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Staatsangehörigkeitsrecht Kürzere Einbürgerungsfrist: „Lippenbekenntnis“ reicht nicht

Die Behörden rechnen mit mehr Anträgen durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht. Es soll Menschen, die alle Anforderungen erfüllen, ermutigen, Deutsche zu werden. Ein Blick ins Kleingedruckte.

Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa 27.06.2024, 04:49
Ab heute gilt in Deutschland ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz.
Ab heute gilt in Deutschland ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz. Fernando Gutierrez-Juarez/dpa

erlin - Mit Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsgesetz hat die Ampel-Koalition eines ihrer zentralen Vorhaben in der Migrationspolitik verwirklicht. Die neuen Regeln sehen kürzere Fristen vor und erlauben den Doppelpass ab sofort für alle. Umstritten sind sie nach wie vor.

Es sei gut, dass sich das Gefühl vieler Bürgerinnen und Bürger, mehrere Heimaten und Zugehörigkeiten zu haben, nun endlich auch in Form von zwei Pässen manifestiere, sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu. Gerade für die türkeistämmige Bevölkerung sei das ein Akt der Anerkennung ihrer Lebensrealität und auch der Wertschätzung ihrer Leistungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Umso mehr trifft mich die erneute pessimistische Debatte, in der so getan wird, als gäbe es fortan irgendwas geschenkt für Menschen, die sich hier nicht anstrengen würden“, sagte Sofuoglu.

Die Unionsfraktion hatte angekündigt, sie wolle die Reform nach der nächsten Bundestagswahl, sollte ihr das dann möglich sein, rückgängig machen. Die AfD-Fraktionsvorsitzende, Alice Weidel, sagte: „Die Migrationskrise wird verschärft, das deutsche Staatsvolk, der Souverän, wird ohne Einverständnis transformiert.“

Länder erhielten Anwendungshinweise

Um eine bundesweit einheitliche Umsetzung der Reform zu ermöglichen, hat das Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben wenige Tage vor dem Starttermin der neuen Regeln für die Einbürgerung vorläufige Anwendungshinweise dazu an die Länder geschickt.

Diese haben allerdings für die Länder, deren Behörden die Einbürgerungen vornehmen, keinen bindenden Charakter, wie ein Sprecher erläuterte. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Praxis der vergangenen Jahre hat jedoch gezeigt, dass die Länder sich an den Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums orientieren, damit die gesetzlichen Regelungen zum Staatsangehörigkeitsrecht einheitlich angewandt werden.“

Das von der Ampel-Koalition formulierte Gesetz sieht vor, dass ein Anspruch auf Einbürgerung nun schon nach fünf statt bisher acht Jahren besteht - vorausgesetzt der Antragsteller erfüllt alle Bedingungen. Bei besonderen Integrationsleistungen sollen Ausländerinnen und Ausländer bereits nach drei Jahren Deutsche werden können. Voraussetzungen für die schnellere Einbürgerung sind gute Leistungen in Schule oder Job, hervorragende Sprachkenntnisse oder ehrenamtliches Engagement. Mehrstaatigkeit wird generell zugelassen.

Voraufenthaltszeit von fünf statt acht Jahren

Alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern erhalten ab sofort die deutsche Staatsangehörigkeit und können die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf - statt bisher acht - Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Die sogenannte Optionsregelung, die bisher für nicht in Deutschland aufgewachsene junge Menschen galt, entfällt. Um die Leistungen der DDR-Vertragsarbeiter und der sogenannten Gastarbeiter zu würdigen, wurden für diese Gruppen die Anforderungen für eine Einbürgerung gesenkt.

„Darauf haben viele seit Jahrzehnten gewartet“, sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD). Deutschland habe mit der Reform „endlich ein Staatsangehörigkeitsrecht auf der Höhe der Zeit“.

