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Bundesverfassungsgericht BKA-Gesetz muss nachgebessert werden

Beim Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität braucht die Polizei wirksame Mittel. Doch wie weit darf sie gehen? Karlsruhe macht Vorgaben und setzt eine Frist.

Von Jacqueline Melcher und Susanne Kupke, dpa Aktualisiert: 01.10.2024, 16:23
Der Erste Senat hat den Befugnissen der Sicherheitsbehörden neue Grenzen gesetzt.
Der Erste Senat hat den Befugnissen der Sicherheitsbehörden neue Grenzen gesetzt. Uli Deck/dpa

Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht schränkt die Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA) beim Sammeln und Speichern von Daten ein. Einzelne Teile des 2017 reformierten BKA-Gesetzes seien verfassungswidrig, urteilte das höchste deutsche Gericht. Es knüpft die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen von Verdächtigen an strenge Bedingungen und verlangt genaue Regelungen beim Speichern von Daten Verdächtiger. 

Betroffene würden durch die bisherigen Regelungen teils in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, entschied der Erste Senat in Karlsruhe. Spätestens bis zum 31. Juli 2025 muss der Gesetzgeber daher nachbessern. Damit hatte eine Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) teilweise Erfolg. 

Hohe Hürden für heimliches Ausspähen 

Unter anderem bemängelt das Gericht die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen von Verdächtigen. Solche Schritte seien ein besonders schwerer Eingriff, sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Wenn sich solche Maßnahmen lediglich gegen Kontaktpersonen richteten, müsse daher eine „spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zu der aufzuklärenden Gefahr“ vorliegen. Diesen Anforderungen genüge die entsprechende Regelung im BKA-Gesetz nicht.

Richter fordern klare Regelungen 

Auch ab wann die Daten eines Verdächtigen gespeichert werden dürfen, hält das Gericht nicht für ausreichend geregelt. Es gebe hier keine hinreichende Speicherschwelle. Die Eigenschaft als Beschuldigter allein lasse keinen belastbaren Schluss auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer relevanten Beziehung zu zukünftigen Straftaten zu, sagte Harbarth. Es bedürfe zudem einer gesetzlichen Regelung zu einer angemessenen Speicherdauer. 

Nicht von jedem dürfen Daten gespeichert werden 

Das Gericht betonte: Prognosen für zu erwartende Straftaten müssten sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen. „Als taugliche Prognosekriterien können insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der vormaligen Tat sowie die Persönlichkeit des Betroffenen und sein bisheriges strafrechtliches Erscheinungsbild in Frage kommen.“ 

Von Bedeutung sei auch, ob die Person wiederholt und in welchem Ausmaß straffällig wurde. Auch könne man sich an Delikten ausrichten wie beispielsweise Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Waffen- und Sprengstoffkriminalität, Wirtschafts- und Umweltkriminalität oder politisch motivierter Kriminalität. 

„Die Polizeibehörden müssen eigentlich ab jetzt jedes Mal, wenn sie eine lediglich beschuldigte Person in die Verbunddatenbank einfügen möchten, prüfen, ob diese Person wirklich gefährlich ist in der Zukunft“, meinte GFF-Rechtsanwalt Bijan Moini.

Kläger feiern „Erfolg für die Freiheitsrechte“

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die das Verfahren angestoßen hatte, feierte das Urteil als „Erfolg für die Freiheitsrechte“. Die Entscheidung stärke das Recht, über die eigenen Daten zu bestimmen, und sei zudem eine Aufforderung an die Gesetzgeber in Bund und Ländern, neue Überwachungsbefugnisse ausreichend bestimmt und präzise zu formulieren. 

Unter den Beschwerdeführern waren Rechtsanwältinnen, ein politischer Aktivist und zwei Fußballfans, die in Polizeidatenbanken gelandet waren. „Es ist festgestellt worden, dass es eine große Schwelle geben muss, dass Daten gespeichert werden können und somit nicht jede Person einfach in der Datenbank landen kann“, freute sich Beschwerdeführerin Stephanie Dilba. 

Auch Journalisten atmen auf 

Der Deutsche Journalisten-Verband sprach zudem von einem Sieg für die Pressefreiheit. Insbesondere Journalistinnen und Journalisten, die Recherchen in kriminellen Milieus durchführten, würden von dem Richterspruch profitieren. „Die bisherige Praxis läuft nach dem Motto "mitgehangen, mitgefangen". Karlsruhe hat unübersehbar das Stoppschild aufgestellt“, meinte DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster.

Fanhilfen fordern schnelles Handeln

Der Dachverband der Fanhilfen fordert nun eine Reform der Datei „Gewalttäter Sport“. Die Bundesregierung müsse handeln und ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlösen, erklärte Linda Röttig, Vorstand im Dachverband der Fanhilfen. In der Datei „Gewalttäter Sport“ werden Personen erfasst, die insbesondere im Rahmen von Fußball-Spielen, aber auch anderen Sportveranstaltungen durch Gewalt- oder Straftaten aufgefallen sind.

BKA: Maßnahmen teils schon umgesetzt 

BKA-Vizepräsidentin Martina Link sagte, man werde die Hinweise des Gerichts prüfen. Sie äußerte sich zuversichtlich, dass die Umsetzung innerhalb der gegebenen Frist gut gelinge. Vieles von dem, was das Gericht nun vorgegeben habe, sei schon erfüllt.

Nicht die erste verfassungsrechtliche Prüfung

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 2016 zu den umfangreichen Befugnissen der Sicherheitsbehörden geurteilt - und sie teils für verfassungswidrig erklärt. Das BKA-Gesetz musste deshalb nachgebessert werden. Die neue Fassung ist seit Mai 2018 in Kraft. 

GFF-Rechtsanwalt Moini appelliert, bei neuen Gesetzesvorhaben umsichtiger zu sein: „Gerade liegt mit dem Sicherheitspaket erneut ein Gesetz im Bundestag, das tiefgreifende Verschärfungen im Sicherheitsrecht vorsieht – wieder einmal weit über die Grenzen des Grundgesetzes hinaus.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic und Konstantin von Notz kritisierten: „Es gab in den vergangenen Jahren kaum ein von CDU, CSU und SPD vorgelegtes Gesetz im Innen- und Sicherheitsbereich, das verfassungsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich entsprach und das nicht nachträglich korrigiert werden musste.“ Dieses Vorgehen der großen Koalition, Grundrechte immer wieder zu missachten und höchste Gerichte als Korrektiv bewusst in die eigene Gesetzgebung einzupreisen, sei rechtsstaatlich mehr als fragwürdig.