Kollaps der Carolabrücke Rost in der Brücke? Wie es zum Unglück in Dresden gekommen sein könnte
Um 2.58 Uhr brach ein 100 Meter langes Stück der Carolabrücke in Dresden in die Elbe. Fachleute suchen nun nach der Ursache und vermuten Korrosion. Warum die Spannbrücken aus der DDR besonders gefährdet sind.
Halle/Dresden/MZ. - Auf den Bildern der Webcam ist das Unglück zu sehen. Die Kamera der Dresdner Verkehrsbetriebe und des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme ist auf die Carolabrücke gerichtet. Wie immer. Sie ist Teil der Verkehrsüberwachung der sächsischen Landeshauptstadt. In der Nacht zu Mittwoch, um 2 Uhr, 58 Minuten und sechs Sekunden ist noch alles wie immer. Die Lichter der Straßenlaternen und die Reflexionen von Autoscheinwerfern sind zu erkennen. Dann das nächste Bild. Zeitstempel: 2 Uhr, 59 Minuten und fünf Sekunden. Das Unglück ist geschehen. Dort, wo eben noch eine der drei Fahrbahnen der Carolabrücke zu sehen war, klafft nun eine Lücke. Das Bauwerk ist auf 100 Metern Länge eingestürzt. Wie Zeugen später berichten, fiel der Abschnitt der Elbquerung mit einem ohrenbetäubenden Knall in sich zusammen. Polizisten, die die nahe gelegene Synagoge bewachten, sagten, „der Boden habe gewackelt“.
Nur neun Minuten vor dem Kollaps fuhr noch eine Straßenbahn
Der Einsturz der wichtigen Verkehrsader ist ein Schock für Dresden. Insbesondere deswegen, weil die Stadt an einer noch größeren Katastrophe nur knapp vorbeischrammte. Beim Zusammenbruch kam kein Mensch zu Schaden. Jedoch: Nur neun Minuten vor dem Kollaps fuhr noch eine Straßenbahn über die Brücke, die auch Fußgänger nutzen können – um drei Uhr in der Nacht war das nicht der Fall. „Wir können nur dankbar sein, dass niemand bei diesem schrecklichen Ereignis zu Schaden gekommen ist“, sagte der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) am Mittwoch.
In der sächsischen Hauptstadt und auch darüber hinaus stellen sich viele Menschen nun die Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Eine Fremdeinwirkung schloss die Polizei am Mittwoch aus. Hinweise darauf gebe es nicht. Wie alle Brücken in Deutschland werden auch die Elbbrücken in Dresden regelmäßig kontrolliert. Die Prüfer vergeben dabei Noten, die den Zustand und damit auch die Dringlichkeit von Sanierungsmaßnahmen anzeigen. Höchstnote ist die eins, schlechteste Zensur die vier.
Beim letzten „Brücken-Tüv“ der Carolabrücke bestand für den eingestürzten Teil bereits deutlicher Handlungsbedarf. Die Trasse bekam das zweitschlechteste Prädikat „nicht ausreichend“, Note: 3,0 bis 3,4. Als Schäden zählten die Sachverständigen unter anderem „freiliegende korrodierende Bewehrung an der Hohlkastenunterseite“ sowie „an den Gesimsen“ auf. Und diese Korrosion, also die Zersetzung von Metall und Beton, könnte nach aktuellem Kenntnisstand auch eine wesentliche Ursache für den Zusammensturz sein.
Experte Steffen Marx: „Wenn irgendwas ist, folgt der Einsturz“
Dazu muss man wissen, dass es sich bei der 1971 fertiggestellten Carolabrücke um eine der ersten großen Spannbetonbrücken der DDR handelt. Alle Bauten aus der Frühzeit dieser Technik hätten Nachteile, sagte der Brückenbauexperte Steffen Marx: „Ein besonders tragisches Defizit ist, dass die Brücke keinen Redundanzen hat, das heißt: Wenn irgendwas ist, folgt der Einsturz“, erklärte der Forscher der TU Dresden.
Dass dieser einzelne Auslöser eine Korrosion sein könnte, äußerte am Mittwoch Dresdens oberster Brückenhüter. Als Holger Kalbe am Morgen vor die Presse trat, wirkte er sichtlich erschüttert. „Glauben Sie mir, das ist ein Morgen, den Sie nie erleben wollen“, sagte der Abteilungsleiter Brücken- und Ingenieurbauwerke bei der Stadt Dresden. Kalbe verwies dann auf die hohe Chloridbelastung der Brücke zu DDR-Zeiten. Damals sei als Streusalz im Winter eine Magnesiumchlorid-Lösung eingesetzt worden. Dieses Enteisungsmittel gilt als wesentlich aggressiver als heutige Salze. Die Lösung könnte im Inneren der Brücke zu Rost an der Bewehrung, also dem Stahlskelett, geführt haben. Kalbe wies zudem darauf hin, dass dort, wo das Brückenteil einbrach, ein Mast der Verkehrsbetriebe gestanden habe. Es sei denkbar, „dass an der Stelle massiv die Chloride eingedrungen sind“.
Die Leiterin des Dresdner Straßen- und Tiefbauamtes, Simone Prüfer, betonte, dass die Brücke regelmäßig überprüft und kontrolliert worden sei. Zweimal pro Jahr habe es Besichtigungen gegeben, die letzte große Prüfung liege etwa drei Jahre zurück. Eine Erklärung für das Versagen des Bauwerks habe sie noch nicht, sagte Prüfer.
Eingestürzter Teil sollte 2025 saniert werden
Aufgrund seines schlechten Zustands sollte der nun eingestürzte Teil der Carolabrücke im kommenden Jahr saniert werden. Die anderen beiden Abschnitte wurden 2021 und 2023 bereits instandgesetzt. „Dass der Zustand im Brückenzug C so schlimm ist, dass es zum Einbruch gekommen ist, war nicht vorhersehbar“, sagte Kalbe. „Man steckt in so einem Bauwerk halt nicht drin.“
Von den verbleibenden Brückentrassen sollen nun Zustandsanalysen angefertigt werden, um weitere Unglücke auszuschließen. Und auch in Sachsen-Anhalt reagiert das Infrastrukturministerium. „Es gibt hier bereits ein sehr engmaschiges Kontrollregime“, sagte Ministerin Lydia Hüskens (FDP), „aber natürlich nehmen wir das Ereignis in Dresden zum Anlass, um insbesondere die Brücken gleicher Bauweise noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen“.
In der sächsischen Landeshauptstadt wird nun alles darangesetzt, die verbleibende Trasse zu sichern und anschließend die abgestürzten Brückenteile aus der Elbe zu bergen. Denn die Zeit drängt. Nicht nur, wegen des Verkehrschaos, dass der Einsturz nach sich zieht, sondern auch wegen des Wetters. Starke Niederschläge in Tschechien könnten zu einem Elbehochwasser führen. Das ist wegen der Trümmer im Fluss ein Problem. Eile sei deswegen geboten, um nicht, wie Brückenexperte Steffen Marx sagt, „mit dieser Katastrophe die nächste Katastrophe verursachen“.