der Flut im Ahrtal 135 Menschen, doch für ihren Tod wird sich niemand vor Gericht verantworten müssen.
Die Ermittlungen gegen den damaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeiter aus dem Krisenstab sind eingestellt worden. Ein hinreichender Tatverdacht habe sich nicht ergeben, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler, bei einer zweieinhalbstündigen Pressekonferenz in Koblenz. Für viele Angehörige ist das schwer zu ertragen. Für sie sind die Folgen der tödlichen Flutnacht jeden Tag präsent.
„Emotionslos, objektiv und nüchtern“
Rückblick: Bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021 waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und einer im Raum Trier. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Ein Mensch gilt zudem weiterhin als vermisst. Der damalige Landrat war seit August 2021 krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst und wurde im Oktober 2021 auf eigenen Antrag wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Die Flut brachte unsägliches Leid ins Tal. Davon sprach auch die Staatsanwaltschaft. Die menschlichen Schicksale und Verluste hätten auch während der Ermittlungen alle sehr betroffen gemacht, sagte Mannweiler. Auch den Ermittlern falle es schwer, sich von Emotionen freizumachen. „Dennoch müssen wir uns zwingen, emotionslos, objektiv und nüchtern die Sache und Rechtslage einzuordnen.“
Was war der Vorwurf und wie liefen die Ermittlungen?
Seit mehr als zweieinhalb Jahren beschäftigt sich das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen. Der Vorwurf gegen Pföhler und den Mitarbeiter des Krisenstabs des Kreises lautete fahrlässige Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen.
Für den Zeitraum der Flut vom 14. bis 15. Juli seien bei Leitstellen der Feuerwehr und Polizei 15.500 Notrufe gesichert worden, sagte der Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz, Mario Germano. Es seien mehr als 300 Zeugen vernommen worden. Insgesamt sichteten die Ermittler demnach über 20 Terabyte an digitalen Daten, wovon etwa 300 Gigabyte für das Verfahren relevant waren. Es gibt rund 20.000 Seiten Papierakten.
In den Stunden der Flut habe es mehr als 3000 Feuerwehreinsätze im Ahrtal gegeben. „Dies, um das mal in den Kontext zu setzen, entspricht in etwa dem durchschnittlichen Einsatzaufkommen des Kreises Ahrweiler für ein ganzes Jahr“, sagte Germano.
Wie begründet die Staatsanwaltschaft die Entscheidung?
Nach mehr als zweieinhalb Jahren sind die Ermittlungen mit der Einstellung nun abgeschlossen. „Das Gesetz verlangt, dass eine Verurteilung mindestens wahrscheinlich ist. Und das ist hier nicht der Fall, und dann muss die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen“, sagte Mannweiler. „Das ist keine Ermessensentscheidung.“
Laut Staatsanwaltschaft gibt es für eine Anklageerhebung strenge Regeln. Es hätte festgestellt werden müssen, dass durch bestimmte Handlungen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ mehr Menschen gerettet worden wären, sagte Mannweiler. Und genau das sei nicht möglich gewesen.
Pföhler und auch der Mitarbeiter seien zwar in der Nacht zuständig gewesen. Aber einzelne Maßnahmen hätten eben nicht mit einer solch hohen Wahrscheinlichkeit zur Rettung einzelner konkreter Menschen geführt. Als Beispiel nannte Mannweiler Warnungen: Es gebe keine Gewissheit, wie Menschen auf Warnungen reagieren. „Auch wenn es dafür natürlich Wahrscheinlichkeiten gibt. Aber mit Wahrscheinlichkeiten werden, wie gesagt, in Deutschland keine Menschen strafrechtlich verurteilt.“
Wie reagierten die Betroffenen?
Der Anwalt des Ex-Landrats Pföhler sagte, er und sein Mandant hätten mit der Entscheidung gerechnet. „Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass eine strafrechtliche Verantwortung von Herrn Dr. Pföhler unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt“, sagte Olaf Langhanki. „Für uns ist die Angelegenheit abgeschlossen.“
Für die Hinterblieben noch lange nicht. Der Anwalt einiger Hinterbliebenen, Christian Hecken, sagte er erwäge eine Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen. Dazu sei man ja „faktisch gezwungen, auch um ein klares Bild von der Aktenlage zu bekommen“, sagte er. „Im Prinzip kann ich ja gar nicht so viel sagen.“
Die Ermittlungen seien einseitig geführt worden. Der Justizminister Herbert Mertin (FDP) stehle sich komplett aus der Verantwortung, sagte Hecken. „Dann kann man einfach nur zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Justizminister so nicht mehr tragbar ist.“ Ralph Orth verlor bei der Flutkatastrophe seine Tochter. Er sprach nun von einem Justizskandal.
Politische Dimension der Ahrflut
Nicht nur juristisch hatte die Ahrflut in den vergangenen Monaten viele Menschen beschäftigt. Auch in der Politik gab es Konsequenzen. Zwei Minister traten im Zuge der Aufklärung zurück: die ehemalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne), die da schon Bundesfamilienministerin war, und der langjährige Innenminister und SPD-Landeschef Roger Lewentz (SPD). Im Landtag beschäftigte sich ein Untersuchungsausschuss mit der Katastrophe.
Wie geht es weiter?
Die politische Debatte dürfte weitergehen. Und auch in der Justiz ist der Fall noch nicht gänzlich abgeschlossen: Eine Beschwerde, wie sie Hecken bereits ankündigte, ist laut Staatsanwaltschaft möglich. Über diese entscheidet dann die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz. Weist diese die Beschwerde zurück, so kann ein Antrag für eine Entscheidung beim Oberlandesgericht Koblenz gestellt werden. So könnte der Tod der 135 Menschen im Ahrtal irgendwann doch noch vor Gericht landen.