Hürden nicht gesenkt

Die FDP wies darauf hin, dass die Hürden für die Einbürgerung trotz der kürzeren Fristen insgesamt nicht gesenkt würden. „Den deutschen Pass zu bekommen, geht künftig schneller, wird aber schwerer, denn die Voraussetzungen für die Einbürgerung wurden deutlich verschärft“, sagte der FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae.

Eine höhere Zahl von Anträgen bedeute auch nicht zwingend, dass es langfristig zu deutlich mehr Einbürgerungen kommen werde. Denn wer Deutscher werden wolle, müsse anders als bisher finanziell auf eigenen Beinen stehen, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete. „Zudem verschärfen wir Prüfungen, damit Antisemiten und Menschen, die unsere Werte nicht teilen, nicht eingebürgert werden“, fügte er hinzu.

Die Innenbehörden der Länder und der Deutsche Landkreistag rechnen dagegen mit einer deutlichen Zunahme der Einbürgerungen. „Wir schätzen, dass sich die Zahl der Einbürgerungsanträge verdoppeln, teilweise verdreifachen wird“, sagte Präsident Reinhard Sager der „Bild“-Zeitung

„Lippenbekenntnis“ zur historischen Verantwortung Deutschlands reicht nicht

Wie aus dem Innenministerium verlautete, beinhalten die an die Länder übermittelten Anwendungshinweise etwa Hinweise, was Anhaltspunkte für ein nicht wirksames „Lippenbekenntnis“ zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und zur „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen“ sein könnten. Dazu zählten beispielsweise „Aufrufe zur Vernichtung des Staates Israel“ und entsprechende Sympathiebekundungen in den sozialen Medien, ebenso „Kriegshetze“ und homophobe Handlungen.

Praktische Hinweise gibt das Bundesinnenministerium den Ländern auch dazu, wie festzustellen ist, ob jemand, der als Angehöriger der sogenannten Gastarbeiter-Generation keinen schriftlichen Sprachnachweis erbringen muss, zumindest über ausreichende mündliche Sprachkenntnisse verfügt.

Konkrete Hinweise gibt es auch zu der nunmehr eingeschränkten Möglichkeit einer sogenannten Ermessenseinbürgerung. Die kommt zum Beispiel aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung infrage oder wenn jemand wegen der Pflege von Angehörigen seinen Lebensunterhalt nicht vollständig allein bestreiten kann. Dazu heißt es aus Ministeriumskreisen, Voraussetzung für eine Einbürgerung auf Basis der Härtefallregelung sei, dass jemand, der einer der im Gesetz genannten „vulnerablen Personengruppen“ angehöre, „alles objektiv Mögliche und subjektiv Zumutbare“ getan habe, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern und dennoch, ganz oder teilweise, auf öffentliche Leistungen angewiesen sei.

Linke kritisiert: „Einbürgerung wird zur Lotterie“

Linken-Chefin Janine Wissler kritisierte, dass trotz der Lockerung viele Menschen von Einbürgerungen ausgeschlossen blieben. Dazu zählten Alleinerziehende, die wegen fehlender Kita-Plätze nicht Vollzeit arbeiten könnten. „Für die Betroffenen wird die Einbürgerung so zur Lotterie, da es im Ermessen des Amtes liegt, ob diese Menschen eingebürgert werden oder nicht“, meinte Wissler. Sie beklagte zudem, dass wegen Überlastung der Behörden viele Interessierte wohl noch jahrelang auf ihren deutschen Pass warten müssten.

Schon in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Einbürgerungen stark gestiegen: 2023 wurden in Deutschland rund 200.100 Ausländer eingebürgert - und damit so viele wie noch nie seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000. Laut Statistischem Bundesamt waren es im Vergleich zum Vorjahr rund 31.000 (plus 19 Prozent) mehr, nachdem die Zahl schon 2022 um rund 37.000 (plus 28 Prozent) gestiegen war. Ein Grund für den Anstieg ist, dass viele Menschen, die in den Jahren 2015 und 2016 als Asylsuchende nach Deutschland gekommen waren, inzwischen die Anforderungen für eine Einbürgerung erfüllen.