Soziales Lang fordert Staatsausgaben jenseits der Schuldenbremse
Marode Infrastruktur, fehlende Wohnungen: Es gibt vieles, in das der Staat Geld stecken könnte - und aus Sicht der Grünen auch müsste. Doch dem Bund steht die Schuldenbremse im Weg.
Berlin - Angesichts der engen Finanzspielräume plädiert Grünen-Chefin Ricarda Lang für eine Umgehung der Schuldenbremse. „Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass wir nicht an die Schuldenbremse rangehen“, sagte Lang der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Das darf aber nicht zur Ausrede werden, uns nicht mit anderen Finanzierungsmöglichkeiten für notwendige Zukunftsinvestitionen auseinanderzusetzen. Denn die gibt es.“
Ein im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vorgesehenes Instrument, das noch nicht ausreichend genutzt werde, seien öffentliche Investitionsgesellschaften, sagte Lang. Bei einer Investitionsgesellschaft würde der Bund diese mit Eigenkapital ausstatten. Sie könnte dann über Kredite weiteres Kapital aufnehmen und investieren. Der Bund würde dafür geradestehen.
„Ohne jede Auswirkung auf die Schuldenbremse können wir etwa problemlos die Bahn oder die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben so ausstatten, dass sie den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden“, erklärte Lang. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) könne dann in den sozialen Wohnungsbau investieren. „Das wäre eine Win-Win-Situation - für die vielen Menschen, die auch in Zukunft noch bezahlbaren Wohnraum suchen, und für die Baubranche, die etwas Unterstützung in der aktuellen Lage besonders gut gebrauchen kann."
Warnung aus dem Finanzministerium
Aus dem Finanzministerium kam sofort die Warnung, neue Schulden würden die Inflation anheizen. „Es gibt gute Gründe, warum politische Schulden rechtlich begrenzt sind“, hieß es am Sonntag aus Ministeriumskreise. Lang wolle das Grundgesetz aushebeln und lasse zugleich EU-Beihilferecht außer Acht.
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer reagierte ebenfalls ablehnend. „Es wird mit der FDP keinen direkten oder indirekten Bruch der Schuldenbremse geben, egal was Frau Lang fordert“, sagte er. Es sei „befremdlich, dass von Seiten des grünen Koalitionspartners im Stakkato immer neue, undurchdachte Vorschläge kommen, um mehr Staatsausgaben zu machen“.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte den Zeitungen der Mediengruppe Bayern, man solle sich jetzt lieber „mit voller Energie auf die Einführung eines Industriestrompreises, ein wirksames Wachstumsbeschleunigungsgesetz und weitere Vereinfachungen im Bereich von Genehmigungsverfahren konzentrieren“.
Widerspruch aus der Union
Auch aus der oppositionellen Union erntete die Grünen-Chefin Widerspruch. Der parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), sieht in den Grünen-Plänen ein Schuldenprogramm, mit dem versucht werde, „das Grundgesetz trickreich zu umgehen“. Der Staat könne nicht immer höhere Schulden anhäufen, wenn er nicht früher oder später handlungsunfähig werden wolle.
Wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädierte Lang dafür, einen subventionierten Industriestrompreis aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zu finanzieren. Dieser in der Corona-Pandemie errichtete Fonds wurde in der Energiekrise reaktiviert, um deren Folgen abzufedern. „Im letzten Jahr haben wir uns in der Koalition darauf geeinigt, ein ohnehin bestehendes Sondervermögen, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, erneut aufzuladen und zu nutzen - mit dem Ziel, die Wirtschaft und natürlich auch das Land in Zeiten steigender Energiepreise zu schützen“, sagte Lang. „Jetzt sieht dieser Schutz vielleicht ein bisschen anders aus, er ist aber nicht weniger wichtig. Der finanzielle Spielraum ist da.“ Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine andere Verwendung dieser Mittel allerdings ab.
Lang verlangte, der Wohlstand müsse die erreichen, die ihn erarbeiteten. „Beides gehört zusammen: Um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, müssen wir Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen.“ Dafür müsse Überregulierung abgebaut werden. „Zweitens: Ich schlage eine Investitionsagenda vor, bei der der Staat strategisch in die öffentliche Infrastruktur investiert, in ein Land, das einfach funktioniert - und damit auch private Investitionen anreizt.“
Zudem müsse Staatsgeld auch nach sozialen Kriterien vergeben werden. „Wenn der Staat unterstützt oder investiert, dann muss dort nach Tarif bezahlt werden und Standortgarantie gewährleistet sein. Das könnte man zum Beispiel beim Industriestrompreis so machen.“ Und schließlich brauche Deutschland genug Arbeits- und Fachkräfte. „Das bedeutet mehr Weiterbildung, mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen - und wir müssen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz jetzt mit Leben füllen, etwa, indem wir Berufs- und Bildungsabschlüsse einfacher und schneller anerkennen.“
Wohlstand und Gerechtigkeit
Die aktuelle wirtschaftliche Lage lasse sie nicht kalt, betonte Lang. „Deutschland ist ein starkes Land mit einer starken Wirtschaft. Aber wenn die Wirtschaft in anderen Ländern jetzt schneller wieder wächst, auch weil die Regierungen dort stärker investieren, dann müssen wir da auch ran. Ich gehe davon aus, dass Wohlstand und Gerechtigkeit in der nächsten Zeit die zentralen Themen der Ampel-Koalition sein werden - zu Recht.“
Man sei sich in der Ampel-Koalition einig, Wachstumsimpulse zu setzen. Dabei sei das Wachstumschancengesetz ein erster Schritt mit guten Punkten wie der Prämie für klimafreundliche Investitionen. Es geht um ein Gesetzespaket von Finanzminister Lindner mit steuerpolitischen Maßnahmen, die die Wirtschaft um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten sollen. „Aus meiner Sicht sollten weitere Schritte für mehr Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit folgen, zum Beispiel der Industriestrompreis oder auch eine Investitionsagenda.“
Lang versicherte: „Das Wachstumschancengesetz und die Kindergrundsicherung werden kommen.“ Sie sei sich sicher, dass die Regierung noch in diesem Monat beides auf den Weg bringen werde. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte das Wachstumschancengesetz kürzlich im Kabinett blockiert. Sie dringt - wie die Grünen insgesamt - auf die Verabschiedung der Kindergrundsicherung, die Leistungen für Familien zusammenfassen und diese zugleich erhöhen soll. Die FDP sieht Leistungsverbesserungen kritisch.