Verden Fast acht Jahre nach Tod eines Kindes: Hebamme vor Gericht
Wer trägt die Schuld, dass im Januar 2015 ein Kind während einer Geburt starb? Angeklagt ist eine frühere Hebamme, die beschuldigt wird, gegen ihre Pflichten verstoßen zu haben. Im Prozess will sie sich umfassend äußern.

Verden (dpa/lni) – - Gegen eine frühere Hebamme hat am Landgericht Verden am Montag ein Prozess begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft der 60 Jahre alten Frau Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vor. Der Verteidiger der Angeklagten sagte zu Beginn der Verhandlung, dass sich die Frau aus Neustadt am Rübenberge (Region Hannover) umfassend äußern werde. Insofern sie sich erinnern könne. Die mutmaßliche Tat liegt fast acht Jahre zurück. Der Vorsitzende Richter entschuldigte sich daraufhin bei den Beteiligten für den vergleichsweise späten Beginn des Verfahrens: „Das ist kein Ruhmesblatt, was die Justiz jetzt vor sich hertragen muss.“
Im Jahr 2015 soll die Angeklagte, damals als Hebamme tätig, während einer mehrtägigen Hausgeburt in Siedenburg (Landkreis Diepholz) erkannt haben, dass es einer gebärenden Frau und ihrem ungeborenen Kind zunehmend schlechter gehe, aber keine notwendigen ärztlichen Maßnahmen veranlasst haben. Der Angeklagten sei dabei bewusst gewesen, dass das ungeborene Kind ohne ärztliche Hilfe sterben könne. Das Kind wurde tot geboren.
Während der Verhandlung am Montag verlasen der Vorsitzende Richter und ein weiterer Richter mehrere Stunden lang Dokumente über die Schwangerschaft der Geschädigten, ihren Aufenthalt im Krankenhaus und behördliche und juristische Entscheidungen, die im Zusammenhang mit dem Verfahren stehen. Ein medizinischer Gutachter fehlte am Montag überraschend im Gerichtssaal. Am Dienstag soll er zugegen sein. Dann wird der Prozess fortgesetzt.
Bei der Frau, die ihre Tochter tot zur Welt brachte, habe es sich um eine Risikopatientin gehandelt, sagte die Staatsanwältin. Über die Gefahren der Geburt für das ungeborene Kind seien sie und ihr Partner von der Hebamme nicht ausreichend aufgeklärt worden. Andernfalls hätten sie sich gegen eine Hausgeburt entschieden - und ein Krankenhaus aufgesucht. Die Frau und ihr Partner hatten vor der Geburt vorsorglich einen Termin im Sankt Marienhospital Vechta angefragt, sich letztlich aber für eine Hausgeburt entschieden.
Wie die Geburt ablief, war aufgrund der Detailtiefe der Informationen aus den verlesenen Dokumenten nur schwer nachzuvollziehen. Bekannt ist, dass sich während der Geburt im Januar 2015 der Gesundheitszustand der Gebärenden zunehmend verschlechterte. Am 10. Januar platzte ihre Fruchtblase. Eine Grünfärbung des Fruchtwassers sei festgestellt worden. Geburtswehen, das sind Muskelkontraktionen, habe die Gebärende durchgängig gespürt. Eine Geburtseinleitung sei allerdings nicht angeboten worden.
Im weiteren Verlauf der Geburt suchten die Gebärende, ihr Partner und die Hebamme eine Hausarztpraxis auf. In der Praxis wurden keine Herztöne bei dem ungeborenen Kind festgestellt. Die Gebärende wurde anschließend ins Krankenhaus eingewiesen, wo sie ihre Tochter am 13. Januar gegen 21.20 Uhr tot zur Welt brachte. Das Kind starb laut Staatsanwaltschaft an einer Sauerstoffunterversorgung. Einem Todesermittlungsbericht zufolge, der vor Gericht verlesen wurde, gab es keine Anhaltspunkte, dass das Mädchen aufgrund einer Gewalteinwirkung zu Tode kam.
Zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Tat war die Hebammen-Zulassung der Angeklagten widerrufen, aber noch nicht entzogen worden, weil sie dagegen geklagt hatte, wie die Sprecherin des Landgerichts auf Nachfrage mitteilte. Im Jahre 2017 wurde der Widerruf nach der Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts rechtskräftig - die Angeklagte hat folglich keine Zulassung als Hebamme mehr. Die Frau hat die deutsche Staatsbürgerschaft.
Planmäßig soll das Verfahren bis Ende November abgeschlossen werden. Angesetzt sind fünf Verhandlungstermine. Drei Zeugen und drei Sachverständige sind geladen.