Verteidigungsetat Heftige Kritik an Bundeswehr-Ausgaben im Haushaltskompromiss
Ist die Zeitenwende schon vorbei? Verteidigungsminister Pistorius will gut sechs Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr - und bekommt nur 1,2. Die Empörung bei Fachleuten und Opposition ist groß.
Berlin - Nach dem mühsam errungenen Haushaltskompromiss der Ampel-Koalition gibt es massive Kritik an der voraussichtlich nur geringen Erhöhung des Wehretats. Unter anderem der Bundeswehrverband fordert deutliche Nachbesserungen. Er verweist auf die neue militärische Bedrohungslage in Europa und auf Deutschlands Verantwortung in der Welt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betont dagegen, die Bundeswehr erhalte mit dem Etatentwurf mehr Geld als in der Vergangenheit.
Die Spitzen der Koalition hatten in der Nacht zum Freitag den seit Monaten schwelenden Haushaltsstreit beigelegt und sich auf einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 geeinigt. Die Schuldenbremse wird eingehalten, eine Haushaltsnotlage etwa wegen der Ausgaben für die militärische und humanitäre Unterstützung der Ukraine nicht festgestellt. Dies war der FDP und ihrem Finanzminister Christian Lindner wichtig.
Nicht durchsetzen konnte sich dagegen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der SPD-Mann wollte erreichen, dass der Verteidigungsetat von rund 52 Milliarden Euro um mehr als sechs Milliarden Euro aufgestockt wird. Zugebilligt wurde ihm jedoch nur eine Erhöhung um 1,2 Milliarden Euro.
Bundeswehrverband reagiert entsetzt
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, reagierte empört: „Mit diesem Haushalt mag sich die Bundesregierung zwar durch diese Legislaturperiode hangeln wollen, aber die Bundeswehr als wesentlicher Teil unserer Sicherheitsarchitektur - und damit wir alle - zahlt den Preis dafür“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Ein Zuwachs von 1,2 Milliarden Euro werde „keinesfalls der aktuellen Bedrohungslage und erst recht nicht Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht“.
„Die Truppe ist verwundert, größtenteils schockiert. Gerade nach der Aussage des Bundeskanzlers während der Münchner Sicherheitskonferenz "Ohne Sicherheit ist alles nichts" hätte niemand mit einer derartigen Unterdeckung des Verteidigungsetats gerechnet“, sagte Wüstner. „Trotz Ausrufung der Zeitenwende ist leider keine Erkenntniswende eingetreten.“
Nachbesserung im Parlament verlangt
Jeder wisse, dass das sogenannte Sondervermögen der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro bereits in diesem Jahr vollständig in Verträgen gebunden sei. „Wir brauchen den Aufwuchs des Verteidigungshaushaltes auch, um die dramatisch steigenden Betriebsausgaben zu decken - vom Stromerzeugeraggregat über Betriebsstoff und Sonderwerkzeugsätze bis hin zum Personal“, betonte Wüstner.
Er forderte für die nach der Sommerpause im September beginnenden Haushaltsberatungen im Bundestag: „Das Parlament muss massiv nachsteuern“. Geschehe dies nicht, „dann heißt es ZeitenWende - ZeitenEnde“.
Scholz verteidigt den Haushaltskompromiss
Der Bundeskanzler verteidigte hingegen den Haushaltskompromiss, der - wie er bei einem Bürgerdialog in Weimar gestand - „mühevoll errungen“ worden sei. Die Koalition tue etwas für Kinder und Familien, indem das Kindergeld und der Kinderzuschlag erhöht würden, sagte Scholz. Sie investiere in die Infrastruktur des Landes wie Straßen und Schienen. Und auch in die modernste Infrastruktur für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands fließe Geld.
Der Kanzler betonte, „dass wir für die Sicherheit unseres Landes das notwendige Geld bereitstellen und dass wir deshalb auch die Bundeswehr besser ausstatten werden, als es in der Vergangenheit der Fall war“.
Doch auch innerhalb der Ampel gibt es Kritik. Der SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz sprach im „Tagesspiegel“ von einer „ernüchternden Zahl“. „Das Ergebnis der regierungsinternen Haushaltsgespräche entspricht nicht dem, was wir im Verteidigungsbereich brauchen.“ Nun hätten die Abgeordneten im parlamentarischen Verfahren die Aufgabe, „deutliche Nachbesserungen vorzunehmen“.
Auch Opposition schlägt Alarm
Nachbesserungen hält auch die Union für nötig. „Was wir jetzt brauchen, sind rasch echte Umpriorisierungen im Haushalt, die einen verstetigten und erhöhten Verteidigungsetat ermöglichen“, sagte der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter der „Augsburger Allgemeinen“.
Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, kritisierte die geringe Erhöhung des Wehretats mit den Worten: „Damit werden wir nicht kriegstüchtig.“ Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete warnte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Es werden vielmehr an allen Ecken und Enden Lücken bleiben.“
Lindner sieht „ganz normalen Haushaltsprozess“
Dass die Bundeswehr mit weniger Geld auskommen muss als erhofft, sieht Finanzminister Lindner gelassen. „Der Verteidigungsminister bekommt mehr Geld als im Haushalt davor, aber er bekommt weniger Geld, als er auch öffentlich gefordert hat“, sagte er der „Bild“. „Das ist der ganz normale Haushaltsprozess.“
Ein Minister arbeite mit Leidenschaft für sein Ressort und fordere natürlich das Maximum, argumentierte Lindner. „Die Aufgabe des Finanzministers und der Bundesregierung insgesamt ist dann, zu prüfen, was wünschenswert und was wirklich notwendig ist.“
Nach 2025 wird es „immer enger“ bei Bundeswehr-Finanzierung
Die Finanzierung der Bundeswehr über 2025 hinaus dürfte ebenfalls noch zu heftigen Debatten führen. Dann wird das Geld aus dem Sondervermögen ausgegeben sein. Kanzler Scholz bekräftigte in Weimar, dass der reguläre Verteidigungsetat von 2028 an 80 Milliarden Euro betragen soll.
Eine Finanzierung hierfür ist noch nicht gefunden. „Die ist deutlich höher als unser Problem der letzten zwei, drei Tage oder der letzten Nacht“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in den ARD-„Tagesthemen“ am Freitagabend. Und: „2025 kommen wir gerade so durch. Danach wird es immer enger werden.“